Eine wunderbare Aufgabe
An die erste Begegnung im Jahr 2011 kann sich Christiane Zens (58) noch genau erinnern: "Ich spürte sofort eine starke Sympathie und wusste: Alles, was du diesem Jungen beibringst, fällt auf fruchtbaren Boden. Eine wunderbare Aufgabe!" Auch Rojer (11) war sofort begeistert: "Ich fand Frau Zens so nett und habe mich gleich auf das nächste Treffen mit ihr gefreut!" Beide bilden seit gut zwei Jahren ein Sprach- und Lerntandem. Den Kontakt vermittelte der Caritasverband Saarbrücken, der auch die Räumlichkeiten für die wöchentlichen Treffen stellt. Gemeinsam mit Christiane Zens sind aktuell etwa 30 Ehrenamtliche beim Caritasverband aktiv, die rund 80 Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund (im Einzelfall auch Erwachsenen) beratend und unterstützend zur Seite stehen. Die Nachfrage ist seit dem Start des Angebots im Jahr 2003 ungebremst - für Ehrenamtliche gibt es derzeit sogar eine Warteliste. Ziel ist es, die Bildungs- und Teilhabechancen junger Menschen zu verbessern. Wie viele ähnliche Angebote aus ganz Deutschland wirkt der Caritasverband Saarbrücken im bundesweiten Netzwerk der "Aktion zusammen wachsen" (siehe Kasten) mit.
Zahlreiche Studien belegen, dass Bildungserfolge in Deutschland besonders stark vom sozialen Status der Eltern abhängen. Da Schüler(innen) mit Migrationshintergrund oftmals aus sozial benachteiligten Elternhäusern stammen, waren sie hiervon in der Vergangenheit besonders stark betroffen. Hinzu kommen unter Umständen Sprachprobleme der Eltern oder fehlende Kenntnisse des deutschen Schulsystems, die sich auf die Perspektiven der nachfolgenden Generation auswirken. Obwohl es in den vergangenen Jahren Verbesserungen gab und inzwischen mehr Jugendliche mit Migrationshintergrund das Bildungssystem erfolgreich durchlaufen, ist die Zahl der Schulabbrecher wie auch derer, die ohne Ausbildungsplatz bleiben, nach wie vor höher als bei jungen Menschen ohne Migrationshintergrund. Veränderungen im Bildungssystem sind daher unverzichtbar. Ungeachtet dessen kann im Einzelfall, wie beispielsweise in Saarbrücken, auch der Einsatz von Ehrenamtlichen, die Verantwortung übernehmen - ohne dabei Eltern oder Schule ersetzen zu wollen - positive Veränderungen nach sich ziehen.
Wer aber sind diejenigen, die jungen Menschen regelmäßig ihre Zeit schenken und das bei zunehmender Arbeitsverdichtung und allseits beklagtem Stress? Christiane Zens ist Lehrerin, Anke Fellinger-Hoffmann (38) ist Juristin - den "typischen Paten" aber gibt es nach Aussage von Dr. Pia Braul, Mitarbeiterin der Caritas in Saarbrücken, nicht: "Bei uns engagieren sich Schüler und Schülerinnen, Rentnerinnen und Rentner, Studierende und Berufstätige - darunter Menschen mit und ohne eigene Zuwanderungsgeschichte. Der Kreis der Engagierten, die sich zum Teil seit vielen Jahren einbringen, ist vielfältig." Eine Gemeinsamkeit aber verbindet alle: der Wunsch, jungen Menschen Perspektiven zu eröffnen, etwa einen Beitrag dazu zu leisten, dass eine Prüfung oder ein Abschluss erfolgreich gemeistert wird. Bei den wöchentlichen Treffen geht es daher um schulische Unterstützung, Hausaufgaben oder Sprachförderung. Anders als beim klassischen Nachhilfeunterricht ist der Zugang aber eher spielerisch. "Neue Interessen und Talente zeigen sich auch bei alltäglichen Gesprächen oder gemeinsamen Museumsbesuchen. Und manchmal geht es auch einfach darum, zuzuhören und Mut zuzusprechen", berichtet Pia Braul. Zur Begleitung der Mentor(inn)en bietet der Caritasverband Saarbrücken regelmäßig Fortbildungen an. Darüber hinaus ist es wichtig, Wertschätzung zu vermitteln, weshalb ein jährliches Fest sowie interessante Exkursionen angeboten werden. Anerkennung kommt auch von anderer Seite: von den Familien, die sehr stark in den Gesamtprozess eingebunden sind, oder den Patenkindern selbst. "Der schönste Dank ist", so berichtet Anke Fellinger-Hoffmann, "wenn mein Patenkind am Ende unserer Treffen sagt, dass sie sich schon auf die nächste Woche freut, wenn wir uns wiedersehen." Obwohl die Treffen zunächst auf ein (Schul-)Jahr angelegt sind, bleiben Kontakte zum Teil auch darüber hinaus bestehen: Man trifft sich weiterhin - nun aber in privatem Rahmen.
Was ist das Geheimnis eines erfolgreichen Tandems? Neben Wertschätzung und Begleitung ist die organisatorische Einbettung zu nennen, die einer (möglichen) Überforderung der Ehrenamtlichen entgegenwirkt. Indem die Sprach- und Bildungspat(inn)en Teil der verbandlichen Angebotspalette sind, können bei Bedarf andere Hilfesysteme unbürokratisch hinzugezogen werden. Der wichtigste Punkt aber ist ein gutes Miteinander: Es muss menschlich "passen" zwischen Mentorin und "Schützling". So wie bei Anke Fellinger-Hoffmann und Zina (9), die von Anfang an auf einer Wellenlänge lagen. Hierzu gehört auch, dass die Pat(inn)en Grenzen der Zusammenarbeit sowie die Eigenständigkeit der jungen Menschen respektieren. Ebenso ist es von Seiten des Verbandes wichtig, Menschen nicht einfach "aufeinander loszulassen", sondern als ersten Schritt vorbereitende Gespräche mit beiden Seiten zu führen: Wo liegen die Interessen? Wieviel Zeit können sie sich nehmen? Übereinstimmungen an dieser Stelle erhöhen später die Chance auf eine harmonische und längerfristige Zusammenarbeit. Dabei profitieren nicht nur die jungen Menschen: "Insgesamt ist die Patenschaft eine Bereicherung für mein Leben und ich freue mich immer auf unseren gemeinsamen Termin", sagt Christiane Zens. Das Mentoring-Konzept wird zu einer klassischen "Win-win-Konstellation": Zwei Menschen begegnen sich auf Augenhöhe und können im wahrsten Sinne des Wortes "zusammen wachsen".
Aktion zusammen wachsen
Seit dem Jahr 2008 unterstützt das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Kooperation mit der Beauftragten für Migration, Flüchtlinge und Integration bestehende Patenschaftsprojekte für junge Menschen mit Zuwanderungshintergrund. Es fördert den Wissens- und Erfahrungsaustausch der Beteiligten und regt die Gründung neuer Projekte an.
Auf der Homepage der Kampagne finden sich hilfreiche Informationen und Materialien für Patinnen und Paten, Eltern, Schulen, Verbände. Engagementbereite Menschen finden in einer Datenbank Kontaktdaten und Hinweise zu Patenschaftsprojekten in ihrer Region. rb