Wir neuen Deutschen
Drei junge Frauen, Redakteurinnen bei der "Zeit", alle drei mit Migrationshintergrund: Sie sind die "neuen Deutschen", die in ihrem Buch von ihrem Erwachsenwerden berichten und von ihrem Leben in Deutschland - einem Land, das sich lange so schwer getan hat und auch noch heute manchmal schwer tut, auch für sie einfach nur Heimat zu sein. Sie beschreiben ihre Gefühle als Kinder zugewanderter Eltern zwischen den Welten und geben dabei auch tiefe Einblicke in das Leben von Einwandererfamilien:
Da ist Alice Bota, in Polen geboren und im Alter von acht Jahren mit ihren Eltern nach Deutschland gekommen. Sie erzählt davon, wie sie und ihre Eltern bereits kurz nach ihrer Ankunft das tun, "was viele Politiker fordern: Wir haben uns angepasst", um schließlich "deutscher zu werden als alle Deutschen". So wird Botas Name geändert. Aus der erst vor kurzem eingewanderten Alicja wird nunmehr Alice. Die Eltern sprechen den Namen jedoch "genauso aus, wie er sich schreibt, mit einem harten -tze am Ende. "Mein Name war nun weder polnisch noch deutsch. Er wurde zu einem hässlichen Zwitter." Ihren Vater soll sie nicht mehr mit Tatuś, dem polnischen Kosenamen für Vater, ansprechen. Ab sofort ist er ihr "Papa".
Özlem Topçu dagegen, ebenfalls als Kind mit ihrer Familie aus der Türkei eingewandert, ist gefangen im Gegensatz zwischen dem traditionellen Elternhaus und dem sozialen Umfeld ihrer Kindheit. In der Schule fühlt sie sich als Zaungast, weil sich niemand für ihr Türkischsein interessiert. Dass Mädchen wie sie auch Teil der Gesellschaft sind, ist in den Köpfen ihrer Mitschüler und Lehrer noch nicht angekommen. Sie passt sich in der Schule an, entfremdet sich gleichzeitig von ihren Eltern und verachtet ihre türkisch-konservativen Erziehungsregeln. Sie wird "Meisterin darin, ein Leben vor ihnen zu verstecken", das sie selbst für ein deutsches hält. Dieses Doppelleben ist für sie "die einzige Möglichkeit, als Kind türkischer Eltern in einer kleinen deutschen Stadt, auf einem rein deutschen Gymnasium durch die Kindheit zu kommen."
Und schließlich ist da Khuê Pham, Tochter vietnamesischer Einwanderer, in Berlin geboren. Sie wächst mit dem ständigen Gefühl auf, anders zu sein als alle andern. Unter Vietnamesen gilt sie als "eingedeutscht": Sie spielt Cello und Klavier, geht in den Schwimmverein und ist Klassensprecherin. Deutsche hingegen fragen sie aufgrund ihres Aussehens immer wieder nach ihren "wahren Wurzeln", wenn sie sagt, sie sei aus Nordberlin. Die Frage nach ihren Wurzeln ist ihr dabei immer seltsam vorgekommen. "Wieso sprechen andere mit mir, als sei ich ein Baum?"
Neben diesen einfühlsamen biografischen Beschreibungen berichten die Autorinnen über ihr zwiespältiges Verhältnis zu ihren Herkunftsländern, aber auch über die Chancen, die aus ihrem Leben mit "hybriden Identitäten" als "neue Deutsche" erwuchsen. Und schließlich entwerfen sie eine "ziemlich konkrete Utopie" der Gesellschaft, in der sie es trotzdem "geschafft" haben, obwohl sie einen Migrationshintergrund haben: "Wir wünschen, dass wir eines Tages ganz selbstverständlich als Deutsche behandelt werden. Dass wir als Teil dieser Gesellschaft behandelt werden und nicht als Fremde. Dass nicht unser Migrationshintergrund gesehen wird, sondern wir. Dass wir uns bald zutrauen, dieses Land ‚unser Deutschland’ zu nennen."
Bota, Alice/Pham, Khuê/Topçu, Özlem: Wir neuen Deutschen. Wer wir sind, was wir wollen. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag, 2012. ISBN: 978-3498006730, 176 Seiten, EUR 14,95.