Wohnungslos! Selbst schuld? Der tägliche Kampf gegen ein Vorurteil
Faul seien sie und überhaupt: selbst schuld! Denn "in Deutschland muss keiner auf der Straße leben" - einen Satz wie diesen werden etliche Besucher des Wilhelm-Sternemann-Hauses (WSH) schon gehört haben. Denn Vorurteile über Wohnungslose gibt es viele - auch heute noch. Wer die Begegnungs- und Beratungsstätte in Gelsenkirchen aufsucht, die jetzt seit
30 Jahren besteht, weiß, was von diesen Klischees zu halten ist. Rund 40 Menschen, die meisten Männer, kommen täglich zum Mittagessen ins WSH. 50 Cent zahlen sie, oder sie helfen mit. Dann gibt es das Essen gratis. Das Marienhospital Gelsenkirchen macht es möglich, indem es das Essen zur Verfügung stellt. Seit rund einem Monat isst auch Guido G. im WSH. Der 44-Jährige hat vor kurzem eine Wohnung in Gelsenkirchen gefunden. Wie lange er wohnungslos war?
So genau lasse sich das nicht beziffern. Was er alles hinter sich hat? Drogen, Alkohol, Knast. Im Drogenrausch ein Sturz aus dem Fenster. Das Saufen habe er aus Einsamkeit angefangen. Er trennte sich von seiner Freundin, weil sie - so sagt er - während er auf Montage schuftete, sein Geld durchgebracht habe. Die beiden gemeinsamen Kinder wollte er weiter sehen, doch die Frau habe sie ihm vorenthalten. "Ich ging weiter auf Montage. Aber am Wochenende war keiner mehr da", erzählt Guido. "Ich ging in die Kneipe, wurde heroinsüchtig. Musste ins Gefängnis."
Wohnungslosigkeit kann jeden betreffen
Alkohol, Drogen und Gefängnisaufenthalte sind häufige Ursachen für eine Wohnungslosigkeit. Aber nicht ausschließlich: Keine oder eine schlechte Ausbildung kann genauso in die Wohnungslosigkeit führen. Ebenso der Rausschmiss aus dem elterlichen Haus oder die Trennung vom Partner oder der Partnerin.
Im Wilhelm-Sternemann-Haus bekommen Menschen, denen es aus den unterschiedlichsten Gründen gerade nicht so gut geht, neben Essen und Kleidung auch eine fundierte, fachliche Beratung. Dabei sind nicht alle Besucher des WSH wohnungslos, wie Friedhelm Berkenkopf, Caritas-Sozialarbeiter im WSH, weiß: "Etwa 30 Prozent stehen in keinem festen Mietverhältnis, 40 Prozent waren mal wohnungslos und 30 Prozent sind Leute, denen es schlecht geht."
So wie Frida B.*: Die 64-Jährige ist geschieden und hat noch wenige Monate bis zur Rente. Bis dahin wird sie weiterhin zum Mittagstisch kommen. Nach 30 Jahren Tätigkeit in der Fußpflege wurde sie krankgeschrieben und verlor ihren Job. Beim Zuzug von Hessen nach NRW seien ihr von den Ämtern finanzielle Mittel verwehrt worden, weil sie ihre Krankschreibung nicht akzeptiert habe und deshalb die Mitarbeit verweigerte. Um über die Runden zu kommen, schnorre sie. Rund 50 Euro die Woche kämen so zustande. Seit neun Monaten komme sie regelmäßig ins WSH und sei vor allem dankbar für das gute und günstige Essen.
Berkenkopf und seine KollegInnen betreuen heute rund 120 postalisch gemeldete Personen, denen es erst diese Meldeadresse ermöglicht, Leistungen wie Hartz IV zu beantragen. In Gesprächen versuchen die Sozialarbeiter, die Gründe für die Wohnungslosigkeit herauszufinden und erstellen einen individuellen Hilfe-Plan.
