Sie sitzen auf gepackten Koffern
Die Koffer sind schon gepackt. Tausende Roma aus Bulgarien wollen nach München. Diese Erkenntnis brachten Mitarbeiter der Caritas, des Katholischen Männerfürsorgevereins München und der Malteser Migranten Medizin von einer Reise nach Bulgarien im September 2012 mit.
Keine Arbeit mehr in der Fabrik
Die Eindrücke, die die Mitarbeiter gewonnen haben, waren ernüchternd: Die beiden Städte Omurtag und Pasardschik, aus denen die meisten Roma in München stammen, sind seit 2008 von einem Niedergang der Industrie geprägt. In beiden Städten stehen die Bänder in den Fabriken still, aus dem Wasserhahn kommt morgens und abends nur zwei Stunden lang Wasser, die Kanalisation ist veraltet, die Wasserrohre marode. Textilindustrie und Schuhproduktion sind nach China beziehungsweise Asien abgewandert. Die Roma, die ein Drittel der Bevölkerung ausmachen, waren in kommunistischer Zeit als einfache Arbeiter in den Industriebetrieben beschäftigt. Heute sind 90 Prozent von ihnen arbeitslos. Sie leben von den geringen Sozialleistungen, einer Mindestsicherung und Kindergeld. "Die Menschen haben resigniert, wer gehen kann, nutzt die Chance", sagt Claudia Hämmerling von der Malteser Migranten Medizin. Für die Roma ist die Situation noch deutlich schlechter als für die bulgarische Bevölkerung. Viele von ihnen leben in abgeschlossenen Wohnvierteln in äußerster Armut, ohne funktionierende Kanalisation, ohne Strom oder ausreichende medizinische Versorgung. Allerdings gibt es auch in den Roma-Vierteln große soziale Unterschiede. Auch hier gibt es Straßen mit bürgerlichen Vororthäusern. Die in den beiden Städten ins Leben gerufenen Projekte von Stadtverwaltungen und Roma-Selbsthilfegruppen reichen nicht aus, um den Druck zur Auswanderung zu verringern. Ein positives Beispiel lernten die Mitarbeiter der Sozialverbände in Rakitovo kennen, wo es einem jungen Bürgermeister, selbst ein Rom, gelang, mit Hilfe ausländischer Investoren Arbeitsplätze zu schaffen und erfolgreich Bildungs- und Beschäftigungsprogramme durchzuführen.
Angst vor Hunger und Kälte
Nach Einschätzung der Caritas-Mitarbeiter mangelt es in den anderen Orten den Stadtverwaltungen und Organisationen an Kompetenzen und Kapazitäten, um Förderprogramme zu erschließen und umzusetzen. Als Gründe für die Ausreise nannten die meisten Roma ihre desolaten Lebensverhältnisse.
"Im Winter erfrieren wir hier sicher, also werden wir versuchen, in München zu überleben", so drastisch sehen es viele Menschen in Omurtag. Für Wilhelm Dräxler, Migrationsreferent der Caritas, gibt es letztlich nur eine Alternative zur Zuwanderung: "Ohne Arbeitsplätze und Investitionen in den armen Regionen Bulgariens müssen sich Ballungszentren wie München mit einem enormen Anstieg von Zuwanderern auseinandersetzen."
Die Caritas hat mit verschiedenen Stellen der Stadt München, mit anderen Wohlfahrtsverbänden und Politikern Kontakt aufgenommen. Der Katholische Männerfürsorgeverein, der im Auftrag der Stadt München Obdachlosenunterkünfte betreut, wollte vor allem sicherstellen, dass in Kälteperioden genügend Notunterkünfte zur Verfügung stehen. Solange Winter und Kälte nicht vergangen sind, wird das in München auch so bleiben.