Nach Opel-Aus: Im Bauwagen geht’s weiter
als die Idee seinerzeit vor einem guten halben Jahr spruchreif wurde, ahnten die MacherInnen der Gemeinde noch nicht, wie aktuell ihr Engagement schon nach kurzer Zeit werden würde. Doch dann verkündeten die Opel-Bosse in Bochum - wenig sensibel kurz vor dem Weihnachtsfest - das Aus für ihre Autoproduktion "im Pott" zum Jahr 2016 - und die Beratung im Bauwagen am Alten Bahnhof im Stadtteil Langendreer war auf einmal mittendrin im Geschehen. Denn: Schöne Bescherung, die Bestürzung ist groß. Langendreer, tief im Osten Bochums an der Grenze zu Dortmund, ist gelebter Auto-Standort. Jeder zweite Arbeitsplatz hier hängt irgendwie mit dem Werk zusammen. Und viele Opelaner sagen jetzt: "Wie soll das nur weitergehen?"
Ein Besuch vor Ort im Viertel um die Alte Bahnhofstraße: knapp 7000 Menschen leben hier, viele auf Hartz IV, viele arbeitslos. Kleine Geschäfte, viel Billigware, hier und da Ramsch, zwei, drei Cafes, diverse Imbisse und Restaurants mit immer anderen südländischen Spezialitäten, eine Spielhölle - und am Rande ein ausrangierter Bauwagen. Der parkt auf dem Vorplatz der katholischen Kirchengemeinde St. Marien und ist nach längerer Planung, nach dem Überwinden einiger gemeindlicher Widerstände und nach vielen Arbeitsstunden jetzt das Domizil der ehrenamtlichen Gemeindecaritas-Gruppe.
Rund um die Uhr erreichbar: Das Nottelefon
An jedem dritten Mittwoch im Monat leihen zwei ehrenamtliche BeraterInnen im Bauwagen ihr "Offenes Ohr" (Projektname) als regelmäßige Sprechstunde an Bedürftige. Einmal im Monat, ist das nicht viel zu wenig? "Na klar, aber wir alle haben Jobs und nicht mehr Zeit", sagt Barbara Wiedemann, eine der Macherinnen im Projekt und im Hauptberuf bei Opel Versandchefin für Neuwagen. Es sei aber jederzeit, Tag und Nacht, das Bauwagen-Nottelefon empfangsbereit. Für so viel Engagement wurde die Initiative jüngst mit dem Caritas-Sozialpreis 2012 ausgezeichnet. Die 5000 Euro Preisgeld können die 14 Ehrenamtlichen gut gebrauchen - der Bauwagen erhält jetzt einen besseren Zugang und endlich auch Strom.
"Mit dieser etwas anderen Beratung wollen wir Präsenz im Stadtteil zeigen und die Menschen einladen, zu uns zu kommen, wenn sie in Not sind oder jemanden zum Reden benötigen", erklärt Stephanie Buchner, Grundschullehrerin und Sprecherin des Caritaskreises. Für diesen Zweck wurde der Wagen in direkter Nachbarschaft zum Geschäftszentrum des Stadtteils aufgestellt und von einem jungen Graffiti-Sprayer mit farbigen Motiven versehen. Es fehlen noch ein paar Kleinigkeiten, aber die ersten knapp 50 Besucher waren schon da, haben sich beraten und oft auch helfen lassen. Zum Beispiel mit einem 10-Euro-Gutschein für Lebensmittel, der beim örtlichen Rewe-Händler eingelöst werden kann.
Den Einkauf von Zigaretten und Alkohol schließt der Bon ausdrücklich aus. "Für zwei-, dreimal satt werden reicht das Geld als kleine Überbrückungshilfe", sagt die 41-jährige Lehrerin, die den Caritaskreis vor gut einem Jahr zusammen mit acht weiteren Männern und Frauen aus der Gemeinde ins Leben gerufen hat. Dauerbrenner bei den Themen: Die Leute haben keine Arbeit, sind alleinerziehend, wissen vor allem gegen Monatsende oft nicht, wie sie die Rechnungen bezahlen sollen. Man versuche mit den Menschen dann eine Art Finanzplanung hinzubekommen, ihnen Instrumente als Hilfe zur Selbsthilfe an die Hand zu geben. Bargeld helfe da nicht wirklich und vor allen nachhaltig.