Strukturen schaffen - auch durchs Ehrenamt
Eine Wohnung finden, einen Job bekommen - das sind die obersten Ziele der Beratung. Bevor es jedoch so weit ist, müssen Strukturen geschaffen werden. Der 86-jährige Vinzenzbruder Heinz Banning ist seit den Anfängen des Hauses ehrenamtlich dabei: "Viele Leute müssen zunächst einmal wohnfähig gemacht werden. Zum Beispiel morgens regelmäßig früh aufstehen." Zusammen mit anderen Vinzenzbrüdern bietet er Ausflüge an, gestaltet die Freizeit, singt und betet mit den Besucherinnen und Besuchern. "Das macht nicht nur Spaß, sondern hilft auch eine Tagesstruktur zu vermitteln."
Guido G. wird als gelernter Schmied wohl keinen Job mehr bekommen. "Zu kaputte Knochen", sagt er. Durch den Fenstersturz habe er den Körper voller Metall. Fast 20 Jahre sei er heroinabhängig gewesen; nun sei er schon seit drei Jahren clean. Den Wendepunkt brachte sein jüngster Sohn: "Zumindest für den Kleinen wollte ich ein Vater sein. Er sollte mich nicht dicht erleben", sagt Guido. Mehrere Therapien folgten. Geholfen habe ihm auch seine ehrenamtliche Beschäftigung im Liebfrauenstift, einem Seniorenheim der Caritas Gelsenkirchen: "Die Arbeit macht Spaß, mein Tag ist strukturiert und die Leute sind dankbar." Er lese Demenzkranken Geschichten vor, unterhalte sich mit ihnen, begleite sie zum Essen. Mit seinem Schicksal hadert er nicht: "Ich hatte mich für den einfacheren Weg entschieden. Sobald ich die Drogen genommen hatte, habe ich nicht mehr daran gedacht, wie schlecht es mir geht, wie sehr ich meine Kinder vermisse."
Altena-Lüdenscheid
Junge Caritas
Die Caritas Altena-Lüdenscheid startet das Projekt "Young Caritas" für den Märkischen Kreis und ist damit der erste Ortsverband im Ruhrbistum, der aktiv auf junge Menschen zugehen will, um sie für den katholischen Wohlfahrtsverband zu begeistern. Mit zwei neuen Mitarbeitern soll das Ziel erreicht werden. Katharina Walter und Tobias Rödel können sich dabei auf die bestehende Zusammenarbeit der Caritas Altena-Lüdenscheid mit verschiedenen weiterführenden Schulen, dem Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) und drei Berufskollegs im Kreisgebiet stützen. Das Duo will auch jugendliche "Aktionsformen" aufgreifen und junge Leute über die sozialen Medien ansprechen. Außerdem wollen sie Menschen für die Caritas gewinnen, die ein Freiwilliges Soziales Jahr oder den Bundesfreiwilligendienst absolvieren.
Mülheim/Ruhr
Alte Handys in die Box
Die Caritas Mülheim sammelt jetzt ausrangierte Handys mit ihren wertvollen Inhaltsstoffen, um sie in die Produktionskette zurückzuführen. Vier Sammelstellen wurden eingerichtet, an denen Verbraucher ihre ausgedienten Mobiltelefone sowie leere Tonerkartuschen und Tintenpatronen entsorgen können: Die "CaritasBoxen" stehen im Caritas-Zentrum auf der Hingbergstraße, im Kath. Stadthaus, im Sozialamt und in der Sozialagentur der Stadt ("Easy-Tower"). Die Aktion "CaritasBox" vom Deutschen Caritasverband garantiert eine nachhaltige und faire Wiederaufbereitung im Inland. Die hier gesammelten Mobiltelefone werden in Deutschland überprüft und - soweit noch funktionstüchtig - an Zwischenhändler in Asien, Afrika und Osteuropa verkauft. Ein Teil der Erlöse kommt sozialen Projekten zugute. Nicht funktionsfähige Telefone verbleiben grundsätzlich im Inland und werden hier stofflich wiederverwertet.
Hintergrund
Die meisten der bei uns ausrangierten Handys werden in Afrika unter äußerst gesundheitsgefährdenden Bedingungen ausgeschlachtet. Denn: Der Bedarf an neuen Rohstoffen für die Mobiltelefonproduktion steigt auch deshalb kontinuierlich, weil zu viele Handys schon nach kurzer Einsatzzeit im Müll landen, anstatt wiederverwertet zu werden. Der steigende Bedarf führt immer wieder zu militanten Auseinandersetzungen in den Gewinnungsländern.
Infos zur Sammelaktion in Mülheim unter www.caritas-muelheim.de