Trauer, Trost und Talente
Wenn sich viele Menschen auf das Wochenende einstimmen, müssen andere noch einmal zur Höchstleistung ansetzen. An Freitagen herrscht auf dem ansonsten eher beschaulichen Friedhof in Brilon Hochbetrieb. „Freitags finden die meisten Beerdigungen statt“, erzählt Uwe Simon von der Friedhofsgruppe der Briloner Caritas-Werkstatt für Menschen mit Behinderung (WfbM) „Hinterm Gallberg“.
Trotz Zeitdruck arbeitet das Team akkurat: Hebt die Gräber nach den gesetzlich vorgeschriebenen Maßen termingerecht aus, füllt das Erdreich nach der Beisetzung wieder auf und platziert die Blumenbeigaben. Und all das bis zu 150 Mal im Jahr. Statt um Viertel vor Vier ist an Freitagen deshalb des Öfteren erst um 18 Uhr Schicht im Schacht. Uwe Simon zuckt mit den Schultern: „Das gehört zu meinem Arbeitsplatz dazu.“ Dort gibt der Tod den Takt vor.
Die 1988 gegründete Friedhofsgruppe ist mittlerweile zu einer festen Institution in Brilon geworden. Sie arbeitet eng mit der Kommune und den Kirchengemeinden zusammen. Dabei zählen sowohl Handwerk als auch technisches Know-how. Die Pflege des Maschinenparks gehört in Hans-Dieter Wellers Metier. Der 62-Jährige zählt zu den Pionieren auf dem Gottesacker. Seit der Gründerzeit ist er im Team der Friedhofsgärtner unterwegs. Weller kennt sich aus: von der Elektrik zur Mechanik. „Die Maschinenpflege muss stimmen, schließlich sollen die Sachen lange halten“, betont Hans-Dieter Weller, während er eine letzte Schraube an der Minibagger-Schaufel festzieht. Noch ein bisschen Schmiere auf die Baggerketten und los geht die gemächliche Fahrt vom Betriebsgelände direkt auf den Friedhof.
Hans-Dieter Weller hat in jungen Jahren bei einem Briloner Elektriker über die Schulter geschaut und mit angepackt. Das ist jetzt schon einige Jahre her. Erinnerungen verblassen im Alltag, das einmal gelernte und immer wieder eingesetzte Wissen hingegen nicht. „Wir schauen, wem welche Arbeit liegt“, erzählt Gruppenleiter und Gärtner Elmar Schannath. Talente entdecken, erhalten und fördern, das sind die Ziele auch im Friedhofsteam. So wie bei Weller, wie dessen geduldiges Geschick samt filigraner Feinmotorik auch mit seinen stolzen 62 Jahren beweisen. In der WfbM zählt die Wertschätzung von individuellen Leistungen, die dann im Arbeitsalltag motiviert.
Einen weiteren Motivationsgrund nennt Uwe Simon: „Durch die Arbeit auf dem Friedhof kann ich meine Erwerbsunfähigkeitsrente aufstocken. Das ist mein Motivationskick. Von der Arbeit zu leben fühlt sich für mich definitiv besser an, als nur vom Sozialamt abhängig zu sein.“ Der 52-Jährige zählt ebenfalls zu den Urgesteinen der Friedhofsgruppe. „Vor 22 Jahren bin ich auf dem Friedhof gelandet“, sagt Simon mit einem verschmitzten Grinsen. Humor hilft, um auch mit den stets präsenten Schattenseiten auf dem Gottesacker im Arbeitsleben klar zu kommen: Hinter jedem Grab steht ein Schicksal, weiß das Friedhofsteam. Tod. Trauer. Verlust. „Es gibt Menschen, die sehr einsam sind – vor allem ältere“, weiß Uwe Simon. Sie suchen Trost an den Gräbern ihrer Angehörigen und finden auf Wunsch aufmunternde Worte oder ein offenes Ohr bei den Friedhofsgärtnern. „So manch Friedhofsbesucher hat mir schon sein Herz ausgeschüttet“, erzählt Simon: „Dafür muss Zeit sein. Ein wenig Seelsorge braucht ja schließlich jeder – allemal, wenn man trauert.“ Dann wird der zupackende Totengräber zum mitfühlenden Trostspender. „Bei uns herrscht Lebendigkeit, obwohl – oder vielleicht auch gerade weil – wir die Friedhofsgruppe sind.“