„Und wer sind Sie?"
Kaspar, ein Mittfünfziger mit sprühendem Geist und scharfer Zunge, wirbt um Anna, geschieden mit studierender Tochter. Eine spannungsgeladene Beziehung, die nach zwei Jahren "verbindlich" wird. Kaspar beeindruckt Anna mit seinen sarkastischen Kommentaren; Anna entdeckt hinter dieser Fassade den Menschen, den sie liebt. Das Theaterstück "Wege mit dir" des deutschen Schriftstellers und Bühnenautors Daniel Call zeigt die Beziehung zweier Menschen, die sich nichts mehr beweisen müssen. Innere Monologe der beiden Hauptfiguren Kaspar und Anna erlauben dem Zuschauer einen Blick in die Gefühlswelt der beiden. In Rückblenden aus Annas Tagebuch erfährt man ihre Gedanken. Kaspars eigene Aufzeichnungen offenbaren schließlich seine Gedächtnislücken: Ihm entfallen die eben zitierten Dichter, sein Saxofonspiel wird brüchig, er behilft sich mit Zetteln und übt mit Kinderspielzeug Formen und Farben.
Als seine Demenz nicht mehr zu übersehen ist, erhört Anna ihren Lebensgefährten und heiratet ihn. In der Hochzeitsszene findet das Stück seinen dramatischen Höhepunkt. Wie in besten Zeiten streitet das Paar über Kleinigkeiten, Kaspar kokettiert mit seiner Vergesslichkeit, und als er Anna am Ende fragt: "Und wer sind Sie?" bleibt offen: Was ist Spiel und was ist gespielte Realität? Anna bleibt Kaspar fast bis zur Selbstaufgabe treu und klammert sich an das, was ihr von dem geliebten Menschen geblieben ist. Das ist nicht viel: ein starr vor sich hin blickender, stummer Mann mit kleinen, mechanischen Bewegungen. Als sie ihn schließlich doch ins Heim gibt, bleibt eine zerrissene, ratlose Frau zurück, die nicht versteht, was aus ihr geworden ist.
Herausforderungen für Schauspieler und Publikum
Am Ende ist es sehr still im Kongresszentrum Garmisch, bevor der Applaus losbricht. Über 90 Minuten haben die Laienschauspieler mit großem Engagement gespielt. Alle arbeiten in Einrichtungen der Caritas: Die Idee zum Theaterstück entstand bei einer Kaffeepause, sagt Spielleiterin Gertraud Schreiber. Auf der Suche nach einer Alternative zu einem trockenen Vortrag über Demenz. Der andere Zugang zum Thema Demenz hat mit einer ausverkauften Vorstellung 140 Zuschauer überzeugt.
Der Leiter des Altenheims St. Vinzenz, Franz Reich, der den Kaspar spielt, ist früher schon auf Laienbühnen aufgetreten, aber: "Bisher hatte ich nur einfache, lustige Rollen." Der Kaspar mit seiner Entwicklung vom intellektuellen Zyniker zum orientierungslosen, hilfebedürftigen Menschen sei schon eine ganz besondere Herausforderung gewesen. "Nach jedem Spiel bin ich fix und fertig. In diesem Stück steckt ja so viel Dramatik drin, wenn jemand selbst merkt, wie seine geistige Kraft langsam schwindet." Obwohl Reich jeden Tag mit Demenzkranken umgeht, erforderte es sehr viel Kraft, den Übergang zum Verfall schauspielerisch umzusetzen. Beatrice Schönauer in der Rolle der Anna zeigte die ganze Spannbreite einer attraktiven Frau bis hin zur überforderten pflegenden Partnerin. Steffi Wolf, die in der sozialen Begleitung im Altenheim arbeitet, gibt eine wunderbar motzige Tochter Raika ab.
Theater trifft Wirklichkeit
Das Theaterstück ist berührend nah an der Realität, aber es bleibt eben doch Theater. Die Zuschauer sind eingetaucht in ein Leben, das jeden ereilen kann. Sie reagierten nachdenklich, aber auch intensiv diskutierend. Alle Mitwirkenden von der Souffleuse über die Beleuchter bis zur Maske sind stolz auf ihre Leistung. Schließlich sind sie keine Profis und haben alle Vorbereitungen und Proben neben ihrem Job geleistet. Sie sind sich jedoch einig, dass es ihnen viel Freude gemacht hat, vor allem die Zusammenarbeit mit Kollegen aus unterschiedlichen Arbeitsfeldern der Caritas. Steffi Wolf als Raika hat vor allem Selbstbewusstsein gewonnen. "Der demente Kaspar begegnet mir ja in meiner täglichen Arbeit", sagt sie.