Ein Stück Himmel
Freude und Spannung sind mit Händen zu greifen. Wer freut sich nicht darauf, ein paar Tage in den Urlaub zu fahren, aus der gewohnten Umgebung herauszukommen, Neues und andere Menschen kennenzulernen, die Möglichkeit zu haben, auf Entdeckungsreise zu gehen, Abenteuer zu erfahren, einfach die Seele baumeln zu lassen, neue Kraft und Energie zu tanken, sich verwöhnen und es sich gut gehen zu lassen? Diese Freude steht den Menschen mit Behinderung deutlich ins Gesicht geschrieben, die im vergangenen Jahr an der Behindertenfreizeit des Caritasverbandes für das Bistum Magdeburg teilgenommen haben. Seit über vierzig Jahren finden im Bistum Magdeburg Freizeiten für Menschen mit Behinderungen statt. Die erste Erwähnung stammt aus dem Jahr 1953: „Erste Woche für Körperbehinderte und Blinde wird in Bad Kösen vom Seelsorgeamt veranstaltet; Frau Klar als Diözesanfürsorgerin arbeitet mit.“ – so steht es in der Chronik des Caritasverbandes für das Bistum Magdeburg. Anfangs noch aus dem Pastoralbereich des Bistums Magdeburg religiös geprägte Veranstaltungen, wandelte sich ihr Charakter nach und nach. Von Anbeginn war die Caritas mit im Boot, ehe die Freizeiten im Laufe der Zeit ganz in Anbindung und Organisation auf sie übergingen.
Engagement mit Tradition
Ein Angebot also mit langer Tradition. Auch was den Ort des Geschehens angeht. So belegen Pläne aus dem Konrad-Martin-Haus in Bad Kösen und der Familienferienstätte St. Ursula in Kirchmöser, dass dort in den 1980er Jahren regelmäßig Körperbehindertenfreizeiten durchgeführt wurden. Seit 1989 sind die behinderten Menschen und ihre teils familiären und teils ehrenamtlichen Helfer einmal im Jahr Gäste der Familienbildungsstätte St. Ursula in Kirchmöser. Hier finden die Gäste herzliche und offene Aufnahme. Thomas Kriesel und seinen Mitarbeitenden ist kein Wunsch zu viel, wenn es darum geht zu versuchen, das Unmögliche möglich zu machen. Das Haus und die hier arbeitenden Menschen stellen sich ganz auf die Bedürfnisse ihrer behinderten Gäste ein. Da gibt es keinen Unterschied: Gast ist Gast, gleich ob mit oder ohne Behinderung. Die Entscheidung, die Freizeiten hier anzubinden, ergab sich nach dem Neubau der Familienbildungsstätte von selbst und „machte Sinn“, wie sich Thomas Lohfink von der Caritas-Beratungsstelle in Weißenfels erinnert. 19 Jahre lang, von 1989 bis 2008, war er für die Organisation der Behindertenfreizeit zuständig, nachdem er diese Aufgabe von Hans Könecke vom Caritasverband für das Dekanat Magdeburg über- nommen hatte. „Die Familienbildungsstätte ist seit ihrem Neubau teils behindertengerecht und der Rest ist behindertenfreundlich“, so Lohfink. Denn die Zusammenarbeit während der 1980er Jahre habe sich nach seinen Worten ausgezahlt. Familienbildungsstätte und Caritasverband haben sich gegenseitig unterstützt und voneinander profitiert.
Treue Gäste und Begleiter
„Gerade während der DDR-Zeit waren Menschen mit Behinderungen oftmals ein Tabuthema. Sie lebten teils unter menschenunwürdigen Bedingungen fast ausschließlich in stationären staatlichen Einrichtungen und wurden nur selten in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Ganz nach dem Motto: Aus den Augen, aus dem Sinn“, mahnt Daniel Tretschok. Der Koordinator der Caritas-Beratungsstelle in Dessau organisiert seit 2008 die Behindertenfreizeit der Caritas. Damals wie heute gab und gibt der katholische Wohlfahrtsverband Menschen mit Behinderung die Möglichkeit, eine Zeit lang dem Heimalltag zu entfliehen. „Für die Gäste, von denen ein großer Teil in stationären Einrichtungen wohnt, waren und sind diese Tage ein Stück Himmel, ein Lichtblick im oftmals einsamen und routinierten Alltag“, berichtet der Sozialarbeiter.
Und so findet sich in jedem Jahr eine Gruppe behinderter und nichtbehinderter Menschen zusammen, um die schönste Zeit des Jahres miteinander zu verbringen. Rund 15 Menschen unterschiedlichen Alters, aus unterschiedlichster persönlicher Lebenssituation und mit unterschiedlichen Behinderungen kommen zusammen. Ergänzt wird die Gruppe um noch einmal ebenso viele Menschen, die sich und ihre Zeit freiwillig und ehrenamtlich zur Verfügung stellen. Die Aufgabe der Begleiter besteht im Wesentlichen, als Helfer, Pfleger und Gesprächspartner zum Gelingen der Tage beizutragen. So wie bei den behinderten Teilnehmern setzt sich auch die Gruppe der nichtbehinderten Begleiter aus einem Kreis zusammen, der zum Teil seit über 20 Jahren immer wieder dabei ist.
Selbstbestimmte Teilhabe ermöglichen
Was unternommen wird, bestimmen die Teilnehmer ganz im Sinne der selbstbestimmten Teilhabe weitestgehend selbst, wobei nach Worten von Tretschok Spaziergänge, Kino- und Konzertbesuche, Ausflüge in die nähere und weitere Umgebung sowie Bootfahren und Schwimmengehen immer dazugehören.
Während der Freizeit erleben die Gäste Gemeinschaft, Zuwendung, Akzeptanz, Zärtlichkeit und vieles mehr. „In diesen Tagen wird für viele Gäste, auch für die, die Gott nicht kennen, seine Liebe ein Stück erfahrbar“, so Tretschok. Und so kann man sich kaum der Atmosphäre entziehen, die die Behindertenfreizeit jedes Jahr auf das Neue beseelt. Es entsteht während dieser Tage eine intensive Gemeinschaft, in der durch gemeinsames Tun vieles möglich wird, was zuhause im elterlichen Haushalt, in der eigenen Wohnung, im Wohn- oder Pflegeheim nicht oder nicht mehr geht. „Das sind gar nicht die großen Sachen, wie Besuche von Konzert, Kino, Zirkus etc.“, weiß der Sozialarbeiter zu berichten. „Beim Kauf eines Kleidungsstückes selbst aussuchen und entscheiden, mit der Bahn fahren oder nach vielen Jahren mal wieder in einem See baden zu können, kann große Freude bereiten.“ Nicht nur während der Freizeit bedarf es der Begleitung und Unterstützung. Diese ist auch im Vorfeld erforderlich. Damit das Finanzielle nicht zu einem Hinderungsgrund gerät, wird die Freizeit neben Spendengeldern auch durch die Aktion Mensch unterstützt.
Dorothee Bodewein
Kontakt:
Caritas-Beratungsstelle Dessau
Daniel Tretschok
Teichstr. 65
06844 Dessau
Tel. (03 40) 21 28 20
E-Mail: daniel.tretschok@caritas-dessau.de