Gelebte Nachbarschaft
Shpresa Ajvazi und Monika Müßig sitzen im Stadtteilbüro im Frankfurter Multi-Kulti-Stadtteil Gallus. Sie haben Getränke und Knabbereien für ihre Besucher/innen vorbereitet. In wenigen Minuten beginnt, wie jeden Montag um 16 Uhr, die offene Sprechstunde von "Rat &Tat". Die Initiative ist 2010 angetreten, Menschen in Notlagen wie Arbeitslosigkeit, Armut, Überschuldung, Trennung und Scheidung bei der Suche nach Lösungen zur Seite zu stehen. Shpresa Ajvazi ist 41 Jahre alt, ihre Kinder aus dem Gröbsten heraus. Engagement für andere ist für die Kosovarin, die in den 90er-Jahren wegen der politischen Kämpfe ihre Heimat verließ, eine Selbstverständlichkeit. Sie ist eine von zwei Muslimen im elfköpfigen Team der ehrenamtlichen Berater/innen. Seit 2002 hat sie die deutsche Staatsbürgerschaft, aber der Anfang in Deutschland sei schwer gewesen. Ohne ein Wort Deutsch zu sprechen, habe sie besonders unter den bürokratischen Hürden gelitten und sich oft hilflos im Umgang mit Ämtern und Behörden gefühlt. "Ich habe all das durchgemacht und es geschafft, mich zu integrieren", sagt sie. "Mit meinen Erfahrungen kann ich nun anderen helfen."
Monika Müßig, ihre Kollegin aus dem Beratungsteam, nickt. Sie wohnt um die Ecke, ein Gallus-Urgestein. Zehn Jahre war sie Pfarrsekretärin in der katholischen Gemeinde Maria Hilf, die für viele Flüchtlinge zur neuen Heimat in Frankfurt geworden ist. Monika Müßig war lange Zeit in alle möglichen Gemeindeaktivitäten ehrenamtlich eingebunden. Jetzt ist sie 68 und will kürzer treten, aber Ruhe sucht sie im Ruhestand nicht: Von Anfang an war sie bei Rat &Tat dabei. Kurz zuvor hatte sie eine Qualifizierung in Sozialpastoral abgeschlossen, ein Kurs den der Caritasverband Frankfurt regelmäßig für Ehrenamtliche aus Pfarrgemeinden anbietet. Auch die Berater/-innen von "Rat &Tat" sind von Caritas-Fachkräften auf ihre Aufgabe vorbereitet worden und haben feste Ansprechpartner.
Im Stadtteil Gallus sind die meisten ratsuchenden Menschen Zugewanderte. Sie haben oft Probleme mit der deutschen Sprache. "Vor allem, wenn sie Post von einer Behörde bekommen wie dem Jobcenter. Dann verstehen sie oft nicht, worum es geht," beschreibt Monika Müßig eines der Hauptprobleme. "Wir helfen ihnen dann beim Antworten oder beim Ausfüllen der Formblätter." Monika Müßig sitzt wie alle vom Beratungsteam vor einem Laptop, wo sie problemlos Infos abrufen oder sofort ein Schreiben aufsetzen kann. Inzwischen ist es kurz nach vier Uhr, und alle fünf Beratungsplätze im Stadtteilbüro sind besetzt. Halblautes Gemurmel erfüllt die beiden Räume.
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Mehrfach preisgekrönt
Die Initiative "Rat &Tat" wurde 2010 gegründet. Jährlich kommen mehr als 300 Menschen zur kostenlosen Beratung. Das ehrenamtliche Engagement wurde mehrfach mit Preisen bedacht: vom Bündnis für Demokratie und Toleranz - gegen Extremismus und Gewalt (BfDT), von der Stadt Frankfurt 2012 mit dem Nachbarschaftspreis, 2013 mit dem Senfkornpreis der Gemeindecaritas Frankfurt.