"Blick dahinter" gegen Tabu
Werner S., 52 Jahre, Anwalt, ist immer zu allen freundlich und nett. Seit jedoch die Buchhandlung seiner Frau Ivana, 47 Jahre, erfolgreicher läuft als seine eigene Kanzlei wird Werner zu Hause immer ungemütlicher. Er fühlt sich nicht länger als Ernährer und Beschützer und wird von Eifersucht gequält. Wieder und wieder unterstellt er Ivana, sie würde mit jedem männlichen Kunden flirten und nennt Ivana tagelang nur Schlampe, liest ihre E-Mails und kassiert ihr Handy ein. In der Buchhandlung startet Werner stündliche Kontrollanrufe. Ivana fühlt sich zunehmend eingeschüchtert und verliert immer mehr an Selbstwertgefühl. Ivanas Schwester ahnt, was los ist. Aber vorsichtshalber mischt sie sich nicht ein und spricht Ivana auch nicht darauf an, denn sie findet, eine Beziehung ist letztlich doch Privatsache …
Diese Beschreibung findet sich auf mehreren zu drehenden Bildtafeln der Wanderausstellung „Blick dahinter – Häusliche Gewalt gegen Frauen“ des Bayerischen Sozialministeriums, die das Caritas-Frauenhaus im Frühjahr in den Ingolstädter Westpark holte. Das Beispiel veranschaulicht: Erstens leiden viele Frauen unter psychischer Gewalt, die von Einschüchterung bis hin zu Psychoterror reicht. Zweitens stellt häusliche Gewalt oft einen Machtfaktor dar und dient dazu, die Kontrolle und Beherrschung in einer Partnerschaft zu erlangen oder zu behalten. Drittens kommt häusliche Gewalt nicht vorrangig in Familien mit finanziellen Problemen vor, sondern genauso häufig in Akademikerhaushalten. Viertens liegt nach wie vor der Mantel des Schweigens über diesem Thema.
Gedenktag als Chance zur Erinnerung
Andere Informationen in dieser Ausstellung haben die Westparkbesucher auf weitere Facetten aufmerksam gemacht, an die sie sich vielleicht erinnern, wenn am 25. November der internationale Gedenktag „NEIN zu Gewalt an Frauen“ begangen wird. Möglicherweise kommt ihnen dann wieder in den Sinn, dass nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) häusliche Gewalt als eines der weltweit größten Gesundheitsrisiken für Frauen gilt. Vielleicht werden sich einige seinerzeitige Passanten im Westpark dann auch nochmals der für sie unbegreiflichen Dimension des Problems bewusst: Viele, mit denen die Mitarbeiterin des Caritas-Frauenhauses Katharina Graf sprach, waren nach deren Worten „vor allem überrascht und erschrocken über die Information, dass jede vierte Frau in Deutschland mindestens einmal eine Form der körperlichen oder sexuellen Gewalt durch den Beziehungspartner erlebt hat“. Mancher damalige Passant hat vielleicht auch nochmals die Bildtafel vor Augen, auf der die Worte einer Studentin zu lesen waren „Nie hätte ich gedacht, dass mir so was passiert. Beim Wort Vergewaltigung habe ich immer nur an fremde Männer gedacht“. Nach Informationen in der Ausstellung wird entgegen landläufiger Meinungen „sexuelle Gewalt gegen Frauen in der weit größeren Zahl aller Fälle nicht durch Fremde ausgeübt, sondern rund zwei Drittel aller sexuellen Gewalttaten finden im Bekannten- und Familienkreis statt“.
Über Kopfhörer waren in der Ausstellung auch bedrückende Aussagen von betroffenen Kindern zu hören: „Manchmal wenn meine kleine Schwester wütend ist, dann sagt sie: Hör auf, sonst packe ich dich am Hals wie der Papa die Mama“, sagte ein kleiner Junge und ein Mädchen: „Ich wünsche mir eine Playmobil-Ritterburg und, dass ich den Papa mal wieder sehen darf, aber nur mit zwei Polizisten.“ Diese Zitate bestärken auch, was eine Besucherin ins Gästebuch der Ausstellung schrieb: „Weiterhin viel Erfolg für die Arbeit der Frauenhäuser! Wir brauchen sie. Was fehlt, sind parallel dazu Beratungsstellen für Männer.“
Nach dem Wunsch von Frauenhausleiterin Marianne Frinken sollte die Ausstellung dazu beitragen, Tabus und Mauern des Schweigens zu brechen. Im Beispiel Ivanas gelingt dies noch: Sie lässt sich von einer Freundin überreden, Beratungsstellen aufzusuchen. Die Mitarbeiterinnen des Frauenhauses hoffen, dass dies auch viele andere bisher schweigende Frauen tun. Auch Frauen, die keine Aufnahme ins Frauenhaus wünschen, werden beraten: Telefon: 08 41 / 7 77 87. Weitere Informationen zum Caritas-Frauenhaus Ingolstadt gibt es unter www.caritas-frauenhaus.de und zur Ausstellung unter www.blick-dahinter.bayern.de