"...das macht den Leuten Mut"
"Was, niemand da?" Herr P., ein Görlitzer, der aus Polen stammt, ist begeistert, als er in den leeren Flur vor der Migrationsberatung der Caritas aus dem Wilhelmsplatz in Görlitz blickt. Sonst herrscht hier am Dienstag früh Hochbetrieb. Nach Ostern ist es ruhiger. So hat er den Berater, Alexander Enz, und dessen Assistentin, Milena Manukyan aus Armenien, die seit einiger Zeit mit Mann und drei Kindern in Görlitz lebt, ganz für sich.
Es ist genügend Zeit, zu diskutieren, wie es sich bei Rentenbeginn mit der Krankenversicherung verhält. Herr P. erwartet eine ansehnliche Rente aus Polen und eine kleinere aus Deutschland. Freiwillige Versicherung, die Verordnung über die europäischen Sozialsysteme, Krankenversicherung der Rentner, das sind die Themen, um die es geht.
Herr P. spricht mit Fachleuten. Alexander Enz ist Volljurist und hat in Tübingen studiert, Milena Manukyan hat ein juristisches Diplom an der Hochschule in Moskau erworben.
Hilfe bei den ersten Schritten
So eine spezielle Beratung ist nicht die eigentliche Aufgabe der Beratungsstelle. Diese soll zugewanderten Menschen bei den ersten Schritten in der neuen Umgebung unter die Arme greifen: Wie sucht man eine Wohnung, einen Sprachkurs, eine Schule für die Kinder.
Die bevorzugte Sprache der Beratung ist deutsch. Die Ratsuchenden lernen alle, im Sprachkurs, in der Schule, im Internet und freuen sich, wenn sie ihre Fortschritte präsentieren können. Bei schwierigen Fragen bietet die Beratung im Russischen, Polnischen, Armenischen und Englischen Muttersprachqualitäten. Arabisch, Farsi, Urdu und anderes lassen sich auch bewältigen. Es findet sich auf dem Flur oder in der Nachbarschaft ein Zuwanderer, der übersetzen kann. Ohnehin ist der Warteraum ein Ort wechselseitiger Solidarität. Es werden Bekanntschaften geschlossen, Möbel getauscht, es wird getröstet, verstanden und geholfen.
Seit 2016 stehen nun auch Menschen aus dem Nahen Osten, Afrika und Afghanistan (zusammen circa 40 Prozent der Anfragen) vor der Tür, aus über 20 verschiedenen Ländern. Dabei war Görlitz wegen der Grenzlage immer ein Ort, an dem Menschen aus dem Ausland ein neues Leben begonnen haben.
Zusammenarbeit funktioniert
Die Berater haben sich deshalb mit den Gewohnheiten der muslimischen Welt beschäftigt. Gleichzeitig vermitteln sie auch immer wieder, wie es hierzulande so zugeht. Der Handschlag, die Art eine Bitte zu formulieren, wann wird gelacht, warum und wieviel. Manchmal scheint es, dass sich Muslime im kirchlichen Umfeld besser zurecht finden als im rein Säkularen der Behörden und Ämter.
Der Weg in die neue Heimat wird in Deutschland über Formulare beschritten. Formulare der Ausländerbehörde, der Arbeitsverwaltung, der Krankenkassen. Viele tausend Seiten jedes Jahr werden hier gefüllt. "Die Ausfüllarbeit ist zwar manchmal eintönig", gibt Herr Enz zu, "andererseits ist es eine gute Möglichkeit, mit den Menschen entlang der Punkte im Formular ins Gespräch zu kommen, nach den Kindern zu fragen, die oft mit dabei sind, oder etwas über den Geburtsort zu plaudern."
Aber es sind nicht nur Formalitäten, mit denen sich die Beratung befasst. "Wie kann ich mich scheiden lassen?", so beginnt manches Gespräch. Ein schwieriger Nachbar, eine ärztliche Diagnose oder Depressionen, vielleicht verursacht durch den Verlust der gewohnten Welt oder schlicht Einsamkeit bewegen die Menschen.
Sicherheit geben
Oft ist es ein Segen, dass Frau Manukyan da ist, die selbst eingewandert ist und als Frau und Mutter die Dinge noch einmal etwas anders betrachten und erklären kann.
"Pro Jahr wenden sich weit über 500 Personen und Familien an uns, so dass wir wesentlich mit der Klärung behördlicher und rechtlicher Fragen ausgelastet sind. Je Woche führen wir zwischen 40 und 60 Beratungen durch. Für die Erstellung detaillierter Konzepte der individuellen Integration bleibt selten Zeit."
"Andererseits", so der Berater, "gibt unsere Arbeit den Menschen Sicherheit. Einige haben in ihrem ganzen Leben noch keinen amtlichen Schriftverkehr führen müssen. Die Post beunruhigt sie - wie viele Hiesige übrigens auch. Wir machen die Post auf und erledigen, was drin ist. Keiner soll ohne irgendetwas wieder nach Hause gehen. Diese Regel versuchen wir zu beherzigen."
"Wir erleben für gewöhnlich, dass Neubürger sich über die Erledigung der behördlichen Dinge in die deutschen Lebensverhältnisse einfinden", erklärt Herr Enz weiter. "Viele unserer Besucher sind nach drei Jahren selbstständig und berufstätig, wie der 34-jährige Familienvater und Grundschullehrer Yahia aus Daraa/Syrien, der eine Ausbildung als Elektroniker in Bautzen beginnen konnte."
Einen Platz gefunden
Der Berater trifft diese Menschen täglich. Im Sportgeschäft berät ein junger, aufgeschossener Mann und übermittelt dann Grüße von den Eltern. Ratloser Blick. Kuba? Der Junge ist wirklich schwer wiederzuerkennen. Nicht einmal die polnischen Wurzeln. Er spricht akzentfrei. Als der begeisterte Basketballer sich Sportschuhe kaufen wollte, stand er zehn Minuten in eben dem Sportgeschäft, ohne einen Verkäufer ausmachen zu können. Er suchte den Besitzer auf, wies auf die Lücke hin. Seither verkauft er im Schülerjob Sportartikel. Hauptamtlich macht er bald Abitur, um Ingenieur zu werden.
"Es ist schön", räumt Herr Enz ein, "zu sehen, dass die Menschen in der Stadt einen Platz gefunden haben, als Physiotherapeut, Hausmeister, Apotheker oder Putzfrau und als Mitbewohner. Das spricht nicht nur die Zuwanderer, sondern auch oder vor allem für die, die diesen Platz eingeräumt haben."
Neben den Beratern stehen Zuwanderern auch Helfer in Kirchen und Vereinen, Schulen und Sprachkursen zur Seite. Oft rufen diese Akteure in der Beratung an, stellen Fragen oder schütten einfach nur ihr Herz aus.
"Wir versuchen, die Dinge auch immer so gut es geht heiter zu nehmen, gute Stimmung zu haben, das macht den Leuten Mut", schließt Herr Enz.
In der kommenden Woche wird wieder mehr Betrieb sein, Anträge, Telefonrechnungen, Nebenkostenabrechnungen und natürlich Rundfunkgebühren. Und dazwischen, so Gott will, auch der ein oder andere Plausch über die Dinge, die im Leben wirklich wichtig sind.
INFO:
Caritas-Region Görlitz
Migrationsberatung
Wilhelmsplatz 2, 02826 Görlitz
Telefon: 0 35 81-8 76 74 70
E-Mail: migration@caritasgoerli