So funktioniert Deutschland
Wer Zeit und Lust hat, kann vorbeikommen – zur Information, Beratung oder einfach nur zum Austausch. Seit Mai 2009 hat die Caritas die Wohnung im dritten Stock gemietet, für das Integrationsprogramm „Brücken für die Zukunft bauen”. Es ist eines von fünf Projekten in ganz Nordrhein-Westfalen, das durch das Bundesministerium des Innern gefördert wird.
Lydia Polakow hat einen selbstgebackenen Kuchen nach russischem Original-Rezept mitgebracht, ihre Nachbarin Vera Schmidt aus Kasachstan Tee und Brote. Im Hausflur duftet es nach frisch aufgebrühtem Kaffee. Es ist Frauenstunde „Zeit für uns“. „Vor allem die Frauen der Siedlung leben oft sehr isoliert, oft können ihre Kinder besser Deutsch sprechen als die Mütter“, erklärt Heidrun Hagelauer vom Team des Caritas-Projektbüros. Sie hört den Frauen zu, gibt Tipps für die Schulplanung der Kinder und bei Erziehungsproblemen. Immer dienstags trifft sich die Frauengruppe, inzwischen kommen Frauen aus vielen Nationalitäten, aus Afrika, dem Kosowo, Russland.
Seit die Beratungsstelle für Migration und Integration des Caritasverbandes Siegen-Wittgenstein vor knapp vier Jahren das Projekt aufgebaut hat, hat sich in dem Stadtteil viel zum Positiven verändert. Zwar liegt die Hochhaus-Siedlung abgeschottet auf einem Berg ohne Infrastruktur, die Busverbindungen sind schlecht. Es gibt kein Geschäft, keine Gaststätte, keine Telefonzelle. Aber in den letzten Jahren haben die Caritas-Mitarbeiterinnen ein Netzwerk vor allem für die Familien aufgebaut. Viele Bewohner kennen sich mittlerweile ganz gut, schauen auch mal nach dem Rechten, wenn das Caritas-Büro geschlossen ist. „Ein Ziel des Projektes ist es, bei den Bewohnern die Eigenverantwortung für ihren Stadtteil zu stärken. Da hat sich schon einiges verbessert“, sagt Projektmanagerin Barbara Köberlein vom Caritasverband.
Die Hilfe zur Selbsthilfe funktioniert mittlerweile ziemlich gut. Sechs Freiwillige aus der Siedlung und der Gemeinde haben sich zu ehrenamtlichen Integrationshelferinnen ausbilden lassen. Erstmals gab es dafür am Heckersberg die Schulungsreihe „Wie funktioniert Deutschland?“ An zehn Dienstagen trafen sich die Frauen im Caritas-Projektbüro und wurden geschult in Themen wie Behördengänge, soziale Sicherung, Schulsysteme, die Suche nach einem Kindergartenplatz oder einem Arzt. Die Frauen haben gelernt, wie der Alltag in Deutschland funktioniert. Ihr Wissen geben sie jetzt als Ansprechpartnerinnen weiter. Den Einstieg in Deutschland erleichtern sollen auch Deutsch-Sprachkurse, oder Info-Veranstaltungen zur speziellen Themen wie „Gefahren im Straßenverkehr“ oder „Unfallverhütung bei Kindern“. „Es geht bei unserem Projekt auch darum, die Eltern zu sensibilisieren“, sagt Barbara Köberlein. Denn ein Hauptziel des Projektes ist es, die Erziehungskompetenzen der Eltern zu verbessern, Eltern, aber auch Großeltern und Kinder in einem schwierigen sozialen Umfeld zu stärken.
Dabei sei die Hemmschwelle bei vielen Anwohnern zu Beginn des Projekts erst einmal groß gewesen. Fast jeder, der hier lebt, hat einen Migrationshintergrund, viele Kinder kommen aus Aussiedlerfamilien. Mehr als 40 Nationalitäten leben auf engstem Raum. Viele Bewohner hätten sich am Anfang gescheut, die Angebote anzunehmen, aus Angst davor, als Hilfesuchende stigmatisiert zu werden. Doch diese Anfangs-Probleme sind überwunden. „Brücken gebaut“ haben die Caritas-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Angeboten, die den Menschen ganz praktische Hilfe im Alltag bringen: mit Spielzeug- und Kleiderbasaren, Basteln, gemeinsamem Kochen, Gesprächskreisen, Ausflügen, Stadtteilfesten, Ferienkursen für Kinder. Die jungen Mütter der Siedlung treffen sich in einer Eltern-Kind-Gruppe. Um die Angebote alle leisten zu können, hat sich der Siegener Caritasverband einige Kooperationspartner ins Boot geholt, beispielsweise die Stadt Netphen, die Arbeiterwohlfahrt und die Volkshochhochschule des Kreises für die Integrationskurse.
Jetzt hoffen alle Mitarbeiter wie auch die Teilnehmer, dass das Projekt „Brücken bauen“ am Heckersberg erhalten bleibt. Denn die finanzielle Förderung durch den Bund ist ausgelaufen. Projektmanagerin Barbara Köberlein hofft, dass es in Kooperation mit dem AWO-Familienzentrum und anderen Netzwerkpartnern eine Zukunft für das Projekt am Heckersberg gibt. „Wir sind hier eine richtig gute Gemeinschaft geworden“, sagt auch Lydia Polakow. Und bietet allen noch einmal ein großes Stück von ihrem russischen Kuchen an.