Eine Caritasfrau durch und durch
Elsbeth Rickers hat Weltgeschichte hautnah miterlebt, und unzähligen Menschen vermittelt, was Caritas ausmacht: lebenslanger Einsatz für andere. Seit mehr als 60 Jahren ist sie "Caritasfrau durch und durch”. Die ehemalige stellvertretende Vorsitzende des Diözesan-Caritasverbandes im Erzbistum Paderborn blickt auf eine einzigartige Lebensleistung zurück.
"Wollen Sie einen Kaffee? Mit Milch und Zucker?" fragt Elsbeth Rickers. Die alte Dame brüht den Kaffee selbst auf, stellt die Tassen mit Platzdeckchen auf den Wohnzimmertisch, holt Kekse. Diese elegante Erscheinung mit den hellwachen Augen und dem schelmischem Lächeln soll 96 Jahre alt sein? "Das liegt bei uns ein bisschen in der Familie, mein Vater ist auch über 90 geworden." Elsbeth Rickers lächelt. Und verrät ihren Jungbrunnen: "Man bleibt lebendiger, wenn der Geist wach bleibt und man sich für andere interessiert." Genau das hat die Wendenerin aus dem Kreis Olpe ihr ganzes Leben getan - seit 1945 arbeitet sie in der Erzdiözese ehrenamtlich mit. Sie gehört zu den Caritas-Pionierinnen, die vor allem für die Menschen auf dem Land in Nachkriegs-Deutschland Großes geleistet hat. Dafür hat sie als erste Frau überhaupt vom Papst den Päpstlichen Silvesterorden und den Silbernen Brotteller als höchste Auszeichnung der Caritas erhalten.
Rückblende: Am 20. April 1916 wurde Elsbeth Rickers in Essen geboren, nur wenige Monate, nachdem der Diözesan-Caritasverband Paderborn gegründet worden war. Mit 13 Jahren kam sie ins katholische Wenden, der Vater war Direktor der örtlichen Strumpffabrik. Es folgte ein Jahr im Ursulinenkloster in Belgien: Hier lernte die gutbürgerliche Tochter "gutes Benehmen, Kochen, und die französische Sprache". Eine Schule fürs Leben - danach hatte sie nie wieder Scheu, auf große politische Empfänge und Banketts zu gehen, Konversation zu betreiben. In den dreißiger Jahre ließ sie sich im katholischen Johannishospital in Bonn bei den Borromäerinnen zur Krankenschwester ausbilden, später wurde sie Röntgenassistentin. Für Elsbeth Rickers eine wichtige Station in ihrem langen Leben: "Hier hab ich Caritas gelernt, den Umgang mit kranken Menschen, den Umgang mit Menschen in Ausnahmesituationen."
Als Tochter aus gutem Haus - woher kam das Interesse an anderen Menschen? Es ist ihr, so Elsbeth Rickers, in die Wiege gelegt worden. Sowohl ihr Vater wie die Mutter waren sozial eingestellt und im frühen Elisabeth-Verein ihrer Kirchengemeinde aktiv. Das hieß praktischer Dienst am Nächsten: Neun bis zwölf Kinder waren damals in den Familien keine Seltenheit, in den reicheren Haushalten wurde für die kinderreichen Familien oft mitgekocht. Elsbeth Rickers: "Von meiner Mutter hab ich gelernt, dass dieses Helfen selbstverständlich ist. Wenn ich Not sah, wusste ich, dass man helfen muss."
Das erklärt auch ihre Tatkraft nach dem Krieg, obwohl sie selbst Schlimmes durchgemacht hat: Mit zwei kleinen Kindern flüchtete sie im Dezember 1943 aus Leipzig, wo sie damals mit ihrer Familie lebte, nur wenige Stunden vor dem großen Bombenangriff. Ihr Mann gilt bis heute als vermisst. Zurück in Wenden half sie den Menschen, denen es noch schlechter ging als ihr: 1945 schloss sie sich der Wendener Pfarrcaritas an, fuhr mit Rad und ihren zwei kleinen Kindern zu Landrat und Fabrik-Besitzern, um Strohsäcke, Eimer, Wannen oder Waschbretter für die vielen Heimatvertriebenen im Lager Brün zu organisieren. Auch später, als die allergrößte Not gelindert war, schaffte Elsbeth Rickers es mit dem ihr eigenen Kopf fast immer, Politiker, Industrielle oder andere einflussreiche Menschen für ihre wohltätigen Ziele zu mobilisieren. So gründete sie 1947 über die Caritas den allerersten Kindergarten im Kreis Olpe im Lager Brün. Weil so viel Engagement und Durchsetzungskraft auffielen, wurde sie schließlich in den Vorstand des Diözesan-Caritasverbandes gewählt. Von 1973 bis 1995 war sie dort stellvertretende Vorsitzende.
Durch die Caritas-Arbeit kannte sie die Nöten und Sorgen der Menschen, und diese Kenntnisse setzte sie auch als Politikerin ein. So war sie allein 15 Jahre im Düsseldorfer Landtag tätig. Denn Elsbeth Rickers erkannte schon früh: "Ohne politische Macht können Sie nichts durchsetzen. Und ohne Geld auch nicht." Zwei Beispiele: Als Mitglied des Zentralrats des Deutschen Caritasverbandes setzte sie sich zum Beispiel für die Akzeptanz der Hospize ein. Nach dem Vorbild des Christoferhospizes in London gründete sie in Lennestadt-Altenhundem das erste Hospiz auf dem Land in Deutschland. Auch das Mutter-Kind-Haus Aline in Olpe wäre vor über 15 Jahren ohne ihren Einsatz nicht entstanden. "Am Anfang kamen keine Frauen, heute gibt es eine lange Warteliste", erzählt Elsbeth Rickers. Was wünscht sie der Caritas für die Zukunft? "Weniger Bürokratie, mehr Zeit für die Menschen. Und viele hauptamtliche christlich motivierte Mitarbeiter. Denn die Caritas ist das Liebeswerk der Kirche."