Wohnen statt essen
Wohnen ist eine Voraussetzung für ein menschenwürdiges Leben. Das hilft aber vielen Tausend Menschen nicht. Für das Geld, das sie von einem nicht besonders hohen Einkommen für die Miete ausgeben können, bekommen sie derzeit in Frankfurt, Freiburg, Berlin, München oder anderen Ballungsräumen: gar keine Wohnung. Nicht mal eine Einzimmerwohnung. Ein Bett in einer Übergangseinrichtung muss reichen.
Die Übergangseinrichtung heißt derzeit zu Unrecht so: Denn sie gewährleistet keinen Übergang mehr vom Obdachlossein zum Wohnen. Wer hier wohnt, wohnt schon seit Monaten viel zu lang hier. Der sitzt fest, weil der Markt für Menschen mit Problemen gar keine Wohnungen mehr anbietet.
Wohnen wird zum Luxus
Es ist ein sogenannter Anbietermarkt geworden. Studentenzimmer werden angeboten, fünf Quadratmeter möbliert in einer WG, für 340 Euro in Berlin. Eine Einzimmerwohnung im Wohnblock, 26 Quadratmeter warm und möbliert für 590 Euro. Die Preise dokumentieren den geschäftstüchtigen Umgang mit der Wohnungsnot.
Bezahlbarer Wohnraum ist Mangelware. In den größeren Städten und deren Umland steigen die Mieten seit Jahren kräftig an. In Stuttgart etwa stiegen die Mieten seit 2007 um 20 Prozent, bei Neuvermietungen ebenso wie für bestehende Mietverhältnisse. Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung schätzt die Zahl der fehlenden Wohnungen auf 265000 bundesweit. Zwar wird gebaut, aber zum einen für Wohneigentümer und zum anderen bei weitem nicht genug für Menschen mit niedrigen Einkommen oder zahlreichen Familienmitgliedern. Privatisierung und Umwandlung in Wohneigentum betreffen nämlich auch den Wohnungsbestand. Von rund vier Millionen Sozialwohnungen im Jahr 1989 sind heute nur noch 1,4 Millionen übrig. Zugleich wächst die Zahl der Menschen, die eigene Wohnungen wollen und nutzen: Die Einpersonenhaushalte in unserer Gesellschaft nahmen von 38,7 Millionen im Jahr 2002 auf 40,3 in 2010 zu. Allein schon deswegen wären jährlich 250000 neu gebaute Wohnungen notwendig. Gebaut wurden in den letzten Jahren aber viel weniger. Private investieren in den Mietwohnungsbau nur, wenn es sich rentiert. Auch bei günstigsten Baukosten und trotz niedrigstem Zinsniveau lohnt es sich erst bei 8,50 Euro pro Quadratmeter, sagt der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen. Wohnraum mit Quadratmetermieten um sechs Euro gibt es, wenn überhaupt, nur noch auf dem flachen Land.
Was heißt hier angemessen?
Wer auf Unterstützung angewiesen ist, erhält auch Wohnkosten ersetzt - vorausgesetzt, sie sind angemessen. Was ist angemessen? Ein Alleinlebender hat einen Anspruch auf 45, maximal 50 Quadratmeter, ein Paar auf höchstens 65, drei Personen bekommen 80 und jede weitere Person zusätzlich 15 Quadratmeter zugestanden. Ist die Wohnung zu groß, kann das Jobcenter verlangen, dass in eine den Vorgaben entsprechende umgezogen werden muss.
Angemessen muss auch die Miete sein. Die errechnet sich aus dem Quadratmeterpreis mal der Fläche. Hier geben Städte, Kommunen und Kreise jeweils eigene Grenzen vor. In Städten wie Freiburg (8,64 Euro), Stuttgart (8,00 Euro) und München (8,98 Euro) ist es teurer als auf dem Land wie im Kreis Vogelsberg (6,15 Euro) oder in den weniger zentral gelegenen Städten wie Vechta oder Passau. Im Osten Deutschlands gelten in Berlin 6,35 Euro je Quadratmeter Wohnraum als angemessen bezahlt, in Leipzig 5,60 Euro und in Görlitz 4,75 Euro. Das bedeutet also Angemessenheit. Ob man tatsächlich angemessenen Wohnraum findet, ist unterschiedlich: Schwierig bis unmöglich ist es im Rhein-Main-Gebiet und im mittleren Neckarraum, in den Großstädten wie München, Köln, Hamburg und Berlin und in den beliebten Universitätsstädten Heidelberg und Freiburg.
Wenn man arbeitslos wäre, würde der Sozialhilfeträger in Freiburg für eine Einzimmerwohnung bis 45 Quadratmeter samt Nebenkosten maximal 364,95 Euro zahlen und nicht, wie angeboten und verlangt, 400 oder 455, 475 und noch mehr Euro. In München, berichtet die örtliche Caritas, liegt die Obergrenze für einen Zweipersonenhaushalt bei 564,59 Euro: "Dafür gibt es nicht mal ein Einzimmerapartment", sagt Julia Primus vom Sozialpsychiatrischen Dienst in Laim/Sendling.
Am schlimmsten aber ist: Das Problem wächst. Jährlich fehlen immer mehr Wohnungen, weil nicht für den Bedarf gebaut wird und viele einfach mangels Alternative auch in einer großen Wohnung bleiben, die sie nicht mehr bräuchten. Für Menschen, die bei der Caritas um Hilfe bitten, heißt das: 2007 kamen 10,9 Prozent von ihnen, weil sie Wohnprobleme hatten. 2009 waren es 15,6 Prozent. 2012 waren es schon 18,5 Prozent.
Was kann man dagegen tun?
Der Caritasverband für Stuttgart ist nun in die Offensive gegangen und hat die Stadtverwaltung zur Überprüfung der leerstehenden 11400 Wohnungen in der Landeshauptstadt aufgefordert. Die Stadt solle die Vermieter durch Zuschüsse für Umbau und Sanierung, durch Garantiemietverträge und Mietzuschüsse zum Vermieten motivieren. Damit könnten die 3300 Personen aus der Wohnungsnotfallkartei untergebracht werden. Im Gegenzug könnte die Stadt Stuttgart Belegungsrechte auf Dauer erwerben, wie das bereits mit Erfolg in Karlsruhe umgesetzt worden sei.
Was kann die Caritas tun?
Klienten beraten, Prävention betreiben bei Menschen mit psychischen Problemen, damit sie nicht in Gefahr geraten, die Wohnung zu verlieren; Kaution stellen bei Mittellosen-Projekten. Ganz wichtig, so die Caritas-Berater, ist es, Wohnungssuchenden bei der Beschaffung von Dokumenten, Berechtigungen, Bescheinigungen zu helfen: Ohne Papiere und Nachweise wird niemand als Mieter akzeptiert. Und viele Ratsuchende sind nicht nur verzweifelt, sondern auch schlecht organisiert und hilflos.
Was kann jeder selbst tun?
Als Immobilienbesitzer Familien und Alleinerziehende als Mieter nehmen. Wenn es Probleme gibt, kann die Caritas helfen! Als Mieter bei geringerem Bedarf umziehen in eine kleinere Wohnung.
Was kann der Staat tun?
In neuen Wohngebieten Sozialwohnungsbau vorschreiben, aber nur mit Quoten unter 20 Prozent, um Ghettoisierung zu vermeiden. Und der Staat kann per Gesetz eine Mietpreisbremse bei Neuvermietung vorschreiben - damit nicht ein Aufschlag von 30, sondern nur von bis zu zehn Prozent möglich wird.