"Ich habe meine Mauern eingelaufen"
Es war ein besonderes, ein innovatives Projekt mit vielen Unwägbarkeiten, letztlich vielleicht sogar ein Wagnis. Aber eines, das neue Horizonte eröffnete.
Durchhalten lohnt sich
Für den 23-jährigen Dominik Schoch aus Radolfzell, der seit zwei Jahren auf der Straße lebt, löste die Erfahrung auf dem „Camino“ so manche Blockade, über die er bislang immer wieder gestolpert ist, auf. Als er von dem Vorhaben erfuhr und sich dafür interessierte, sah er darin zunächst nur eine Gelegenheit, „mal zwei Wochen ein bisschen in Spanien herumzulaufen“. Mit dem Pilgerweg hatte er „eigentlich nichts am Hut“. Aber nach der ersten Etappe spürte er: „Da steckt mehr dahinter.“ Mit der „physischen Anstrengung“ sei auch eine „psychische Anstrengung“ einhergegangen, erzählt er. Ihn, der vorher nach eigener Einschätzung ein ziemlich „unzuverlässiger Geselle“ war, lehrte der Pilgerweg, dass sich Durchhalten lohnt, wenn man ein Ziel erreichen will. Es ist eine Erfahrung, die sich ihm einprägte für das spätere Leben, wie er sagt.
Inzwischen arbeitet Dominik Schoch zuverlässig als Koch im „Jakobushof“, einer Einrichtung der AGJ Wohnungslosenhilfe in Radolfzell-Böhringen, und kümmert sich um eine Wohnung und einen Ausbildungsplatz. Beides hat er in Aussicht. Geklärt werden muss allerdings noch die Frage der Finanzierung. Der damit verbundene Weg durch die Bürokratie ist mühsam und anstrengend für ihn. Es braucht Geduld, die er nicht immer hat, wie er offen einräumt. Aber er will durchhalten.
Die „Menschlichkeit“ war es, die den 23-Jährigen am meisten beeindruckte auf dem „Camino“. Man spürte keine Unterschiede mehr, alle waren Pilger, alle hatten ein gemeinsames Ziel. Über das Kennenlernen anderer, teilweise wildfremder Menschen hat Dominik Schoch einen neuen Zugang auch zu den Sozialarbeitern daheim bekommen, die er zuvor eher als seine „Feinde“ angesehen hat, wie er gesteht. „Wir waren auf Augenhöhe: Sozialarbeiter, Wohnungsloser – beide nur mit dem Rucksack drei Wochen unterwegs, nach Santiago.“
Bis an die eigenen Grenzen – und darüber hinaus
Insgesamt 22 Menschen machten sich nach einer langen und intensiven Vorbereitungszeit, ausgestattet mit dem Pilgersegen des Konstanzer Dekans Matthias Trennert-Hellwig, am 24. April gemeinsam auf und kamen in zwei Gruppen – zu Fuß und mit dem Fahrrad – am 13. Mai in Santiago de Compostela an.
Der „Camino“ war für viele der Wohnungslosen ein ganz neuer Weg. Einige von ihnen verließen zum ersten Mal ihr gewohntes Lebensumfeld. Die meisten derer, die den größten Teil ihres Tages allein auf der Straße verbringen, waren herausgefordert durch die Gruppenaktivität. Aber alle gemeinsam machten die Erfahrung, dass auch sie etwas „auf die Beine stellen können“, dass sie ein Ziel auch tatsächlich erreichen können. Das führte alle an ihre Grenzen – und auch darüber hinaus. „Jeden Tag habe ich mich gefragt, ob ich es schaffe. Und es ging“, so eine Rückmeldung aus der Pilgergruppe. Für manche war der Pilgerweg eine „emotionale Achterbahn“, andere beschreiben das „sich auf den Weg machen“ als ihre entscheidende Erfahrung: „Ich habe meine Mauern eingelaufen“, brachte einer der Teilnehmer seine ganz persönliche Erfahrung als Pilger auf den Punkt.
Verwirklicht werden konnte das Projekt vor allem durch eine Förderung des Diözesan-Caritasverbandes Freiburg aus den Mitteln der Caritas-Sammlung sowie Spenden aus der Bevölkerung. Aber auch – und das ist der verantwortlichen Initiatorin Susanne Graf von der AGJ Wohnungslosenhilfe wichtig zu betonen –, „weil wohnungslose Menschen sich engagiert und durch zusätzliche Aktivitäten Geld eingenommen haben, weil sie ihr Eigengeld voll dafür einsetzten und weil sich alle mit dem Einfachsten begnügten“.
Der Weg, den die Gruppe zurücklegte, war viel weiter als die 200 Kilometer Fußweg oder die 400 Kilometer per Fahrrad. „Es war ein Pilgerweg, der den Menschen in den Mittelpunkt stellte und der zeigte, dass Gesundheit mehr braucht als Aspirin“, so das Fazit von Susanne Graf.