Tafeln sind sozial und ökologisch
11.30 Uhr bei der Bruchsaler Tafel. Zehn Kunden machen lange Hälse vor leeren Obst- und Gemüseauslagen. Fast nichts mehr da. Ulrich Ellinghaus ist entspannt. "Ein Laster ist noch draußen", beruhigt er.
Da fährt schon der Sprinter in den Hof hinter dem ehemaligen Schlachthof. Zack, zack flitzen 35 fleißige Helferinnen und Helfer los, um binnen Minuten die Ladung in Kisten hereinzubringen und sofort zu sortieren: Zucchini, Äpfel, Blumensträuße, Obst, Abgepacktes. Sortiert wird blitzschnell nach Qualität und Zustand in farbige Boxen. Dunkelgrün heißt: Mensch. Hellgrün heißt: Tierpark. Rot heißt Biogasanlage. Die dunkelgrünen Boxen gehen gleich in die Auslage, Kunden mit Kinderwagen und Rollator bedienen sich und freuen sich über frisches Obst und Gemüse. Und die Blumen.
Nur acht Mitarbeiter sind Angestellte
Ulrich Ellinghaus (72) hat die Tafel in Bruchsal vor 14 Jahren mitgegründet und aufgebaut. Er war lange Jahre Betriebsleiter bei Unternehmen wie Kraft und Rewe - und ist Kaufmann durch und durch. Die Bruchsaler Tafel ist ein Geschäft mit 1000 Quadratmetern, mit Kühlhaus und Tiefkühltruhen, mit Secondhand-Kleidung, einer Möbelabteilung aus Spenden, mit Kindersachen und Spielwaren und wöchentlichem Flohmarkt. 220 Mitarbeitende gehen Ellinghaus zur Hand, aber nur acht sind bei der Caritas Bruchsal angestellt. Die anderen sind: Ein-Euro-Jobber, Freiwillige ("also ehemalige Ein-Euro-Jobber, die nach dem Auslaufen der Förderung keine andere Arbeit gefunden haben, in ein Loch gefallen sind, weil sie Struktur und Kontakte verloren und deshalb wieder bei uns angefragt haben").
Zäh hat Ellinghaus dann mit der Arbeitsverwaltung ausgehandelt, dass solche Leute bis 200 Euro monatlich verdienen dürfen, ohne dass es auf ihr Arbeitslosengeld II angerechnet wird. "Wenn einer mit 5000 brutto eine Trainerpauschale fürs ehrenamtliche Engagement steuerfrei kriegt, dann muss das auch für unsere Leute gelten." Weiter im Personalüberblick. "Seitenwechsel"-Praktikanten von Großfirmen arbeiten zusammen mit Sozialstündlern, die vielleicht beim Schwarzfahren erwischt wurden und so ihre Buße leisten. Schülerpraktikanten erarbeiten sich das Lernziel "Sensibilität für Armut". Flüchtlinge arbeiten mit, Bundesfreiwilligendienstleistende, Ehrenamtliche. Ellinghaus: "Vom Obdachlosen bis zur Millionärsgattin - alle gleich: Die Würde jedes Menschen ist unantastbar." Alle respektieren einander, Junge und Ältere, Frauen und Männer, egal welcher Muttersprache. Kollegen eben. Sauberkeit, Fairness und Benimm sind für alle im Laden Gesetz, in 14 Jahren gab es hier keine Konflikte.
Ein Kaufmann hat auch Filialen, so gibt es rund um Bruchsal sechs, in Waghäusel, Bad Schönborn, Graben-Neudorf, Blankenloch, Philippsburg. In Mingolsheim ist ein Kleiderladen angeschlossen. Warum? "Wir wollen so nahe wie möglich an den Menschen dran sein, genau wie die Caritas hier." Hier wird zu kleinen Preisen verkauft, was an Lebensmitteln von den großen Ketten wie Aldi und Edeka oder den Supermärkten wie Globus und Real abgeholt und sortiert wird. Oder verwertet, siehe Biogasanlage, sagt Ulrich Ellinghaus, "bis zum letzten Stängele. Nicht in die Mülltonne."
Sein Antrieb zur Tafelgründung war zunächst nicht christlich oder sozial. "Was mich trieb, war, dass Lebensmittel nicht weggeworfen werden. Alles, was wir haben, wurde doch vorher vernichtet" - in einer Gegend, in der es zwischen Karlsruhe und Heidelberg vor 2006 keine Tafeln gab. "Das war dramatisch, wir sind in erster Linie Lebensmittelretter." Erst danach kam die Frage: An wen geben wir es weiter - heute täglich 2,5 Tonnen Lebensmittel. Mit neuen Bewegungen wie Foodsharing und Containern gibt es klare Absprachen und keine Konflikte: "Die grasen kleinere Geschäfte ab. Die großen Märkte sind für die Tafel."
Einkaufen darf man hier täglich
Kunde kann hier sein, wer nicht mehr Gesamteinkommen hat als die Pfändungsfreigrenze. Für eine Einzelperson sind das derzeit 1180 Euro, bei zwei Haushaltsmitgliedern 1630. Dann bekommt man bei der Bruchsaler Tafel und ihren Filialen einen ein Jahr gültigen Einkaufsausweis. Wohlgemerkt: Die Pfändungsfreigrenze liegt höher als der steuerliche Grundfreibetrag oder das sozialhilferechtliche Existenzminimum. Derzeit gibt es 2200 Ausweise, 2,5 Personen hat der durchschnittliche Bezieherhaushalt. Darunter sind viele Rentner, Alleinerziehende, Kinderreiche, Niedriglöhner. Und Leute, die auch die Beratung durch die Sozialarbeit der Caritas zweimal wöchentlich gut gebrauchen können, wegen Schulden oder anderen Schwierigkeiten. "Viele Kunden kommen ewig und drei Tage", weiß Ellinghaus. "Wer mal im Hamsterrad ist, kommt nur selten wieder raus."
Nachhaltigkeit muss sich rechnen
Einkaufen darf man hier jeden Tag. Da trifft man Bekannte, Freunde. Gut möglich, dass man auch Ulrich Ellinghaus trifft, denn er ist von Montag bis Freitag da. "Von morgens fünf bis mittags 14.30 Uhr. Am Samstag nur von 7.30 bis 11.30 Uhr." Er findet, dass auch eine Tafel sich rechnen und tragen muss. Seine ist ein mittelständischer Betrieb, den er wirtschaftlich führt. "Dabei hieß es früher, Bruchsal braucht doch als Mittelstadt keine Tafel." Heute profitieren 5000 Menschen von der Unterstützung.
"Anfangs gab es Widerstand der Nachbarn gegen jeden Anmietungsversuch", erst gute Kontakte und Lobbyarbeit verhalfen zum jetzigen Hauptsitz, der davor ein Edeka-Markt war. Und nimmermüde Spendenakquise. Beim Stadtpfarrer und beim SAP-Gründer war Ellinghaus, Stiftungen sucht er heim - gerade gab es neue, energiesparende Tiefkühltruhen, auch die Kühlhaustechnik ist energetisch fit.
Jede Filiale sortiert Kleiderspenden aus insgesamt 70 Containern. Was zerrissen oder zerschlissen ist, geht an einen zertifizierten Textilverarbeiter. Möbel werden mit gas- und stromangetriebenen Fahrzeugen geholt und vom Schreiner begutachtet, verkauft und zum Selbstaufbau geliefert an die Tafelkunden. Was nicht gefragt ist, das entrümpeln die Tafelmitarbeiter gegen Bares: Auch hier muss sich Nachhaltigkeit rechnen.