Rot, oder blau, was meinst du?
Die knallig-bunten Acryl-Farben sind noch nicht trocken - da ist das Eis zwischen Werner Grieser und Inge Thiel schon gebrochen. Grieser, der eine Tagesstätte für psychisch Erkrankte in Lampertheim besucht, leidet an einer Psychose, die mit Medikamenten behandelt wird. Socialcourage-Leserin Thiel hat über Jahre hinweg eine psychisch kranke Frau begleitet, ist mit ihr spazieren gegangen oder hat sie in den Arm genommen. Ob jemand krank ist oder gesund - bei "Mach mal Kunst", das zum vierten Mal psychisch Erkrankte und Gesunde im Bensheimer Caritaszentrum Franziskushaus zusammenbringt, spielen diese Unterschiede keine Rolle.
Ein drei Meter langes Papierband bringt die Teilnehmer zusammen
Zu sehen ist das beispielsweise an einem drei Meter langen Papierband, das von Workshop-Teilnehmern aus verschiedenen Bildern zusammengefügt wurde. Nicht nur die Nähte, mit denen so unterschiedliche Maluntergründe wie Packpapier, Zeitungsseiten und Kalenderblätter miteinander verbunden wurden, sind dabei Schnittstellen in einem Gemeinschaftskunstwerk. Auch das Malen an sich hat die Teilnehmerinnen und Teilnehmer näher zusammengebracht. "Jeder durfte das Bild des anderen ergänzen oder vervollständigen", beschreibt Workshop-Leiterin Cornelia Trautmann die gemeinschaftsbildende Arbeitsweise. Dass das gut geklappt hat, bestätigt Inge Thiel: "Mir hat jemand gesagt, dass ihm seine Fläche zu groß ist. Da habe ich mitgemalt".
Nicht die Erkrankung steht im Mittelpunkt sondern der Schaffensprozess
Für Annette Wilke-Hanf, Koordinatorin der Kunstaktion im Caritaszentrum, belegen diese Beispiele, dass Kunst spielend Grenzen überwinden kann. "Hier unterhält sich die Klientin der Tagestätte mit anderen Kunstschaffenden, ob rot oder blau die richtige Farbwahl ist". Nicht die Erkrankung stehe im Mittelpunkt, sondern der gemeinsame künstlerische Schaffensprozess.
Zwei Tage lang haben die Hobby-Künstlerinnen und Künstler im Caritaszentrum geklebt oder gemalt, eine Gruppe hat sogar Plastiken aus Sandstein geschaffen. Bei der Präsentation der Arbeiten in der Turnhalle des Caritaszentrums sind die Ergebnisse der fünf Workshops zu bewundern. Auch Werner Grieser ist mit dabei. Stolz zeigt er auf seine Bilder: ein in rot und grün gehaltenes Frauenporträt, einen "Sommerbaum" und ein Selbstporträt. "Vorhin war ich noch selbstkritisch und habe mich nicht so gut gefühlt", sagt er. Jetzt, wo er seine Arbeiten zusammen mit all den anderen ausgestellt sieht, fühlt er sich ganz wie ein Künstler: "Ich freue mich über das, was ich geschaffen habe."