Kennt ihr die Armen eurer Stadt?
am diesjährigen Caritas-Sonntag im Ruhrbistum, der wie immer samstags seine Hauptveranstaltung erlebte, nahmen neben zahlreichen Mitarbeitern und Ehrenamtlichen des katholischen Wohlfahrtsverbands auch Vertreter der Kommunal- und Landespolitik teil. Heike Reinecke vom NRW-Gesundheitsministerium, Michael Sprünken vom Gesundheitsamt der Stadt Bochum sowie die Caritasdirektoren Andreas Meiwes und Ulrich Kemner erörterten bei einer Podiumsdiskussion, wie die Gesundheit armer Menschen verbessert werden kann. Dabei setzen Caritas und Politik vor allem auf Prävention. Idealerweise müssten schon im Kindesalter die Weichen für eine gesunde Lebensführung gestellt werden.
Die Praxisgebühr steuert nicht
Ein besonderes Hindernis sahen alle Teilnehmer in der Praxisgebühr: "Als Steuerungsinstrument hat sie völlig versagt. Stattdessen werden benachteiligte Menschen durch die Praxisgebühr davon abgehalten, frühzeitig zum Arzt zu gehen", kritisierte Diözesan-Caritasdirektor Andreas Meiwes. Zwar sei das solidarisch ausgerichtete deutsche Gesundheitssystem eines der besten der Welt, doch hätten nicht alle die gleichen Zugangsvoraussetzungen. Meiwes forderte daher: "In Deutschland darf Gesundheit nicht länger von Einkommen, Bildung oder dem Aufenthaltsstatus eines Menschen abhängen."
Besondere Aktualität erhält das Thema "Armut" durch den kürzlich veröffentlichten Armutsbericht der Bundesregierung: "15 Prozent der Deutschen sind armutsgefährdet", berichtete Ulrich Kemner, Direktor der Caritas für Bochum und Wattenscheid. "Für diese Menschen sind wir heute hier, denn die Caritas versteht sich als Anwalt Benachteiligter in Deutschland."
Im Anschluss berichteten Praktiker der sozialen Arbeit von ihren Erfahrungen. Dabei wurde deutlich, wie belastend Armut und Krankheit für Menschen sein können. Ulrike Langer, Leiterin des Bochumer Frauenhauses, appellierte an Freunde, Nachbarn und Verwandte: "Wenn Sie Not sehen, versuchen sie zu helfen!"
Ein besonderer Hingucker waren nicht zuletzt die Bilder von Andre Zelck, die im Großformat den Platz überragten. In sensiblen und zugleich ausdrucksstarken Momentaufnahmen hat der Essener Fotograf Alltagsszenen in Bochumer Familien festgehalten, die am Existenzminimum leben.
Zum Abschluss der zentralen Veranstaltung zelebrierte "Caritasbischof" Franz Vorrath die Heilige Messe in der Liebfrauenkirche in Bochum-Altenbochum. In seiner Predigt appellierte der Weihbischof: "Die Erkenntnis, dass Armut oft mit Krankheit einhergeht oder dass Herkunft die Bildungschancen entscheidend beeinflusst, darf für uns kein akademisches Glasperlenspiel werden. Für uns (als Christen) sind es Rufe Gottes an unsere Talente, an unsere Gaben, an unser Gewissen." Er forderte dazu auf, die "Zeichen der Zeit" zu erkennen, über die Grundstücksgrenzen der Pfarrei hinaus zu denken, Mut zu haben und "Hinauszugehen" um Gottes und der Menschen Willen. Er zitierte Mutter Theresa: "Kennt Ihr die Armen Eurer Stadt, Eurer Gemeinde?"
Felix Groß