Für den Start und fürs Durchstarten
Anja Heil ist so ziemlich die Allererste, die jeder Werkstattmitarbeiter und jede -mitarbeiterin kennen lernen - oft sogar, noch bevor sie tatsächlich Werkstattmitarbeiter geworden sind. Die Diplom-Sozialpädagogin nennt sich offiziell Berufsbildungsbegleiterin. Als solche ist sie am Standort der Fuldaer Werkstätten in der St-Vinzenz-Straße und der Ratgarstraße für jeden zuständig, der neu aus den Förderschulen herüber kommt. Und natürlich auch für alle anderen, die zu den Werkstätten stoßen. "Zweieinviertel Jahre dauert diese Einführungsphase die ich begleite, und die der beruflichen Orientierung und der Ausbildung dient", sagt sie.
In den ersten Monaten geht es darum, sich miteinander bekannt zu machen. Die Neulinge sollen den Betrieb und alle Arbeitsgebiete kennen lernen: "Die neuen Mitarbeiter probieren verschiedene Tätigkeitsfelder aus und gucken, was ihnen Spaß macht, was ihnen liegt. Gleichzeitig prüfen natürlich auch wir, wo die Stärken der Mitarbeiter liegen. Wo gibt es Ressourcen, wo muss gefördert werden?"
Auf der Basis dieser Diagnose erfolgt dann eine Einstufung, mit welchem Niveau letztendlich die Ausbildung erfolgen soll: Ist sie eher tätigkeits- oder arbeitsplatzorientiert, oder kann sogar das gesamte ausgewählte Berufsfeld einbezogen werden? "Das kommt auf die individuellen kognitiven und intellektuellen Fähigkeiten an, die jeder Einzelne mitbringt", betont Anja Heil.
"Caritas Berufswege" heißt das Fachkonzept bei der Behindertenhilfe in Fulda, das für die optimale individuelle Teilhabe jedes Einzelnen am Arbeitsleben sorgen soll. Daher ist eine Ausbildung - beispielsweise im Bereich Küche und Hauswirtschaft - für jeden anders "gestrickt". Sozialpädagogin Heil macht es anschaulich: " Tätigkeitsorientierte Arbeit bedeutet hier etwa für die Essensvorbereitung Kartoffeln, Gurken oder Mohrrüben zu schälen und zu schnippeln und in den Topf zu tun. Arbeitsplatzorientiert würde bedeuten, dass die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter sich die nötigen Utensilien wie Topf, Teller, Messer und Gemüse selbst holt, anschließend alles wieder reinigt und wegräumt und dann vielleicht auch den Topf noch auf den Herd stellt und das Kochen beaufsichtigt, um nach der Zubereitung das Essen portionsweise auszugeben. Mitarbeiter, die berufsfeldorientiert eingesetzt werden, haben dann die gesamte Küche im Blick, können alle Geräte bedienen und ganz unterschiedliche Tätigkeiten wahrnehmen. Berufsbildorientiert letztendlich würde bedeuten, auch noch andere hauswirtschaftliche Bereiche einzubeziehen und etwa zu wissen, dass alle Geschirrtücher nach dem Benutzen in die Wäscherei gegeben werden, dass Lebensmittel nachbestellt werden müssen und ähnliches. Die berufliche Bildung ist bei uns in so genannte Bildungsmodule zerlegt, so dass sie wirklich sehr individuell auf die Bedarfe und Möglichkeiten jedes Einzelnen abgestimmt werden kann."
Ein regelrechtes Kurssystem: Jeder hat seinen ganz eigenen Stundenplan. Ergänzende Module für alle sind die so genannten Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben, Rechnen - aber auch hierbei geht es natürlich einzelfallorientiert vonstatten.
Hat ein Werkstattmitarbeiter seine Ausbildung absolviert, sieht er Anja Heil womöglich nicht mehr so oft. Dafür wird er intensiver mit Michael Haag den Kontakt halten, dem "Mann fürs Praktikum". Offiziell lautet seine Zuständigkeit "Berufliche Integration". Bei den Caritas Berufswegen sollen die Werkstätten schließlich immer nur eine von mehreren Optionen sein. Michael Haag organisiert daher für alle, die Interesse haben, erste Schritte hinein in den so genannten Ersten Arbeitsmarkt: "Wir bieten jedem, der es kann und will, eine Möglichkeit sich dort zu erproben. Das ist für uns auch eine Art Selbstverpflichtung zur Erfüllung der UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderung, denn jedes Praktikum und jeder Beschäftigungsvertrag ist ja auch ein Beitrag zur Inklusion - zur schrankenlosen Teilhabe an der Arbeitswelt."
Inklusion verwirklichen ist das Ziel
Viele der Firmen, die ohnehin mit den Werkstätten in Verbindung stehen und Aufträge dorthin vergeben, sind in der Tat gerne bereit Werkstattmitarbeiter auf Zeit oder sogar dauerhaft zu integrieren. Dabei bleiben die Menschen mit Behinderung jedoch in der Betreuung der Werkstätten und von Michael Haag. Erst bei einer echten Festanstellung in einem Unternehmen wäre die Mitarbeit in der Werkstatt beendet. Ein solch endgültiger Wechsel in eine andere Firma gelingt allerdings nur wenigen Menschen mit Behinderung: "Wille zur Integration seitens der Unternehmen ist dabei meist das geringste Problem", betont Haag. "Die Firmenleitungen sind wirklich bemüht, oft ist die Angelegenheit Chefsache. Und auch die Belegschaften nehmen die Kollegen aus der Werkstatt ohne jedes Wenn und Aber auf." Doch die Anforderungen übersteigen bei vielen Werkstattmitarbeitern dann doch die physischen und psychischen Kräfte, um auf Dauer und tagtäglich mitzuhalten. "Es ist ja auch völlig in Ordnung, wenn die Werkstatt für manchen eben doch der richtige Berufsweg ist", unterstreicht Berufsbildungsbegleiterin Heil , "viele sind hier in ihrem Arbeitsteam sehr zufrieden!"
Ob Arbeitsplatzfindung oder Praktikumsvermittlung - Anja Heil und Michael Haag sind sich darin einig, dass es immer auf eine genaue Einzelfallbetrachtung ankommt. Denn die Wege zur Caritas Behindertenhilfe sind genauso verschieden wie die Berufswege, die sie dann dort einschlagen. Anja Heil: "Nicht alle kommen von der Förderschule zu uns. Zum Beispiel haben wir gerade einen ehemaligen Schlosser in der Berufsbildungsphase, der einen Motorradunfall hatte und bei uns auch gerne wieder im Metallbereich zum Einsatz kommen möchte. Ein anderer Herr - zweifach promoviert, der auf Grund eines schweren Schlaganfalls berufsunfähig wurde und auch pflegebedürftig ist, erprobt hier die Mitarbeit in verschiedenen Tätigkeitsfeldern. Ich bin mir sicher, dass wir mit ihm gemeinsam auch die optimale Lösung für seine persönlichen Möglichkeiten finden werden."
Kontakt
Caritas Berufswege & Werkstätten für behinderte Menschen
Berufsbildungsbegleitung
Berufliche Integration
St.-Vinzenz-Straße 52
36041 Fulda
Tel. 0661 / 90233-0
E-Mail
www.behindertenhilfe-fulda.de
Autor
Christian Scharf