Kein Elterngeld
Es ist eine dieser als Reformen getarnten Kürzungen. Deren drastische Folgen offenbaren sich in den Ergebnissen einer Umfrage. Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit und zunächst auch vielen Betroffenen ist den Empfängern von ALG II und Kinderzuschlag das Elterngeld Anfang 2011 gestrichen worden. Genauer gesagt wird es jetzt "angerechnet". Im Ergebnis gehen die Familien leer aus. Was das im Alltag bedeutet, haben Schwangerschaftsberatungsstellen des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) und der Caritas in 18 Diözesen bei ihren Klientinnen erfragt. 500 der knapp 2.000 antwortenden Frauen kommen aus der Diözese Münster, die maßgeblich an der Aktion beteiligt war. Erschreckend für Birgit Scheibe, Sozialrechtsjuristin im Diözesancaritasverband Münster, dabei vor allem: Über die Hälfte der Frauen hatten zuvor die 300 Euro monatlich vor allem auch für gesündere Lebensmittel und Medikamente eingesetzt, die nicht mehr von der Krankenkasse bezahlt werden. "Jetzt greift fast die Hälfte stattdessen auf die Lebensmittelspenden der Tafeln zurück," sagt Scheibe.
Gedacht gewesen sei das Elterngeld bei seiner Einführung 2007 auch als "Schonraum" für Eltern und Kinder ein Jahr nach der Geburt, um sich in die neue Situation einzufinden. Von dieser Idee habe sich der Gesetzgeber wieder verabschiedet, kritisiert Scheibe. Das Absurde dabei: Auch Familien, deren Einkommen so gering ist, dass sie ergänzend ALG II oder Kinderzuschlag beziehen müssen, erhalten kein Elterngeld mehr. Verdiene ein Elternteil dagegen gut und sei der andere vorher nicht erwerbstätig gewesen, bekomme die Familie unabhängig von der Einkommenshöhe die 300 Euro als Sockelbetrag. Beim Betreuungsgeld soll die aus ihrer Sicht absurde Systematik fortgeführt werden.
Die von Sozialleistungen abhängigen Mütter dagegen hätten vielfach resigniert, berichtet Anne Ruhe, für die Schwangerschaftsberatung verantwortliche Referentin beim Diözesancaritasverband Münster. Sie äußerten in den Beratungsstellen, dass sie das Gefühl hätten, ihre Kinder seien nicht gewollt und der Gesellschaft nichts wert. 53 Prozent von ihnen geben in der Umfrage an, dass der Wegfall des Elterngeldes finanziellen Stress verursacht hat, bei einem Drittel hat das zu Partnerschaftsproblemen geführt oder sie verstärkt. "Das bleibt natürlich nicht ohne Auswirkungen auf die Kinder," sagt Ruhe.
Absurd ist für die Caritas-Referentin deshalb auch, dass derzeit viel in Frühe Hilfen investiert wird, aber hier Familien eine gute Startmöglichkeit entzogen werde. Ein Viertel habe geäußert, dass sie sich jetzt isolierter fühlten. Das Geld fehle eben auch für die Teilnahme an Spielgruppen und Elternkursen, in denen wichtige Kontakte zur gegenseitigen Unterstützung geknüpft würden.
Die Caritas und ihr Fachverband SkF hatten im Vorfeld der geplanten Kürzung dagegen protestiert. Verhindern konnten sie sie nicht. Aber immerhin habe man erreichen können, dass zumindest die Minijobber weiterhin Elterngeld erhalten. Die Ergebnisse aus der Befragung sollen in das Sozialmonitoring der Bundesregierung zu den Sozialreformen der letzten Jahre einfließen. Zudem wollen Birgit Scheibe und Anne Ruhe und ihre Mitstreiterinnen in den anderen Diözesen damit die Bundestagsabgeordneten ansprechen.