Miteinander wachsen
Den Schulabschluss in der Tasche, möchte Fabia Alm bald mit dem Studium der Sozialen Arbeit beginnen. Aber es bleibt noch Zeit bis zum Semesterbeginn im Herbst. So hat sich die Kölnerin erstmal dazu entschieden, ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) in einer Einrichtung der Caritas zu absolvieren. "Das FSJ ist in meinen Augen eine einmalige Möglichkeit", sagt Fabia Alm, "es ist nicht nur ein perfekter Übergang zwischen Schule und Beruf, sondern gleichzeitig eine tolle Vorbereitung auf das Berufsleben. Später möchte ich in einem sozialen Beruf tätig sein. Im FSJ habe ich die Möglichkeit, in dieses Berufsfeld reinzuschnuppern und auszuprobieren, ob es mir auch wirklich liegt."
Die Tochter einer deutschen Mutter und eines Namibiers ist eine von bundesweit zigtausend jungen Frauen und Männern, die Jahr für Jahr ein FSJ absolvieren - im Jahrgang 2013/2014 sind es rund 50.000, davon mehr als 6.000 bei einem katholischen Träger.
In diesem Jahr ist das FSJ 50 Jahre alt geworden. Seit einem halben Jahrhundert können sich junge Leute zwischen 16 und 27 Jahren im gesetzlichen Rahmen des FSJ in den unterschiedlichsten Feldern des Sozialwesens betätigen: in Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen, in Alten- und Pflegeheimen, in Krankenhäusern. Sie können sich aber auch in kulturellen Einrichtungen oder Sportvereinen engagieren, politische Arbeit leisten oder in der Denkmalpflege tätig sein.
Das FSJ ist heute so attraktiv wie nie zuvor. Die Zahl der Freiwilligen ist in den vergangenen fünf Jahrzehnten stark gestiegen, zuletzt auch durch den Wegfall des Zivildienstes. Auch die Zahl der FSJler, die über einen Migrationshintergrund verfügen, hat in den letzten Jahren zugenommen. Dennoch sind sie bundesweit gesehen nach wie vor unterrepräsentiert. Nicht überall ist das jedoch der Fall, berichtet Pfarrer Dirk Bingener vom Verein "Freiwillige soziale Dienste im Erzbistum Köln": "Bei uns ist es mittlerweile Normalität, dass auch junge Menschen mit Zuwanderungsgeschichte ein FSJ absolvieren. Und wir begrüßen dies sehr. Wir gestalten dementsprechend unsere Angebote und ziehen die Öffentlichkeitsarbeit so auf, dass sich alle jungen Menschen angesprochen fühlen - ganz unabhängig von ihrem kulturellen, nationalen, religiösen oder sozialen Hintergrund."
Sich orientieren fürs Leben
Zum Beispiel eben Fabia Alm, die ihr FSJ in der Caritaswerkstätte Clara-Fey-Haus für behinderte Menschen in Köln leistet und davon begeistert ist. "Ich stehe hier täglich und immerzu vor neuen Herausforderungen, kann mich selber ausprobieren und habe Seiten an mir entdeckt, die ich vorher noch gar nicht kannte." Die 19-Jährige ist in der Pflege und Betreuung tätig, gestaltet gemeinsam mit dem übrigen Personal den Alltag der Beschäftigten der Einrichtung, vom Frühstück über das "Snoezelen" in der Mittagspause bis zum Feierabend. Oder Karol Kischel (25), der im Alter von zehn Jahren mit seinen Eltern aus Polen nach Deutschland gekommen ist und sich zur Zeit im Caritas-Altenzentrum Sebastianusstift in Hürth in der Pflege engagiert. Auch für ihn hat das FSJ berufsvorbereitenden Charakter. "Ich möchte später in der Altenpflege tätig sein. Im Rahmen eines Praktikums hier am Stift hatte ich von der Möglichkeit erfahren, ein FSJ abzuleisten. Diese Chance habe ich beim Schopf gepackt."
Das FSJ ist also ein attraktives Angebot sowohl für junge Leute, die bereits einen konkreten Beruf im sozialen Bereich ins Auge gefasst haben, als auch für jene, die zwischen Schule und weiterer Ausbildung eine Phase der Orientierung für ihren weiteren Lebensweg suchen. Die Freiwilligen können sich ausprobieren und ihren Interessen entsprechend persönlich weiterentwickeln. Dabei werden sie unterstützt durch die pädagogische Begleitung in den Einsatzstellen. Außerdem können sie sich im Rahmen des Seminarangebots weiterbilden. Hier stehen verschiedene gesellschaftliche und politische Themen im Mittelpunkt. Die Freiwilligen sind an der Konzeption und Organisation der Seminare beteiligt. "Das Seminarangebot ist sehr abwechslungsreich. "Wir lernen hier zum Beispiel etwas über Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Kulturen, haben aber auch schon das Problem psychischer Erkrankungen diskutiert", berichtet Amir Sharbati. Der 20-Jährige kümmert sich im Haus der Jugend in Prüm im Bistum Trier um Kinder und Jugendliche. Er betreut sie bei den Hausaufgaben, bastelt oder spielt Fußball mit ihnen, und gestaltet für sie das Freizeitprogramm in den Schulferien. Amir Sharbati ist mit sieben Jahren zusammen mit seinen Eltern aus dem Iran nach Deutschland gekommen und hat früher selbst regelmäßig das Haus der Jugend besucht, dort als Jugendlicher manche seiner Nachmittage verbracht. Nun hat er die Seiten gewechselt und bereits nach wenigen Monaten als Freiwilliger die Vorzüge des FSJ kennengelernt: "Ich bin selbstständiger und selbstbewusster geworden, traue mir viel mehr zu als zuvor. Schließlich habe ich mitunter mit bis zu 30 Kindern gleichzeitig zu tun. Das ist zwar manchmal anstrengend, macht aber unheimlich Spaß. Ich persönlich würde jedem empfehlen, ein FSJ zu absolvieren."
Engagement bereichert
Fabia, Karol und Amir sind sich einig: Das Freie Soziale Jahr ist für jeden jungen Menschen, ob mit oder ohne Migrationshintergrund, eine enorme Bereicherung. Die Motivationen für ein FSJ sind vielfältig - egal ob man gerade seine Schullaufbahn beendet hat, eine Zeit der (beruflichen) Orientierung benötigt oder sich einfach nur für das Sozialwesen einsetzen möchte. Der Ertrag hingegen ist für alle unbezahlbar: Die Einrichtungen des FSJ sind Orte des sozialen Lernens. Sie bringen Menschen zusammen und lassen sie miteinander wachsen. Einerseits profitieren die, die sich engagieren. Gleichzeitig helfen diese aber auch der Gesellschaft, den anderen.
Info: Mehr Infos www.freiwilliges-jahr.de und www.bdkj.de. Der Verein "Freiwillige soziale Dienste im Erzbistum Köln" ist Bildungsträger für das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) und den Bundesfreiwilligendienst (BFD), der sich auch an Erwachsene über 27 Jahren richtet: www.fsd-koeln.de. Mehr Infos zu FSJ und BDF in der Diözese Trier bei der Arbeitsstelle Soziale Lerndienste im Bistum Trier: www.soziale-lerndienste.de.