Wie Mehdi vom Geflüchteten zum Azubi wurde
Mehdi (Zuname der Redaktion bekannt) ist heute nur zu Besuch im Altenpflegeheim St. Bonifatius im mittelhessischen Stadtallendorf. Deshalb hat er auch nicht seine Dienstkleidung angelegt, sondern geht in Zivil durch die Einrichtung, in der er die letzten eineinhalb Jahre tätig war. Die Bewohnerinnen und Bewohner merken auf, grüßen ihn, scherzen mit ihm. Für einige nimmt er sich kurz Zeit für ein Schwätzchen. In erster Linie aber will Mehdi dem Reporter in seiner Begleitung "seinen" Wohnbereich vorstellen, wo er nach einem Bundesfreiwilligendienst nun auch erfolgreich die Ausbildung zum examinierten Pflegehelfer absolviert hat. Mehdi hat nun frei, will sich in anderen Einrichtungen umschauen, weitere praktische Erfahrungen sammeln und sein Deutsch - derzeit auf B 1-Niveau - noch etwas schulen. Im Oktober, so ist es mit dem Einrichtungsleiter Fionn Wittkowsky besprochen, wird Mehdi ins St. Bonifatius zurückkehren und die zweijährige Weiterbildung zum examinierten Altenpfleger angehen. "Es ist ohne Frage gut für ihn, jetzt ein paar Monate für sich zu nutzen, um sich weiterzuentwickeln", betont Wittkowsky, "aber wir freuen uns natürlich alle schon darauf, dass Mehdi dann im Herbst wieder hier im Team sein wird. Sie sehen ja selbst, er hat regelrechte Fans unter der Bewohnerschaft, und auch als Kollege wird er sehr geschätzt!" Der Einrichtungsleiter weist hinüber, wo Mehdi ins Gespräch mit drei alten Damen vertieft ist.
Die Geschichte von Mehdi und dem Altenpflegeheim St. Bonifatius begann 2015. Da kam der jetzt 36-Jährige nach einer Zwischenstation in der Türkei als christlicher Flüchtling aus dem Iran nach Deutschland und landete in Stadtallendorf. Ersten Unterschlupf bot ihm und ein paar anderen jüngeren Männern das Gemeindezentrum der evangelischen Kirchengemeinde vor Ort. Da der dortige Pfarrer schon bald geeignete Praktikumsplätze für seine "Schützlinge" suchte, sprach er die ihm bekannte Leiterin der Sozialen Betreuung im Caritas-Altenpflegeheim, Martina Werner, an. Sie nahm Mehdi nach dem Kennenlernen zu ersten Stippvisiten mit in die katholische Senioreneinrichtung. Das war sein erster "Auftritt".
Ein gutes Händchen für alte Menschen
Schnell erwies sich: Mehdi hat einen guten Draht zu den alten Leuten. Trotz geringer Deutschkenntnisse kam er mit den Seniorinnen und Senioren schnell und inniglich ins Gespräch, war bald ein sehr gern gesehener Freiwilliger, der kräftig in der Tagesbetreuung mithalf. "Ich habe vor meinem Weggang aus Persien mehrere Jahre meine kranke Mutter betreut", erklärt er. "Daher war das eigentlich ein bisschen wie eine Rückkehr für mich, als ich hier das St. Bonifatius kennenlernte!"
Auch Einrichtungsleiter Fionn Wittkowsky hatte das Gefühl, hier habe einer seine echte Berufung gefunden. "Der stärker werdende Fachkräftemangel ist ja ein großes Thema auch bei uns in der Provinz, und nun hatten wir einen jungen Mann, der diesen Beruf ergreifen wollte. Nur war er Flüchtling und kam aus dem Iran. Um ihm den Berufsstart bei uns zu ermöglichen …" - Wittkowsky schmunzelt - "… mussten wir ein regelrechtes Projekt starten, bei dem wir alle die ganze deutsche Bürokratie von A bis Z richtig kennenlernten!"
Bewohner haben Deutsch gelehrt
Zunächst ging es um die Erlaubnis, dass Mehdi noch im Asylverfahren und ohne Aufenthaltstitel einen Bundesfreiwilligendienst im Altenpflegeheim angehen konnte. Dazu bedurfte es einer Ausnahmegenehmigung. "Mit vereinten Kräften haben wir es geschafft", sagt Martina Werner. "Für die Bewohner war das eine schöne Neuigkeit. Sie hatten Mehdi ja bereits voll ‚adoptiert‘. Einige Bewohner haben ihm Sprachunterricht gegeben, so dass er als Freiwilliger und später beim Arbeiten sein Deutsch ganz nebenbei verbessern konnte." "Es könnte aber noch besser werden", schränkt Mehdi ein. "Deutsch ist eine schwere Sprache." Trotzdem ist er zufrieden, wie sich sein Leben seit der Ankunft in Hessen entwickelt hat. "Ich wusste überhaupt nicht, was hier auf mich zukommt. Ich wusste auch nicht, dass ich hier Altenpflege lernen würde. Aber ich bin sehr zufrieden. Die Arbeit gefällt mir, und die Menschen in Stadtallendorf sind sehr freundlich!"
Zur Altenpflegeschule der Arbeiterwohlfahrt, mit der das Caritas-Altenpflegeheim St. Bonifatius in Fragen der Pflegeausbildung zusammenarbeitet, ging Mehdi während der vergangenen zwölf Monate nach Marburg. Dort erfolgte auch die theoretische Examensprüfung. Die praktische Prüfung zum Pflegehelfer konnte Mehdi in dem ihm so vertrauten eigenen Wohnbereich in Stadtallendorf machen. Prüferin war Wohnbereichsleiterin Margret Euler: "Das war natürlich ein Heimspiel", lacht sie. "Aber Nerven kostet so eine Prüfung die Examenskandidaten natürlich trotzdem. Schließlich muss alles Gelernte in diesem Moment abrufbar sein. Da geht es Mehdi wie allen anderen." Rund drei Auszubildende je Wohnbereich gibt es jedes Jahr im Stadtallendorfer Caritas-Altenpflegeteam.
Freunde gefunden in der Stadt
Die Prüfung und das folgende halbjährige "Sabbatical" sind eine Zäsur für Mehdi. Klar ist, dass er in Stadtallendorf eine wirkliche Heimat gefunden hat. Und einen Beruf, den er gerne ausübt. Er konnte zahlreiche Freundschaften schließen in einer Stadt, in der wegen der ansässigen internationalen Unternehmen traditionell viele Menschen mit Migrationshintergrund leben und die Alteingesessenen nur circa 40 Prozent der Bevölkerung stellen. "Hier hat keiner wirklich Berührungsängste. Auch und gerade die Senioren nicht. Auch deshalb mag ich diese Altenpflege-Tätigkeit. Ich bin froh und dankbar, denn ich habe wirklich keine schlechten Erfahrungen machen müssen! Ich werde hier sehr gerne im Oktober meine Ausbildung fortsetzen."