Vier Sterne plus Charakter
"Guten Morgen. Haben Sie gut geschlafen?" Wer mitkk diesen Worten morgens sehr freundlich am Frühstücksbuffet des Hotels begrüßt wird, spürt: "Dieser Tag kann nur ein guter sein!" Es ist unter anderem diese mit einer Prise Herzlichkeit gepaarte natürliche Freude, die jeden Gast im "Franz" in Essen berührt und anspricht. Und für Jessica Schätzlein, die freundliche Servicekraft, ist das anschließende Lächeln im Gesicht des Gastes die schönste Bestätigung.
"Jessica ist richtig aufgeblüht..."
Denn Jessica - ihr Nachname ist Programm - ist eine junge Frau mit Handicap. Wie sie haben im "Franz", einem barrierefreien Stadt- und Tagungshotel in Essen, rund 50 Prozent aller Mitarbeiter eine Behinderung und erhalten hier berufliche Chancen, die sie auf dem Arbeitsmarkt kaum finden. Die Tätigkeit in dem Integrationsunternehmen "in service" ist daher als Sprungbrett für eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt anzusehen. Das Hotel gehört zum Franz Sales Haus (FSH), einer der größten und traditionsreichsten Einrichtungen der Behindertenhilfe in NRW. 1800 Menschen mit Behinderungen leben, lernen, arbeiten und verbringen ihre Freizeit in über 20 Standorten in Essen. Rund 1000 Mitarbeiter der Caritas-Einrichtung unterstützen sie dabei.
Seit gut einem halben Jahr arbeitet Jessica im "Franz". Die 21-Jährige hat eine Hörbehinderung und kognitive Einschränkungen: "Ich kann viele Geräusche nicht gut lokalisieren", beschreibt sie ihre Handicaps. "Und wenn es zu stressig wird, dann lässt schon mal die Konzentration ein wenig nach." Bevor sie ins Hotel kam, hat sie bei einem Floristen gearbeitet. "Das hat mir nicht so gut gefallen, und weil ich sehr schüchtern war, ist es mir sehr schwer gefallen, mit den Kunden in Kontakt zu kommen."Hoteldirektorin Karin Poppinga fiel schon während des Praktikums von Jessica Schätzlein auf, dass diese gut in ihr Service-Team passen würde: "Sie ist bei uns richtig aufgeblüht und man sieht, dass ihr die Arbeit mit den Gästen sehr viel Spaß macht." Aber nicht nur der Job, sondern auch die Atmosphäre des Hotels gefällt der jungen Mitarbeiterin. "Ich freue mich jeden Morgen auf die Arbeit, denn die Kollegen sind alle so nett. Es macht einfach Spaß, mit denen zusammen zu arbeiten."
Ihre Unsicherheit hat sich inzwischen verflüchtigt. Sie wird von den Fachkräften im Servicebereich ausgebildet und bestmöglich unterstützt. Daher wird sie immer sicherer, kennt ihre Aufgaben und weiß, was die Gäste von ihr erwarten. Von Schüchternheit kann keine Rede mehr sein: Als Anfang Juni NRW-Staatssekretär Dr. Wilhelm Schäffer auf seiner Inklusionstour im Hotel Franz stoppte, kam sie spontan mit ihm ins Gespräch. Völlig unaufgeregt unterhielt sie sich mit ihm über das Integrationsunternehmen und berichtete von ihren Erfahrungen. "Ich habe hier schon so viel gelernt, bin viel schneller und offener geworden und fühle mich hier wirklich wohl", resümierte sie in dem Gespräch mit dem Politiker.
Große Kollegialität
Alles gut bei Jessica Schätzlein, die ihren Beruf, vielleicht auch ihre Berufung gefunden hat. Nur einmal kam sie in Schwierigkeiten: Einige Gäste hatten an der Hotelbar einen (oder zwei, drei…) über den Durst getrunken. "Da hatte ich etwas Angst und wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte", erinnert sie sich. Zum Glück kam ihr Marcos Smid zur Hilfe. Der selbstbewusste Servicemann, der sich als Barkeeper ebenso gut auskennt wie in der Veranstaltungstechnik, übernahm die Bedienung und half den Gästen anschließend auch dabei, den Weg in ihre Zimmer zu finden.