Die Idee, eine Begegnungsstätte mit regelmäßigen Sprechstunden für hilfesuchende Menschen in Bochum-Langendreer einzurichten, kommt gut an. Langfristig soll der Wagen sogar einen Cafécharakter bekommen. Neben einer Anschubfinanzierung durch die Caritas-Stiftung St. Martin war es vor allem der Firma Tesch aus Essen zu verdanken, dass das ungewöhnliche Projekt realisiert werden konnte. "Wir sind im Herbst 2011 beim Ruhrdax, dem Marktplatz für ehrenamtliches Engagement und Wirtschaft, miteinander ins Gespräch gekommen und haben uns spontan entschlossen, dem Caritaskreis einen Bauwagen zur Verfügung zu stellen", berichtet André Homann, Geschäftsführer des Essener Bauunternehmens. Zusätzlich haben Betriebe und Handwerker aus dem Stadtteil zum Gelingen beigetragen: Ein Malerunternehmen sponserte die Inneneinrichtung und ein Dachdeckermeister hat Steinplatten für den Gehweg organisiert. Sogar für prominente Unterstützung ist
gesorgt: Carina Gödecke, Präsidentin (seit 31. Mai 2012) des NRW-Landtags, hat die Patenschaft für den Bauwagen übernommen: "Als ich von diesem ungewöhnlichen Projekt gehört habe, habe ich direkt zugesagt, die ehrenamtliche Arbeit zu fördern."
Bis an die Grenzen gehen
So weit, so gut. "Bei uns geht keiner raus ohne irgendeine Form der konkreten Hilfe", hängt Barbara Wiedemann die Latte hoch. Man habe schon einen ganzen
Ordner voll mit Ansprechpartnern bei Behörden, Stromversorgern, Verbraucherschützern, auch bei Anwälten. Dennoch kommen die engagierten Mitstreiter (auch zwei Männer machen mit) hin und wieder auch an ihre Grenzen, wenn sie zum Beispiel feststellen müssen, dass sie ausgenutzt werden sollen oder belogen werden. Wobei "Lüge" hier meint, dass es zwei Blickwinkel gibt, dass die objektive mit der subjektiven Wahrheit oft nicht deckungsgleich ist.
Schwierig war gleich auch die erste komplexe Beratung für das Bauwagen-Team. Da hatte eine junge Frau aus Bremen halsüberkopf ihr Zuhause nach massivem Ärger mit dem Mann verlassen, war mit ihren zwei kleinen Kindern nach Bochum geflüchtet, weil sie hier eine Familie kannte. Die gab der Frau den Rat: "Wende Dich mal an das Bauwagenteam, die helfen Dir." Gesagt, getan: Man fand eine Wohnung für die junge Bremerin in Langendreer, sie bekam ein bisschen Geld und Möbel, die Kinder kamen in einer Krabbelgruppe unter. "Wir hatten das schöne Gefühl, die Frau aufgefangen zu haben", erinnert sich Barbara Wiedemann an ihren ersten "großen Fall", bei dem sich das ganze Team richtig reingehängt hatte. Und dann war die Frau aus Bremen eines Morgens wieder weg, wieder zurück nach Norddeutschland. "Wir waren so enttäuscht, wir hatten das Gefühl: Alles war umsonst."
Mittlerweile hat die Bauwagen-Crew gelernt, auch mit Rück- und Nackenschlägern umzugehen. Die werden auch beim absehbaren Opel-Ende nicht ausbleiben. Auch Barbara Wiedemann ist da betroffen, braucht unter Umständen selbst Rat und Unterstützung. "Mal abwarten, was kommt", sagt sie und scheint irgendwie noch auf ein Wunder zu hoffen. "Mein Glaube hilft mir dabei." Glück auf nach Bochum-Langendreer!
Info: Sprechstunde vor Ort ist an jedem dritten Mittwoch im Monat von 17 bis 18 Uhr im Bauwagen vor der St. Marien-Kirche (Alte Bahnhofstr. 182). Bauwagen-Not-
telefon unter 0157 - 34390840
Überglücklich war das Bauwagen-Team über den Sozialpreis: "Jetzt können wir den Strom bezahlen", freute sich Barbara Wiedemann (vorne mit der Ehrenskulptur).
mitten im Marienviertel am Oberhausener Hauptbahnhof ist ein starkes Stück Caritas gewachsen, das an sieben Tagen die Woche für die Menschen da ist. "Täglich betreuen wir 50 bis 70 Gäste", weiß Reinhard Messing von der Caritas Oberhausen. Die Rede ist vom Projekt "Gleis 51". Einem würdigen Nachfolgeprojekt für die Bahnhofsmission, die die Caritas Oberhausen vor einigen Jahren aufgeben musste, weil die Deutsche Bahn keine Essensausgaben auf dem Bahnhofsgelände mehr duldete. Heute ist das "Gleis 51 - Caritas am Bahnhof" eine Begegnungsstätte für den Stadtteil. Sie ist in einer ehemaligen Sparkassenfiliale auf der Mülheimer Straße in Bahnhofsnähe untergebracht. Das "Kontaktcafé", wie es im Fachvokabular der Sozialarbeiter heißt, bietet Armen, Alten, Kranken, Einsamen und Wohnungslosen Mahlzeiten, Begegnung und unbürokratische Hilfen. "Am Monatsende sind es auch vermehrt allein erziehende Mütter, die mit ihren Kindern hierher kommen", berichtet Messing. Neben dem Cafébetrieb gibt es zusätzliche Räume für Einzel- und Gruppengespräche sowie einen PC mit Internetanschluss. Das "Gleis 51" (Foto) hat sich zu einem zentralen, sozialen Anlaufpunkt im Marienviertel entwickelt.