Zusammenkünfte mit vielen schönen Überraschungen
"Am Anfang wollte der gar nicht mit uns reden", erzählt Felix, und Eike nickt bedächtig. "Der" ist ein Bewohner des Caritas Altenpflegeheims St. Marien, welcher mit anderen Seniorinnen und Senioren gemeinsam wöchentlich mit 14- bis 17-jährigen Jugendlichen aus der Homberger Erich-Kästner-Schule zum Gespräch zusammen trifft. Soziales Lernen heißt das offiziell, wenn die Schülergruppe der Jahrgangsstufen der Jahrgänge 9 und 10 wöchentlich für zwei Schulstunden die Senioreneinrichtung bevölkern.
Besuch im Altenpflegeheim, regelmäßiges Zusammensein mit alten, teilweise sogar dementen Menschen… - das machen 14- bis 17-jährige Jugendliche freiwillig? Schulleiterin Marion Temme schmunzelt. "‘Soziales Lernen‘ ist ein
so genanntes Wahlpflichtfach - das heißt, alle Jugendlichen haben diesen Unterricht selbst ausgewählt", betont sie.
Vielleicht liegt es ja daran, dass die Schule mit der Caritas-Senioreneinrichtung schon länger erfolgreich zusammenarbeitet. Viele Schülerinnen und Schüler sind im Laufe der vergangenen Jahre als Praktikanten zur Berufsfindung für 14 Tage im St. Marien tätig gewesen. Unter den Schülern der Erich-Kästner-Schule war die Verbindung zum Altenpflegeheim also schon eine alltägliche Sache, große Berührungsängste gab und gibt es nicht. Auch die Senioren sind an die Besuche gewöhnt und genießen es, dass ihr Haus für die jungen Menschen offen ist.
Mit der Verlegung des Wahlpflichtunterrichts "Soziales Lernen" in die Caritas-Einrichtung wurde die Kooperation zwischen Schule und St. Marien nochmals intensiviert. Dabei war sowohl auf der einen Seite Einrichtungsleiterin Bozena Perek als auch auf der anderen Seite Marion Temme sowie dem
zuständigen Fachlehrer und Konrektor Joachim Repp klar, dass regelmäßige Begegnungen zwischen den jungen und alten Menschen über ein gesamtes Schuljahr hinweg aber nur erfolgreich sein würden, wenn es ein echtes Projekt gäbe, auf das Alt und Jung zusammen hinarbeiten könnten. Es ging darum, Themen zu finden, welche die beiden beteiligten Generationen gleichermaßen inhaltlich fesseln könnten, bei denen die Senioren Wissen abgeben und die Schüler etwas lernen könnten.
"Natürlich geht es auch bei dieser Kooperation zwischen Schule und Altenpflegeheim vor allem darum, die alten und jungen Menschen miteinander erst einmal ins Gespräch zu bringen. Aber einfach nur zusammensitzen und miteinander klönen, das würde für Senioren und Schüler auf Dauer zu wenig sein - das war uns klar", erinnert sich Einrichtungsleiterin Bozena Perek. "Und dann hatten wir die Idee, unsere Therapieküche zu nutzen. Einige Senioren kochen immer noch gerne, dafür steht diese Küche zur Verfügung. Salopp gesagt: Sollten sie doch einfach den Schülerinnen und Schülern ein wenig Kochen beibringen - das war die Idee."
Vier Schülerinnen und ein mutiger Schüler wagten sich dann auch an die Kochtöpfe.
Wöchentlich trafen sie sich mit Seniorinnen und Senioren, um zu kochen und die vorgeschlagenen Gerichte auch gemeinsam auszuprobieren.
Die Senioren verrieten ihnen alte Familienrezepte und gaben ihnen Tipps und Anleitungen für die Zubereitung. Im Gegenzug stellte die Schülergruppe nach dem Kochen und dem Geschmackstest ausgewählte Rezepte in einem Kochbuch zusammen, das - mittlerweile gedruckt und auch für die Öffentlichkeit käuflich zu erwerben (siehe unten) - ein schönes Andenken für alle Beteiligten ist.
Die fünf Schülerinnen und Schüler denken gerne an diese Kochaktionen im St. Maien zurück. Tim, der dabei als einziger Mann im Spiel war: "Die Gespräche und das Miteinander mit den alten Menschen waren sehr schön und interessant. Wir haben dabei auch nicht nur übers Kochen sondern über alles Mögliche geredet." Und seine Mitschülerin Tanja sieht durchaus auch den persönlichen Gewinn: "Mir hat es gefallen, von den Senioren etwas lernen zu können. Ich konnte vorher überhaupt nicht kochen. Jetzt mache ich es gelegentlich auch zu Hause ... und meine Eltern essen es auch ohne Murren", kichert sie.
Begleitet wurden die "Köche" von der im Altenpflegeheim für soziale Betreuung zuständigen Mitarbeiterin Inge Sztykowski, die nun auch beim Folgeprojekt mit einer deutlich größeren Schülergruppe dabei ist. Sie hat dabei Junge wie Alte im Blick, leitet die Schüler im Umgang mit den Senioren behutsam an, bringt sie in Kontakt, glättet Wogen, wenn einmal etwas nicht rund läuft. "Die meisten der Schülerinnen und Schüler sind anfangs ja völlig unerfahren mit den alten Menschen. Sie wissen nicht, dass es für einen Menschen mit Demenz-Erkrankung schon bedrohlich sein kann, wenn etwas Neues, Unbekanntes passiert. Dann können unerwartet heftige Reaktionen auftreten, die für die Jugendlichen sicher erschreckend sind." Frau Sztykowski weist auf Felix und Eike. "Die beiden zum Beispiel hatten ihren Senior einfach im falschen Moment erwischt. Mit einer Bewohnerin auf einer anderen Wohngruppe haben sie dann schnell innige Freundschaft geschlossen und sind gut ins Gespräch gekommen!"
Und Gespräche sind im neuen Projekt wichtig, denn Ziel ist es diesmal, Kindheitserinnerungen, Geschichten und Anekdoten von den 80- bis 90-jährigen Senioren zu dokumentieren und mit eigenen Erfahrungen zu vergleichen, so dass am Ende des Schuljahres ein buntes Lesebuch der Homberger Jugend - gestern und heute - vorliegt. Die Schüler sind jedenfalls voller Elan bei der Sache, wie ihr Lehrer Repp beobachtet: "Aus schulischer Sicht geht es dabei vor allem um die Zeitzeugenbefragung. Die Jugendlichen sollen die Erinnerungen der Senioren wahrnehmen, reflektieren und in Hinblick auf das eigene, heutige Umfeld bewerten. Und nebenbei wird dann analog zum Kochbuch dieses Geschichts- und Geschichtenbuch entstehen!"
Generationen-Kochbuch
Das gemeinsame Kochbuch der Senioren und Schüler ist für Interessierte nach wie vor erhältlich. Es kostet 2,50 Euro zzgl. Versand (1,45 Euro).
Die Bestelladresse lautet:
Caritas-Altenpflegeheim St. Marien, Stichwort "Kochbuch"
Ziegenhainer Str. 20
34576 Homberg (Efze)
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