Patin auf Zeit hilft aus der Krise
Patin auf Zeit hilft aus der Krise
"Patenzeit" ein Baustein in Netzwerken Früher Hilfen/Perspektive nach 2013
Wenn es am Donnerstagnachmittag bei Familie Sümer in der "Kolonie" in Ahlen klingelt, gibt es für Ella und Görkem kein Halten mehr. Aus der hintersten Ecke des Hauses kommen sie angeflitzt und stürzen sich auf Margret Ertel. Sie kommt kaum dazu, ihre Schuhe auszuziehen, wie es in einer türkischen Familie üblich ist. Sofort wollen die zweijährigen Zwillingsgeschwister mit ihr spielen oder auf Entdeckungsspaziergänge gehen. "Seit einem Jahr bin ich die Oma hier", freut sich Ertel. Eigentlich ist sie eine der Familienpatinnen im Projekt Patenzeit des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) im Kreis Warendorf. Für Ella und Görkems Mutter Yasemin ist sie ein Rettungsanker in der Krise nach der Geburt der beiden quirligen Kinder. Und für SkF-Mitarbeiterin Wiebke Riemer, die "Patenzeit" seit eineinhalb Jahren im Rahmen des bundesweiten Projekts "Frühe Hilfen in der Caritas" aufbaut und koordiniert, eines von inzwischen vielen gelungenen Beispielen für die Patenidee.
Vor gut zwei Jahren kam zu viel zusammen für Yasemin Sümer. Gerade hatte die Familie eine Hälfte eines ehemaligen Zechenhauses gekauft und dessen gründliche Renovierung gestartet, als die Zwillinge sich ankündigten. Trotzdem wollte sie nach der Geburt ihren beiden ältesten Kindern Seren (13) und Kerem (10) nicht weniger Aufmerksamkeit schenken. Ihr Mann Erkrem war mit Früh- und Spätschichten als Industrielackierer und der eigenen Baustelle ausgelastet. Außerdem musste sie sich noch um ihren Vater kümmern.
Die Schwangerschaftsberatung des SkF, zu der sie schon vorher Kontakt hatte, organisierte eine aus dem Bischofsfonds finanzierte Familienpflegerin, Yasemin Sümer stabilisierte ihre angeschlagene Gesundheit in einer Mutter-Kind-Kur und dann kam Margret Ertel.
Bei einem ersten Kaffeetrinken "haben wir gleich gemerkt, das könnte passen", sagt Margret Ertel. Sie sah das Ende ihrer Arbeitszeit als Ärztin im Kreisgesundheitsamt vor sich und hatte "Spaß, noch was zu machen". Selbst hat sie einen dreijährigen Enkelsohn, aber der lebt in Düsseldorf. Zu Sümers kann sie mit dem Fahrrad rüberfahren.
Anfangs war die Idee, dass sie mit den Zwillingen spazieren geht, damit deren Mutter sich selbst mal für eine Stunde hinlegen kann. Aber meistens ist Yasemin Sümer mitgegangen und hat die Gespräche genossen. Nur noch für Haushalt und Kinder da sein und "nur funktionieren zu müssen", machte der Krankenschwester große Probleme.
Die Familienpaten "sind keine Babysitter, sie sollen auch Ansprechpartner für die Eltern sein", erklärt Wiebke Riemer. Wenn sie wie Margret Ertel selbst zwei Kinder haben, ist ihr das am liebsten. "Die können sich die Situation in Familien mit kleinen Kindern gut vorstellen und haben ein Auge für Kleinigkeiten". Viel Zeit verwendet sie darauf, die Paten möglichst "passgenau" zu vermitteln, besucht die Familien und spricht ausführlich mit Interessenten für eine Patenschaft. Die Sorgfalt bewährt sich, die Abbruchquote ist sehr gering.
Aktuell laufen 18 Familienpatenschaften, 13 sind bereits beendet. Angelegt sind sie an sich auf ein Jahr. Manchmal sei es gut, wenn es dann ein Ende gebe, so Riemer. Aber Margret Ertel sieht das für sich noch nicht, auch wenn der Bedarf an Hilfe nicht mehr so groß ist und sie jetzt manche Donnerstage ausfallen lässt, um mit ihrem Mann auf Reisen zu gehen. "Ich möchte den Kontakt aber nicht verlieren," sagt sie. Dafür sei er viel zu eng geworden, auch zu den beiden Ältesten. Gemeinsam sind sie ins Naturkundemuseum in Münster gegangen, natürlich mit Familienkarte. Da sind auch die "Großeltern" inklusiv.
Patenzeit konnte mit großzügigen Förderungen des Diözesancaritasverbandes Münster und der Aktion Lichtblicke starten und ist auf drei Jahre angelegt. SkF-Geschäftsführerin Beatrix Herweg ist inzwischen optimistisch, dass es nach 2013 weiter gehen kann, wenn auch möglicherweise mit etwas gebremstem Schaum. Die Familienpaten passten hervorragend in die sich an vielen Orten im Kreis bildenden Netzwerke Früher Hilfen und würden von den Jugendämtern im Kreis hoch geschätzt. So sei es jetzt auch gelungen, mit Nadine Deiters eine zweite halbe Stelle zu besetzen, an der sich der Kreis auch finanziell beteiligt. Die Mitarbeiterinnen des Projektes müssen in dem großen Flächenkreis nicht nur ständigen Kontakt zu den laufenden Patenschaften halten, sondern sich im vergangenen Jahr auch um 89 Anfragen von Familien und 28 Angeboten von Paten kümmern. Meistens sind es Frauen, die sich für eine Patenschaft interessieren, aber inzwischen auch einige Männer, die ihren "Unruhestand" dafür gerne nutzen.
Auch für Ella und Görkems Eltern geht es wieder aufwärts. Die Renovierung ist geschafft und Yasemin Sümer arbeitet am Wochenende wieder für ein paar Stunden als Krankenschwester. Ihr Mann übernimmt dann Haushalt und Kinder. Im Sommer kommen die Zwillinge in die Kita gleich gegenüber. Ihre "Oma" wollen sie weiterhin sehen.
Harald Westbeld