Heike, das Buch
Heike bestellte und kaufte eine Unmenge Sachen, um alles wieder zu verschenken. Vor allem teure Handtaschen, Brillen, Kleidung und Schmuck haben es ihr angetan. "Ich war wie in einem Teufelskreis, sobald ich diese innere Leere verspürte, kam der Zwang etwas zu kaufen." Heute hat die Spätaussiedlerin ihre Krankheit erfolgreich therapiert und ihrem Leben einen Sinn gegeben. Wer erfahren will, wie es überhaupt dazu kam und was man tun kann, nicht von der Kaufsucht gepackt zu werden, kann sich das Buch "Heike" ausleihen. Sie ist ein lebendes "Buch" in der lebenden Bibliothek des Bonner Caritasverbandes.
"In jedem Menschen schlummern Geschichten, genau wie in interessanten Büchern", sagt Sabine Kern, die das Projekt 2014 zum Kölner Diözesan-Caritasverband e.V. und 2017 zum Caritasverband der Stadt Bonn brachte "Denn jeder Mensch hat etwas, was ihn einzigartig macht." Wer sich auf ein Gespräch einlässt, kann aus den Erlebnissen und Erfahrungen des Erzählenden lernen, baue Vorurteile ab und gibt das Schubladendenken auf, ist sich die Organisatorin sicher. "Oft merkt man im Gespräch, dass es mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede gibt." Besonders Menschen, die normalerweise keine Stimme in der Öffentlichkeit haben, sollen zu Wort kommen.
Wer ein "lebendes Buch" ausleihen möchte, lässt sich einen Leseausweis ausstellen und wählt in einer Kartei ein "Buch" aus. Das 30-minütige Gespräch findet in der Gruppe oder unter vier Augen statt.
Auch Berivan Pektas ist ein "lebendes Buch" - mit dem Buchtitel: "Ich trage ein Kopftuch, trotzdem bin ich nicht von gestern." Im Gespräch erzählt sie, was sie als Muslima im Alltag erlebt und was sie dabei empfindet.
"Ich mag die lebende Bibliothek, denn verschiedene Leute treffen aufeinander, die sich sonst wohl nie über die Füße gelaufen wären", glaubt Finn Ludwig, ein junger Mann, der ursprünglich als Franziska auf die Welt kam. Das Interesse an seiner Geschichte ist groß - oft wird er gefragt, wann er gemerkt hat, dass er im falschen Körper geboren wurde.
Die Datenbank der "lebenden Bibliothek" enthält 350 Personen. Mit dabei ist zum Beispiel Bianca, eine contergangeschädigte Erzieherin. Sie feierte schon im Behinderten-Pferdesport internationale Erfolge. Es gibt Frauen die seit Jahren blind sind und davon erzählen, oder Obdachlose, die von ihrem Leben auf der Straße berichten. Auch Flüchtlinge, die erzählen wie es ist, die alte Heimat verlassen zu müssen und in der neuen noch nicht angekommen zu sein, finden sich in den Beständen ebenso wie ein Kapuzinermönch, ein ehemaliger Bankräuber, ein Pfarrer, der in seiner Freizeit als Elvis-Imitator auftritt oder eine Weltenbummlerin.
Hinweis: Informationen über die "lebende Bibliothek" gibt es beim Caritasverband der Stadt Bonn unter Telefon (02 28) 2 67 17 19. Ansprechpartnerin: Evelyn Tremel, E-Mail: evelyn.tremel@caritas-bonn.de
Die komplette Ausgabe 1/2018 des MIGrations-MAGazins ist unter folgendem Link abrufbar: http://www.kam-info-migration.de