„Die Bahn ist mein Leben“
wenn dirk Blumenthal von seinen Freunden nach der nächsten Zugverbindung gefragt wird, kann er immer Auskunft geben - denn er kennt den gesamten Fahrplan der Deutschen Bahn auswendig. Kürzlich machte der 20-Jährige ein Praktikum im Reisezentrum des Köln-Mülheimer Bahnhofs und beriet dort die Kunden.
Halb zwölf, Köln-Mülheimer Bahnhof. Im Reisezentrum herrscht reger Betrieb. Gemeinsam mit drei Kollegen berät Schülerpraktikant Dirk Blumenthal die Bahnkunden. "Wenn Sie nach Düsseldorf wollen, nehmen Sie am besten den RE 5 um 11.39 Uhr von Gleis 3", schlägt er einer älteren Dame im Pelzmantel vor. Egal, wohin die Reise gehen soll: Dirk Blumenthal kennt die schnellste Verbindung. Das Besondere: Er muss dazu weder in den Computer schauen noch einen Fahrplan zur Hilfe nehmen. Welcher Zug um wie viel Uhr an welcher Stelle hält, kann Dirk Blumenthal sofort beantworten.
Der sympathische junge Mann ist Autist, stammt aus Urmitz am Rhein und lebt heute in Rhöndorf im Haus Rheinfrieden, wo er im Nell-Breuning-Berufskolleg auf sein Fachabitur hinarbeitet. Haus Rheinfrieden gehört mit seinem Nell-Breuning-Berufskolleg zur JG-Gruppe, einem katholischen Träger von Einrichtungen für Menschen mit Behinderung. Autisten - so auch Dirk Blumenthal - haben eine sogenannte "Inselbegabung", die sie zu außergewöhnlichen Leistungen in einem Spezialgebiet befähigt. "Die Bahn war schon immer meine Leidenschaft", erklärt der hochgewachsene 20-Jährige. Als Kind habe er unglaublich gerne mit seiner Modell-Eisenbahn gespielt, und schon schnell habe sein Interesse auch der "echten" Bahn gegolten. "Mich faszinieren vor allem die Technik und die Geschwindigkeit", erklärt er.
Den Traumberuf erproben
Als es darum ging, wo Dirk Blumenthal sein Schülerpraktikum absolvieren könnte, fiel ihm die Wahl nicht schwer. "Ich wusste sofort, dass ich zur Deutschen Bahn will", erinnert er sich. Kurzerhand fragte er im DB-Reisezentrum im Kölner Hauptbahnhof nach, ließ sich weitervermitteln und landete schließlich bei Ralf Wieland, Ausbilder im Reisezentrum Köln-Mülheim. Der ist von dem Praktikanten, der jeden Tag mit strahlendem Gesicht bei der Arbeit erscheint und alle Fragen auf Anhieb beantworten kann, begeistert: "Es ist faszinierend, wenn jemand so viel Ahnung hat, nicht nur von den Fahrplänen, sondern auch von den Zügen", lobt er. Auch Judith Pache, Auszubildende im Mülheimer Reisezentrum, findet so viel Fachwissen erstaunlich. "Wir anderen kennen natürlich auch die wichtigsten Verbindungen, aber es ist geradezu unmöglich, sie alle im Kopf zu haben."
Nach seinem Fachabitur, das Dirk Blumenthal voraussichtlich 2014 erreichen wird, will er sich um einen Ausbildungsplatz bei der Deutschen Bahn bewerben. "Es ist mein größter Traum, dort zu arbeiten", schwärmt er. Unterstützt wird er dabei von seinen Lehrern und Betreuern im Nell-Breuning-Berufskolleg. "Dirk Blumenthal ist ein besonders eindrückliches Beispiel dafür, dass man auch mit Behinderung eine berufliche Nische finden kann", sagt sein Klassenlehrer Dietmar Schmitz. Jeder Mensch habe Talente und Fähigkeiten, mit denen er sich gesellschaftlich einbringen und auch beruflich entwickeln könne. "Diese gilt es zu finden und zu fördern - auch wenn sie nicht immer so offensichtlich sind wie die von Dirk Blumenthal."