"Das A und O ist Liebe"
Dia zündet noch die letzten zwei Teelichter in den petrol-goldenen Schalen auf den Tischen an und Odah checkt im Tablet die Reservierungen. "Sieht gut aus", sagt er. "Bis auf vier Tische ist alles belegt." Dann öffnet sich auch schon die Tür und die beiden Kellner des "Kreuzberger Himmels" begrüßen ihre ersten Gäste des Abends.
Seit Anfang des Jahres liegt die einstige Kirchenkneipe der St. Bonifatius-Pfarrei in der Verantwortung des gemeinnützigen Vereins "Be an Angel", der seit August 2015 Geflüchtete unterstützt. Die Idee in Kreuzberg: ein syrisches Restaurant als Ort der Integration und Begegnung zu schaffen. Hier arbeiten Geflüchtete als Köche, Barkeeper und Kellner.
So wie Dia. Der 23-Jährige Syrer flüchtete vor etwa drei Jahren nach Deutschland. Im Restaurant ist er von Beginn an dabei. "Ich habe die Wände mit gestrichen", erzählt er und lächelt. "Eigentlich wollte ich an die Bar", gibt er zu, "aber dann wurden Leute im Service gebraucht." Durch die Gespräche mit den Gästen habe er Deutsch gelernt. Einen Sprachkurs durfte er nämlich bisher nicht besuchen, weil der Aufenthaltsstatus lange nicht geklärt war. Die Arbeit im Restaurant mache ihm Spaß. "Es freut mich, wenn den Leuten unser Essen schmeckt. Denn das ist das, was wir auch in unserer Heimat essen."
Ein Stück Heimat ist das Restaurant für die Geflüchteten und vor allem die Chance, wieder in ein selbstständiges Leben zu finden. Die beiden Köche, die ein eigenes Restaurant hatten und in renommierten Hotels beschäftigt waren, können so in ihrem Beruf wieder arbeiten und für ihre Familien sorgen. Für Dia, der früher schon einmal als Pizzabäcker gejobbt hat, und andere junge Geflüchtete will der Verein "Be an Angel" noch in diesem Jahr fünf Ausbildungsplätze im Restaurant schaffen. Vereinsvorstand Andreas Tölke ist mit seinem Team gerade dabei, die Finanzierung dafür zu sichern. "Dafür brauchen wir nämlich einen Ausbilder, der ja auch entsprechend bezahlt werden muss", gibt Tölke zu bedenken. Kooperationen wie mit dem DEHOGA, dem Hotel- und Gaststättenverband, und Live-Jobbörsen sollen die jungen Leute in Ausbildung und Beschäftigung auch über den Kreuzberger Himmel hinaus bringen.
Doch das Konzept des Vereins geht noch weiter: Geplant ist auch ein Kindermittagstisch. Zum einen, weil jedes Kind Anspruch auf eine warme Mahlzeit habe, wie Andreas Tölke betont, zum anderen, um Integration und Toleranz auch von der anderen Seite der Gesellschaft anzugehen. "Wenn der kleine Kevin nach Hause kommt und sagt, der Odah hat uns da das Essen serviert und das hat total lecker geschmeckt, wird der Papa vermutlich erstmal schlucken und kann dann schlecht mehr was gegen ‚die Ausländer‘ sagen", sieht es Tölke ganz pragmatisch.
Pfarrer Oliver Cornelius von St. Bonifatius freut sich, mit "Be an Angel" einen neuen Betreiber für den Kreuzberger Himmel gefunden zu haben, der den Geist des Ortes fortführt. "Als wir uns für den Verein entschieden haben, war das für uns ein Wagnis, jemanden ohne kirchlichen Hintergrund zu nehmen", erklärt Pfarrer Cornelius. "Doch wir haben das als Chance gesehen und sind überzeugt, dass da Gutes draus entstehen wird." Die Glaubensinformationen der Gemeinde finden bereits wieder wie früher im hinteren Raum des Restaurants statt und auch für die Zukunft sind Veranstaltungen von St. Bonifatius dort geplant. "Wir sind ja jetzt erst am Anfang", gibt Pfarrer Cornelius zu Bedenken, "aber es gibt schon viele gute Ideen."
Und auch den Gästen gefällt es im neuen Kreuzberger Himmel. Wolfgang Nadolski, Regina Knosallah und ihr Mann Hubert haben sich hier heute zum Essen verabredet. "Wir sind total neugierig", sagt Regina Knosallah. "Das war früher mein zweites Kinderzimmer", erzählt sie und zeigt zu dem rechten Restaurantbereich, an dessen Wand ein großes Gemälde aus Versaille hängt. "Ich stamme aus der Gemeinde und dem Vater meiner besten Freundin gehörte der Zigarettenladen, der hier einmal drin war. Da haben wir immer gespielt." Die drei kennen auch den Kreuzberger Himmel, als der noch Kirchencafé und Klosterschänke war. Wolfgang Nadolski hatte sich damals mit vielen Ideen eingebracht. "Toll, was da jetzt draus geworden ist." Bei der Bestellung probiert er gleich seine spärlichen Arabischkenntnisse aus. Dia lächelt und revanchiert sich mit der deutschen Übersetzung.
Ungezwungen miteinander ins Gespräch zu kommen und gutes Essen zu genießen, auch das gehört zum Restaurantkonzept. Dabei gehe es nicht in erster Linie darum, die teils schrecklichen Geschichten der Geflüchteten zu hören, betont Andreas Tölke. Es gehe ums Kennenlernen. Ein netter Smalltalk ist genauso in Ordnung wie ein intensives Gespräch - in netter Atmosphäre, mit gutem Essen.
Bei Wolfgang Nadolski und dem Ehepaar Knosallah kommt das Konzept an: "Wir sind ganz begeistert", sagt Regina Knosallah, während sie die letzten Happen ihrer gefüllten Teigtaschen isst. Sie ist überzeugt: Aus ihrem einstigen "Kinderzimmer" könnte jetzt das "Esszimmer" werden.
Genau diese "entzückenden" Begegnungen seien Motivation und Bestätigung, auf dem richtigen Weg zu sein, meint Andreas Tölke. Er glaubt fest an die Vision, aus dem Kreuzberger Himmel einen wirtschaftlich rentablen Betrieb über den Integrationsgedanken hinaus aufzubauen. Zum Abschied gibt er noch mit auf den Weg: "Das A und O ist Liebe."