Gemeinsam die goldene Mitte finden
Etwa drei Jahre ist es her, da war ein Richter zu Besuch bei den Brüdern Hakenberg. Gemeinsam hat er mit Martin und Friedhelm Hakenberg und deren Cousine Irene Tacken am Küchentisch gesessen und gesprochen. Es war ein Gespräch mit Tiefgang. Eine wichtige Entscheidung stand an: Irene Tacken sollte nach dem Tod der Mutter der beiden Brüder die neue gesetzliche Betreuerin von Martin Hakenberg werden. "Und zu dem Richter habe ich ‚Ja‘ gesagt, Irene soll", erinnert sich der 61-Jährige aus dem sauerländischen Brilon.
Martin Hakenberg ist nicht der Einzige, der "Ja" zu einer gesetzlichen Betreuung gesagt hat. Rund 1,3 Millionen Menschen in Deutschland werden in ihrer Lebensführung von gesetzlichen Betreuern begleitet. Eine wichtige Voraussetzung für eine gesetzliche Betreuung ist das Einverständnis des zu Betreuenden. Eben, dass "Ja" gesagt wird, wie Martin Hakenberg es zu seiner Cousine Irene gesagt hat. Ein wichtiger Schritt, denn oftmals ist im Volksmund noch von der "Vormundschaft" die Rede - nach einem weiteren Atemzug fällt dann das Wort "Entmündigung". Aber davon kann keine Rede mehr sein, denn die gesetzliche Betreuung hat die "Vormundschaft" bereits vor 20 Jahren abgelöst.
An den neuen Titel sind Vorgaben gebunden. Nach dem Einverständnis des Betroffenen wird die gesetzliche Betreuung zunächst auf ein halbes Jahr begrenzt und dann erneut geprüft. Die letzte Überprüfung erfolgt nach sieben Jahren. Aber auch dann ist die Entscheidung nicht für die Ewigkeit. Eine gesetzliche Betreuung kann jederzeit aufgehoben werden. Außerdem werden genaue Aufgabengebiete definiert: das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitsfürsorge, die Vermögensfürsorge sowie die Wohnangelegenheiten.
"Ich begleite Martin in finanziellen Fragen", erzählt Irene Tacken. "Das würde ich so ganz alleine nicht hinkriegen", ergänzt Martin Hakenberg. Der 61-Jährige arbeitet in der Schreinerei der St.-Martin-Werkstätten für Menschen mit Behinderung des Caritasverbandes Brilon. In diesem Jahr feiert er sein 40-jähriges Betriebsjubiläum. Die Arbeit ist Martin Hakenberg wichtig. Sie gibt der Woche und dem Tag Struktur. Außerdem geben ihm die sozialen Kontakte am Arbeitsplatz Sicherheit, und nicht zuletzt erhält er einen Lohn für seine Arbeit. Ebenso wichtig ist ihm das Leben in den eigenen vier Wänden. Gemeinsam mit seinem Bruder Friedhelm Hakenberg (58) lebt er seit 1972 im Elternhaus. Mindestens einmal pro Woche ist Irene Tacken dort zu Gast.
Gemeinsame Zeit ist wichtig
Rund 30 Stunden pro Monat verbringt sie mit oder für ihren Cousin Martin. Sie öffnet seine Post, spricht dann ab, was anliegt, bespricht mit ihm die fälligen Überweisungen. Außer für Martin Hakenberg hat Irene Tacken auch die gesetzliche Betreuung für Annegret Hakenberg, die Schwester der Brüder Hakenberg, übernommen. Die 60-Jährige lebt im Liborius-Haus des Caritasverbandes Brilon und arbeitet in der Seniorengruppe der St.-Martin-Werkstätten.
Jeden Samstag fährt Irene Tacken mit dem Bus von Marsberg nach Brilon zum Verwandtenbesuch. "Dann kocht sie für uns", freuen sich die Brüder Hakenberg. Die drei verbringen Zeit miteinander, besuchen Annegret und besprechen wichtige Angelegenheiten. "Unter der Woche telefonieren wir", sagt Friedhelm Hakenberg. Gemeinsame Zeit und wertvolle Begegnungen, die ihnen sehr wichtig sind. Für ihr Engagement als gesetzliche Betreuerin bekommt Irene Tacken eine jährliche Pauschale. Jährlich muss sie auch der Rechtspflegerin beim Gericht einen Jahresabschluss vorlegen. Ein Kontrollinstrument, damit alles rechtens ist und Geld nicht einfach am Wunsch des zu Betreuenden vorbei verwaltet wird. "Früher muss das fürchterlich gewesen sein", vermutet Irene Tacken mit Blick auf die veraltete sogenannte "Vormundschaft". Aber glücklicherweise habe ein Wandel stattgefunden: "Heute geht es uns doch darum, gemeinsam die goldene Mitte zu finden und nach Kompromissen zu suchen. Da muss die Chemie zwischen Martin und mir stimmen." Das tut sie, deshalb hat Martin Hakenberg vor mehr als drei Jahren "Ja" zu seiner Cousine Irene als seiner gesetzlichen Betreuerin gesagt. "Weil ich sie kenne", sagt Martin mit einem verschmitzten Grinsen.