Unverzichtbare Quelle menschlicher Zuwendungen
Pflegende Angehörige entlasten, Einkäufe, Behördengänge oder die Begleitung zum Arzt - es gibt viele alltägliche Dinge, bei denen hilfsbedürftige Menschen Unterstützung benötigen. Doch was tun, wenn keine Angehörige vorhanden sind oder weiter entfernt wohnen?
Das Problem hatte bereits vor 21 Jahren der Pfarrgemeinderat St. Jakobus in Schifferstadt erkannt und die Idee einer Nachbarschaftshilfe auf den Weg gebracht. Bei der Suche nach einer Verantwortlichen für diese Initiative stießen sie auf Rose Marie Juranek, die sich damals bereits als Lektorin, Kommunionhelferin und in der Jugendarbeit der Pfarrei engagierte. "Ich hatte überhaupt keine Ahnung, wie man ein solches Angebot aufbaut", erinnert sich die heute 76-Jährige. "Doch dann habe ich mir gesagt: Ich probiere es einfach!"
Telefon und Anrufbeantworter
Rose Marie Juranek krempelte die Ärmel hoch und suchte sich zunächst einmal Mitstreiter. "In meinem Bekanntenkreis erzählte ich von dem geplanten Angebot und machte es außerdem in der Presse publik." Auf diese Weise fanden sich sechs weitere begeisterte Ehrenamtliche.
Doch bevor es los gehen konnte, musste zunächst einmal ein eigenes Telefon mit Anschluss inklusive Anrufbeantworter angeschafft und zuhause bei Rose Marie Juranek eingerichtet werden. Im April 1991 fiel dann der Startschuss, nachdem die Presse über die "Nachbarschaftshilfe St. Jakobus", wie die Initiative zu Beginn hieß, berichtet hatte. Ab sofort konnten sich Hilfesuchende aus ganz Schifferstadt unter Telefon 82751 melden und um Unterstützung bitten. Doch die Anrufe ließen zunächst häufig auf sich warten. "Die Leute hatten einfach Hemmungen, sich zu melden", erinnert sich Rose Marie Juranek. Dass es einen Bedarf gab, darüber bestand keinen Zweifel. "Die Nachbarschaftshilfe wie früher funktioniert nicht mehr. Viele ziehen weg, sind berufstätig, und die älteren Menschen bleiben alleine zurück", weiß die verheiratete Mutter und Großmutter. "Zudem halten die Leute einfach nicht mehr so zusammen."
So ist es auch kein Wunder, dass es nicht allzu lange dauerte, bis sich mehr und mehr Hilfebedürftigen trauten und sich bei Rose Marie Juranek meldeten. Mittlerweile ist das Projekt eine feste Institution in der 20000 Einwohner zählenden Stadt und hat sich längst in "Ökumenische Nachbarschaftshilfe Schifferstadt" umbenannt. Auf diese Weise möchten die Verantwortliche deutlich machen, dass eine Unterstützung unabhängig von der Religionszugehörigkeit gewährt wird.
Außerdem gehören dem Helferkreis, der mittlerweile aus 25 Frauen und zehn Männern besteht, auch evangelische Christen an. Dabei reicht die Altersspanne von Mitte 40 bis 90 Jahre. Fast jeder von ihnen bringt eine wichtige Voraussetzung für das Ehrenamt mit: genügend Zeit, denn die meisten befinden sich im Ruhe- oder Vorruhestand. Aber auch den Berufstätigen ist es sehr wichtig, sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu engagieren.
Älteste Helferin: 90-jährige Frau
Dass man lebendig bleibt, wenn man anderen Menschen Zeit schenkt , beweist die älteste der "guten Seelen", eine 90-jährige Frau. "Sie betreut eine 97-jährige Dame und ist mit ihr noch bis vor kurzem regelmäßig im eigenen Auto ins Grüne gefahren", erzählt Rose Marie Juranek, die immer wieder erstaunt ist, "was meine Mitarbeiter so alles machen". Als Beispiel nennt sie eine Frau, die einsame und alleinstehende Menschen ohne Angehörige oder Freunde an ihren Geburtstagen besucht, ihnen Kuchen mitbringt und Gesellschaft leistet, damit sie diesen Tag nicht allein verbringen müssen.
Überhaupt zählen Besuche zum Erzählen, Spielen oder Vorlesen bei der "Ökumenischen Nachbarschaftshilfe" zu den Klassikern. Aber auch Fahrten zum Arzt, für kleinere Einkäufe oder zum Friedhof werden immer wieder nachgefragt sowie das Ausführen der Hunde und die Unterstützung bei Behördengängen. "In der Regel betreuen wir ältere Menschen, die krank und/oder einsam sind", bekräftigt die Team-Chefin, die sich ebenfalls regelmäßig um einige Schützlinge kümmert. Etwa 40 "Kunden" befinden sich derzeit in ihrer Kartei; für jeden hat sie ein eigenes Dokument angelegt. Darüber hinaus führt Rose Marie Juranek über jeden Ehrenamtlichen Buch. Auf diese Weise behält sie den Überblick. Bei Hilfeanfragen führt sie mit dem Betroffenen zunächst einmal ein Vorgespräch und schaut dann, welcher ihrer freiwillig Engagierten passt. Dieser bestimmt den zeitlichen Umfang seiner Tätigkeit, etwa eine Stunde pro Woche, selbst.
Viele der "Kunden" werden von den Mitarbeitern der Initiative auf Dauer betreut. "Die meisten von ihnen sind froh, dass sie jemand haben, der für sie da ist", bekräftigt Rose Marie Juranek. Und nicht selten entstehen Freundschaften. Die Leiterin der Gruppe ist überzeugt, "dass durch unser Engagement die Welt etwas wärmer wird und wir in den 20 Jahren unseres Bestehens ganz viel Freude zu den Menschen bringen konnten". Für die 76-Jährige ist diese Arbeit Ausdruck ihres Glaubens: nämlich Gottesdienst und Menschendienst.
Eine ihrer Mitstreiterinnen ist Erika Koch, die seit zwölf Jahren dem Team der "Ökumenischen Nachbarschaftshilfe" angehört. Jeden Montag zwischen 15 und 16.30 Uhr betreut sie eine ältere Dame, die halbseitig gelähmt ist und im Rollstuhl sitzt. "Ich begleite sie zur Bank oder zum Supermarkt oder wir machen sonstige Erledigungen", erzählt die 62-Jährige. Im Laufe der vergangenen fünf Jahre habe sich so ein Vertrauensverhältnis entwickelt. Besonders berührt ist Erika Koch, wenn sie sich von ihrem Schützling verabschiedet. "Dann bedankt sie sich jedesmal bei mir." Auch ist ihr eines bewusst geworden: dass die Gesundheit ein wertvolles Gut ist.
Alle zwei Monate trifft sich Erika Koch mit den anderen Ehrenamtlichen und Rose Marie Juranek zum Austausch im Pfarrzentrum St. Jakobus. Die Kosten des Projektes für Telefon und Fortbildungen übernimmt der Elisabethenverein.
Petra Derst