Kollegialität wird großgeschrieben im Hotel unter den behinderten und nicht behinderten Kollegen. Berührungsängste gibt es nicht. Man lernt sich kennen, man hilft sich, man sieht den Charakter hinter der Behinderung. Das "Franz" ist somit auch ein gelungenes Beispiel für eine gelebte, soziale Inklusion wie sie z.B. die UN-Behindertenrechtskonvention fordert. Marcos Smid meint: "Toll, wie die behinderten Kollegen lernen und arbeiten." Da könne man sogar als nicht behinderter Mensch noch Einiges lernen, was z.B. Engagement und Identifikation mit dem Arbeitsplatz angehe.
In der Praxis in Essen gibt es viele individuelle und flexible Lösungen für die Mitarbeiter mit Handicaps. Zum Beispiel bei gehörlosen Mitarbeitern. Zwar ist eine Mitarbeiterin der Gebärdensprache mächtig und "dolmetscht" z.B. bei Teambesprechungen, aber im Arbeitsalltag können die gehörlosen "Franzler" auch von den Lippen ablesen oder kommunizieren schriftlich mit ihren Kollegen. Eine große Hilfe für alle behinderten Mitarbeiter im Housekeeping ist ein Aufgabenbuch, in dem alle zu erledigenden Arbeiten und die Priorität der einzelnen Tätigkeiten verzeichnet sind. Das Buch ist allen Zimmermädchen frei zugänglich und sie schauen selber nach, was noch alles zu erledigen ist. Arbeiten für Gäste haben immer Priorität. Durch die unterschiedlichen Tätigkeiten lernen die Mitarbeiter auch, Zeiten abzuschätzen. Wenn also eine Waschmaschine angestellt wird, kann man in der bekannten Zwischenzeit andere Arbeiten erledigen und die Wäsche anschließend in den Trockner bringen. Hat ein Mitarbeiter eine Arbeit ausgewählt, macht er einen deutlich sichtbaren Punkt hinter die Aufgabe. Dann sehen die Kollegen, dass schon jemand dabei ist, diese Aufgabe zu erledigen. Ist alles getan, wird abgehakt, und die Hausdame kann die Arbeit kontrollieren.
Nach den Sternen greifen
Alles in Butter also im "Franz"? Nicht ganz, denn da ist noch die Sache mit den Sternen, die bekanntlich etwas über die Qualität eines Hotels aussagen. Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA) hat das Haus in Essen-Huttrop nach eingehendem Qualitäts-Check mit sehr guten vier Sternen bewertet. Und die Freude darüber ist bei Hoteldirektion und Geschäftsführung des Franz Sales Hauses groß, aber nicht ungetrübt: "Natürlich haben wir uns riesig gefreut, dass die Beurteilung so positiv ausgefallen ist", berichtet Günter Oelscher, Direktor des Franz Sales Hauses. "Andererseits haben wir aber die Messlatte bei der Planung des Hotels bewusst bei drei Sternen angesetzt, weil wir den Erwartungen der Gäste gerne gerecht werden möchten."
Hoteldirektorin Karin Poppinga setzt daher vorerst auf Understatement: "Gäste, die ein 4-Sterne-Hotel buchen, haben andere Erwartungen an das Hotel. Weil wir nicht wollen, dass uns jemand enttäuscht verlässt, haben wir entschieden, dass wir vorerst nicht so offensiv mit den vier Sternen werben." Dann setze man das eigene Personal auch nicht unnötig unter Druck. In ein, zwei Jahren vielleicht sehe das aber schon anders aus. "Dann greifen wir wieder nach den Sternen."
Und wenn der Gast dann am Abend abgekämpft zurück in sein Hotel an der Steeler Straße kommt, wird er erneut freundlich begrüßt: "Guten Abend. Hatten Sie einen erfolgreichen Tag?" Franz-Mitarbeiter Jörg Grabowski an der Bar weiß, wie er die Gäste aufmuntert - mit einem Drink und netten Worten. Der Mann mit einer leichten psychischen Behinderung lebt mittlerweile in einer eigenen Wohnung, "sieht aber nach wie vor das FSH als seine Familie an", sagt Karin Poppinga, die hinzufügt: "Wir sind schon stolz auf unsere Mannschaft."
Das "Franz" macht Spaß - das gute Gewissen ist zudem ein sanftes Ruhekissen. Es gibt Frühstück, eine kleine Bar und eine Bistrokarte. Im angeschlossenen Veranstaltungszentrum stehen unterschiedliche Tagungsräume, ein Saal und der Cateringservice zur Verfügung. Auch die "Mucki-Bude" und das Warmwasser-Schwimmbecken des zugehörigen Sportzentrums Ruhr können von den Gästen genutzt werden. Die Zimmerpreise sind moderat und beginnen bei 60 Euro für das EZ
Weitere Infos: www.hotel-franz.de
Alexander Richter