Anker im Alltag
Junge Menschen aus einer zugewanderten Familie haben es manchmal schwer, einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu finden. In Paderborn setzt der Verein IN VIA mit dem Patenprojekt "Starthilfe" auf Erfahrung und persönliche Beziehung, um diese jungen Menschen erfolgreich zu unterstützen. Das Projekt war in diesem Jahr einer der beiden Preisträger des Pauline-von-Mallinckrodt-Preises der CaritasStiftung für das Erzbistum Paderborn.
Andreas hatte immer ein Ziel. Er wollte Industriemechaniker werden. Das hat er geschafft. Mittlerweile denkt er sogar daran, Meister zu werden. Doch diese berufliche Karriere lag vor einigen Jahren in weiter Ferne, wäre Josef Ramsel nicht gewesen. 2008 las der pensionierte Förderschullehrer aus Delbrück eine Kleinanzeige. IN VIA Paderborn e.V. suchte ehrenamtliche Betreuer, "Paten" oder "Mentoren". Sie sollten junge Menschen aus Zuwandererfamilien beim Start ins Berufsleben begleiten und unterstützen.
Josef Ramsel meldete sich bei Susanne Lehmann, Ansprechpartnerin für das Patenschafts-Projekt "Starthilfe" bei IN VIA. Die Sozialpädagogin schlug ihm vor, Andreas kennenzulernen. Der Junge hatte einem Beratungsangebot "Erfolgreich in Ausbildung" von IN VIA teilgenommen. Seine Familie stammte aus Kasachstan und lebte noch nicht lange in Deutschland. "Auf mich wirkte Andreas sehr verunsichert", erinnert sich Josef Ramsel an das erste Treffen. "Der Junge hatte die besten Voraussetzungen und trotzdem Schwierigkeiten eine Ausbildungsstelle in seinem Wunschberuf zu finden."
Josef Ramsel erkannte, dass Andreas ein Netzwerk persönlicher Beziehungen fehlte, weil er erst wenige Jahre im Land war. Diese Leerstelle wollte er so weit wie möglich ausfüllen. Doch zuerst musste auch der Pädagoge lernen, wie schwer es ist, als Zuwanderer einen Ausbildungsplatz zu finden. Als Andreas trotz aller Bemühungen erfolglos blieb, begann Josef Ramsel systematisch Ausbildungsmessen zu besuchen und Unternehmen direkt anzusprechen. Das brachte - endlich - das ersehnte Ergebnis.
Die Aufgabe als Pate war damit nicht zu Ende. Der neue Ausbildungsplatz als Industriemechaniker war in einer Backfabrik angesiedelt, die nicht alle Ausbildungsinhalte vermitteln konnte. Josef Ramsel nahm den Kontakt mit dem Ausbildungsnetzwerk BANG auf, das weitere Unternehmen als Ausbildungspartner vermittelte. Damit Andreas aber tatsächlich zeitweise in einer anderen Firma ausgebildet werden konnte, musste die Agentur für Arbeit eingebunden werden. Josef Ramsel regelte auch das. Zusätzlich traf er sich regelmäßig mit Andreas in Cafés oder Stadtbibliotheken, um die vielen drängenden Fragen und Probleme, aber auch die Fortschritte zu besprechen.
Die Beziehung zwischen Josef Ramsel und Andreas war immer von einem klaren Ziel geprägt. Die Probleme, die sie gemeinsam überwanden, resultieren aus den Hemmnissen, die Andreas Berufsweg zu blockieren drohten. Josef Ramsel half, die Widerstände aus dem Weg zu räumen. Alles andere geschah von selbst.
Stefanie Linz muss in ihrer Mentorenarbeit viel mehr Orientierungsarbeit im familiären und sozialen Bereich leisten. Sie ist in zwei Patenschaften, den sogenannten "Tandems", als Patin tätig, berät eine junge alleinstehende türkische Frau und eine Familie aus Aserbaidschan, die noch nicht lange in Deutschland lebt.
In beiden Fällen erlebt sie, wie schwer der deutsche Alltag für Menschen sein kann, die nicht mit ihm vertraut sind. Eine zuverlässige Ansprechpartnerin wie Stefanie Linz wird dann zum einzigen Anker im Alltag. Und Stefanie Linz musste akzeptieren, dass eine Patenschaft nicht alles auffangen kann. So findet die junge Frau, die sie begleitet, keine sichere Berufsperspektive. Immer wieder scheitert eines der Praktika, die mit Hilfe von Stefanie Linz zustande gekommen sind.
An ihrer Aufgabe als Patin hat Stefanie Linz deshalb nie gezweifelt. "Ich bin im Lauf der Zeit geduldiger geworden. Im Alltag zählen die kleinen Veränderungen", sagt sie. "Es geht nicht darum, Experte zu sein und alles zu wissen und zu können, es geht vor allem darum, den jungen Menschen zur Seite zu stehen".
Auch die Paten erleben einen Entwicklungsprozess. "Das ist ein Geben und Nehmen", sagt Stefanie Linz. Das führt zu intensiven Begegnungen, manchmal auch zu Missverständnissen. Doch für diese Fälle ist Susanne Lehmann da, als stete Ansprechpartnerin von IN VIA.
Auch Josef Ramsel betont die Gegenseitigkeit, die er in der Beziehung mit Andreas erlebt hat. Das Mentorenprojekt hat es ihm im Ruhestand ermöglicht, noch einmal ganz neue Erfahrung zu machen. Andreas trifft er nur sollten. "Warum auch", sagt er. Eine Zeit lang konnte er mit seiner Erfahrung helfen. Jetzt geht der junge Mann den eigenen Weg. Sein ehemaliger Pate ist damit zufrieden: "Mehr als das wollte ich nie."