Repair-Café im Mehrgenerationenhaus
Manchmal kann ein Reparatur-Café Leben retten. Im Falle eines Mehrfachsteckers ist das wörtlich zu verstehen. "Es gab ein Sicherheitsproblem", sagt Michael Konstanzer, eines der Urgesteine im Repair-Café des Mehrgenerationenhauses EBW in Freiburg. "Die Frau hätte einen Stromschlag bekommen und tot sein können. Das hat mich heute am meisten beschäftigt", meint der 76-jährige Elektroingenieur.
Heute - das war wieder einmal Großkampftag im Mehrgenerationenhaus. Alle zwei Monate organisieren Ehrenamtliche dort das Reparatur-Café. Unter dem Motto "Alles, was man alleine tragen kann" - es kamen schon Besucher mit einem ganzen Rollwagen voller defekter Geräte - versuchen bis zu zehn Ehrenamtliche, Kaputtes gegen Spende wieder heil zu machen. Von Klein-Elektro über Fahrräder bis hin zu Kleidung oder Holz: Alles wird angeschaut, bearbeitet, repariert oder, und so ehrlich sind die Tüftler, mit Bedauern zurückgegeben. Denn nicht alles kann man wieder kleben oder löten.
Die Hälfte der Sachen kann wieder repariert werden
20 bis 30 Besucher kommen jedes Mal ins Reparatur-Café, weiß Willi Martin. Der 71-Jährige hat zusammen mit Klaus Oriwall und Alix Pohl im Jahr 2015 mit der Planung des Cafés im Mehrgenerationenhaus begonnen. Seit 2016 läuft es - und es läuft gut. Von Anfang an bis heute waren rund 460 Menschen da. Eine Statistik erfasst akribisch die Gästezahlen und was repariert wurde, ob Ersatzteile nötig waren, ob die Reparatur gelungen oder nicht möglich war. "Fifty-fifty", bilanziert Klaus Oriwall: In der Hälfte aller Fälle können die Kunden ihr geliebtes Utensil wieder funktionsfähig mit nach Hause nehmen.
Auch sonst herrscht hier trotz des Gewusels Ordnung. Wer kommt, muss sich an einem gesonderten Tisch bei Alix Pohl anmelden und ein Formular ausfüllen: Gerät, Marke, Zubehör, Fehlerbeschreibung werden ebenso erfasst wie die Namen der Besucherinnen und Besucher sowie des zuständigen Reparateurs - und am Schluss auch, ob der Schaden behoben wurde oder nicht. Manche lassen ihr Gerät da, manchmal müssen Ersatzteile bestellt werden - alles wird dokumentiert. "Das muss ja ein bisschen Hand und Fuß haben", findet Willi Martin. Auch rechtlich. "Wir sind ja keine Firma mit Garantie", erklärt der ehemalige Kfz-Mechaniker. Die Kundin oder der Kunde unterschreibt den Auftrag und erklärt sich mit den Nutzungsbedingungen einverstanden.
Dann wandert der Gegenstand zu den fünf ehrenamtlichen Experten, Elektriker oder Mechaniker im Ruhestand. Der Gast kann derweil umsonst einen Kaffee trinken oder schaut beim Reparieren zu. So wie Bettina Hein. Sie ist heute mit ihrem neuen Smartphone hier, um es sich erklären zu lassen. Außerdem hat sie die Lampe einer Freundin mitgebracht, die trotz neuer Birne nicht mehr funktioniert. Ebenso wenig wie der Stabmixer, der ein komisches Geräusch beim Einschalten macht. Sie sitzt den sechs Männern gegenüber, die in einer Reihe jeder ein Elektrogerät vor sich haben, es begutachten oder daran schrauben. Auf dem langen Tisch liegen Kabel, Stecker, Schraubendreher, Zangen, klaffende Elektroteile, darunter mutmaßlich ein halb offener Thermomix. Bettina Hein ist voll des Lobes. "Der Stabmixer geht wieder, die haben einfach mit Kontaktspray gesprüht", schwärmt die 73-Jährige. Dass sich jemand, der was davon versteht, der Sache annimmt, gibt ihr Sicherheit. "Ich kann das wieder benutzen und kriege noch einen Kaffee geschenkt, das ist genial."
