Flucht aus dem Nachbarort
Manche Probleme mit geflüchteten Menschen lassen sich in einer Küche lösen: Diese Erfahrung hat die Ahlener Hebamme Mahnaz Teimouri erst kürzlich gemacht. Zu ihr kam eine Schwangere, die aus Syrien nach Deutschland geflohen war. Teimouri spricht fließend arabisch, schnell fasste die Frau Vertrauen und äußerte einen dringenden Wunsch: Durch die Schwangerschaft habe sie verstärkt Appetit auf gebratene Tomaten, wie es sie in ihrer Heimat gibt.
Teimouri gelang es, der Frau zu helfen. Gemeinsam mit der Kirchengemeinde und der Erstunterkunft in der die Frau lebte, wurde ein regelmäßiger Kochkurs organisiert, an dem weitere geflüchtete Menschen teilnehmen konnten. Die aus Iran stammende Hebamme arbeitete dabei mit der Sozialarbeiterin Marietta Wagner zusammen. Die beiden gehören zum Team des Projektes „aufLeben“, mit dem sich der Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) im Kreis Warendorf insbesondere an Schwangere mit Trauma- und Fluchterfahrung richtet.
„Die Frauen haben eine anstrengende und gefährliche Flucht hinter sich. Und dann finden sie sich in einem völlig fremden Land wieder“, erklärt SkF-Geschäftsführerin Susanne Pues. Die Zusammenarbeit ihrer Mitarbeiterinnen Teimouri und Wagner ist dabei im doppelten Sinne wegweisend. „Wir helfen den Frauen dabei, sich im für sie völlig fremden System in Deutschland zurechtzufinden“, erklärt Marietta Wagner.
Doch auch die Form der Zusammenarbeit ist wegweisend. „Ich kläre beispielsweise über Impfungen, die richtige Ernährung oder Möglichkeiten zur Familienplanung auf“, erklärt Mahnaz Teimouri. Marietta Wagner unterstützt währenddessen bei Dingen, die über die Schwangerschaft hinausgehen. „Hat die Mutter Zugang zu einer Erstausstattung für ihr Kind? Falls nicht: Wo bekommt sie diese her?“, sei nur eine von vielen Fragen, die in der Beratung aufkommen. „Diese enge Verzahnung von Sozialer Arbeit und Gesundheitshilfe ist hier in der Region neu“, sagt Susanne Pues nicht ohne Stolz. Wohl auch deshalb hat die Aktion Mensch das Projekt mit einer großzügigen Förderung bedacht.
Und auch wenn sich unter den Familien, um die sich das Team Teimouri/Wagner kümmert, viele geflüchtete Menschen aus Krisenländern befinden, ist Susanne Pues eines wichtig: „Das Angebot richtet sich an alle Schwangeren, die traumatische Erfahrungen gemacht haben.“ Manchmal müsste eine werdende Mutter eben nicht aus fernen Krisengebieten, sondern aus einem Ort in der Umgebung flüchten. „Leider erleben Schwangere unabhängig von Herkunft und Lebenssituation Gewalt. Auch diese Frauen haben wir mit „aufLeben“ im Blick“, erklärt Pues.
Für die werdenden Mütter sei in dieser Situation vor allem Sicherheit wichtig. „In akuten Fällen vermitteln wir sie in psychosoziale Beratung oder bringen sie in Mutter-Kind-Einrichtungen unter“, erklärt Susanne Pues. Die Lösung der kleineren Probleme – Stichwort Tomaten – spielt aus ihrer Sicht jedoch ebenfalls eine gewichtige Rolle. „Wenn wir in einer Notsituation die Alltagssorgen der Frauen lindern können, stabilisieren sie sich“, hat Marietta Wagner beobachtet.
Für die Zukunft hoffen Pues, Teimouri und Wagner, das „aufLeben“ nach Ende der Projektlaufzeit in drei Jahren als ständiges Angebot erhalten bleiben kann. „Die Rückmeldungen der Familien sind sehr positiv. Und der Bedarf wird bleiben“, glaubt Susanne Pues angesichts der unverändert schwierigen Situation in vielen Krisenländern. Und Mahnaz Teimouri, die sich bei ihrer Ankunft aus Iran 1996 auch erst in Deutschland zurechtfinden musste, sagt aus eigener Erfahrung: „Die Mütter brauchen dieses Angebot, weil schon kleine Dinge Sorgen lindern können.“