Das könnte ich nicht
"An den Wechsel von Regen, eiskaltem Wind, aber auch Sonnenschein musste ich mich erst gewöhnen, es war April." Christian Weinitschke ist seit vielen Jahren, schon zu Zeiten der DDR, immer wieder einmal, wenn es seine Zeit erlaubte, bei den Straßensammlungen der Caritas dabei, so auch bei der diesjährigen Frühjahrssammlung. An diesem Vormittag ging er zwischenzeitlich vom Bahnhof, vor dem er sammelte, nach Hause, um sich wärmer anzuziehen. Beim Stehen dringt die Kälte bis auf die Haut. Abschrecken lässt sich der Sammler davon nicht, wie auch nicht von manchen dummen oder dreisten Sprüchen. "Betteln und Hausieren verboten", hielt ihm ein Herr im besseren Zwirn entgegen und "Sie können mit Ihrer Sammelbüchse dastehen, dürfen aber nicht die Leute ansprechen", fügt er hinzu. Christian Weinitschke ist nicht stumm, also spricht er die Menschen auch an. Und sie kommen nicht nur über das Sammeln für Menschen in Notlagen, über die Caritas oder den Zweck der Sammlungen ins Gespräch, sondern über "Gott und die Welt". So gesehen ist er ein sammelnder Missionar. "Oft bin ich ein Auskunftspunkt für Touristen - ein Servicepoint der Caritas", wie er sagt.
Eine ganze Menge erlebt
Die meisten Geschichten von Begegnungen der Menschen sind jedoch überaus positiv. Von denen hat er eine ganze Menge erlebt. Eine Begegnung hat ihn besonders beeindruckt: "Eine Mutter, mit ihrem schwerstbehinderten Kind im Rollstuhl, hielt neben mir an, stellte die Bremsen am Rollstuhl fest und ihre schwere Tasche auf das Pflaster. Sie sah nicht so aus, als ob sie reich wäre. Erst kramte sie in ihrer Einkaufstasche, dann in der Geldbörse, kam auf mich zu und steckte mir einige Cent in die Sammelbüchse." Diese und ähnliche Begebenheiten sind mehr als Lohn genug, für den zeitlichen Aufwand, das Aushalten von Kälte und Regen oder Aussprüchen nicht ganz so netter Zeitgenossen.
Ich gehe lieber sammeln
Über die Jahre hat Christian Weinitschke gelernt, dass "bei einer solchen Sammelaktion die Zeit nicht im Nacken sitzen darf, wenn du etwas erreichen willst". An dieser Stelle redet er, mit einigem Stolz in der Stimme, in Euro weiter: Im Herbst 2010 waren es genau 486 Euro, die er gesammelt hat, bei der Sammlung im Frühjahr 2011 kamen 556 Euro und 44 Cent aus seinen Büchsen zum Vorschein. Von den drei Sammelbüchsen, die in der Pfarrei St. Jakobus standen, hat er alle drei gefüllt. "Jeder hat andere Stärken in der Gemeinde. Andere helfen eher bei der Kirchenreinigung oder beim Gemeindefest. Ich gehe lieber sammeln", sagt der ehemalige Ingenieur für Feinwerkstechnik. Viele Görlitzer kennen ihn schon und suchen das Gespräch. Ausflüchte hört er kaum, eher machen die Leute vorher einen Bogen um ihn, um nicht angesprochen zu werden. Die Menschen, die sich jedoch ansprechen lassen, reagieren zumeist positiv: "Ich hab es eilig. Sind sie in einer Stunde noch hier?", fragt eine Frau und spendet auf dem Rückweg. "Caritas ? - Nur weil ich sie kenne, bekommen sie etwas in die Büchse", sagt ein Passant. "Können sie wechseln? Zehn Euro sind mir zu viel", ein ehrliches Argument. "Etwa jeder Vierzigste spendet", schätzt der erfahrene Sammler. Viele sagen "ist ja für ein soziales Anliegen. Selbst ehemalige Genossen geben eine Spende".
Miteinander ins Gespräch kommen
Zur Diskussion, ob denn solche Art der Spendensammlung noch zeitgemäß ist, gibt Christian Weinitschke eine klares "Ja" zur Antwort. "Einerseits ist es das Geld, was ansonsten nicht da wäre für Notleidende, die mitunter neben uns wohnen und wir wissen es kaum. Zum anderen würde man Gelegenheiten verpassen, mit Menschen über Kirche und Glauben ins Gespräch zu kommen", sagt er und gibt eines seiner Lebensmottos preis: "Nicht, was unsere Hände festhalten, macht uns reich, sondern was unser Herz verschenkt".
RAPHAEL SCHMIDT