Verlängertes Geräteleben: gegen Müll und für den schmalen Geldbeutel
Die Reparatur-Kultur hat in den vergangenen Jahren Aufschwung bekommen. Viele junge Menschen entdecken sie wieder, Repair-Cafés boomen in den Städten Deutschlands und in ganz Europa. Und nicht umsonst soll 2021 eine EU-Richtlinie in Kraft treten: Ersatzteile sollen besser verfügbar sein und Reparaturen einfacher gemacht werden können. Warum Altes verschrotten, nur weil ein Kontakt oder ein Schalter nicht mehr funktioniert?
"Das ist zu schade zum Wegwerfen" ist bei den Gästen im Repair-Café Tenor - auch und gerade unter dem Stichwort der Nachhaltigkeit. Doch viele sind einfach hier, weil sie sich einen neuen Wasserkocher oder ein neues Radio nur schwer leisten können.
"Wir Alten haben alle was abzugeben"
"Der in der Mitte da hat einmal ein Bügeleisen, das meiner Enkelin heruntergefallen ist, mit nach Hause genommen. Zum nächsten Reparatur-Café hat er es heil wieder mitgebracht." Bettina Hein deutet auf Michael Konstanzer. Der hat inzwischen auch die Lampe ihrer Freundin wieder repariert. Hein sieht das alles auf der Basis eines Gebens und Nehmens, so wie früher. "Wir Alten haben alle was abzugeben. Warum sollte man diese Fähigkeiten nicht nutzen?", fragt sie. "Es haben auch nicht alle die gleiche Kohle. Da sind die Leute glücklich, wenn der Föhn wieder funktioniert." Seit 40 Jahren wohnt sie im Stadtteil und engagiert sich auch selbst zusammen mit anderen Helferinnen einmal in der Woche in der Küche des Mehrgenerationenhauses, die dienstags bis donnerstags ein Essen für 80 bis 100 Menschen zaubert. "Das Essen ist der Renner, wir haben eine tolle Hauswirtschafterin", erzählt sie. "Jeder macht in der Küche alles und wir gehen gut miteinander um."
Die Gemeinschaft macht’s, auch unter den Ehrenamtlichen, sagt Bettina Hein. "Vieles im Leben steckt man weg, weil man gebraucht wird." Das sieht auch Michael Konstanzer so. Er hatte einen hochkarätigen Job als Elektroingenieur bei einer renommierten Firma und hat sich die eine oder andere Erfindung patentieren lassen. "Ich könnte jetzt auch auf Teneriffa am Strand liegen." (Das Gespräch wurde vor der Corona-Krise geführt, d. Red.) Warum er das nicht tut? "Weil ich gern mit den Fingern was mache und mein Wissen anwenden will", meint der passionierte Tüftler. "Der Lohn ist, wenn die Leute sich freuen und ich was erfolgreich repariert habe."
Ein Ort gegen die Einsamkeit
Das Reparatur-Café versteht sich vor allem als eines: als Ort der Begegnung. Beim Warten und Kaffeetrinken können die Gäste miteinander ins Gespräch kommen. Außerdem erfahren sie, was sonst noch im Mehrgenerationenhaus läuft: Beratung, Bewegung, Religiöses, Freizeit und Kultur, Gaststätte und Kegelbahn. Bernadette Gilio ist eine treue Besucherin des Hauses und vor allem der Schreinerwerkstatt. "Wie oft stellen die Leute was raus, was man noch gut gebrauchen kann?" Beim Schreiner Gerhard Trescher hat sie einen gebrauchten Tisch zum Abschleifen in Arbeit. Lange hat sie hier im Stadtteil gewohnt und ist dem Haus noch immer verbunden. "Es ist wichtig, dass man andere Leute sieht", sagt die 73-Jährige, die etwas verloren wirkt. "Das Haus ist ein sozialer Anker, gerade, wenn es einem nicht gut geht." - Also das, was das Mitarbeiter-Team unter sozialer Nachhaltigkeit versteht.