Die Hausaufgabenhilfe - ein Frühwarnsystem
Andersenschule, Diesterwegschule, Erich-Kästner-Schule, Goetheschule ... Im Büro von Gülsün Özcan im Migrationsdienst des Caritasverbandes Darmstadt stehen jede Menge Ordner, auf denen die Namen von Grundschulen verzeichnet sind. Schlägt man einen von ihnen auf, finden sich differenzierte Stundenpläne, aktuelle Teilnehmerlisten, Adressen und Telefonnummern von Honorarkräften und Ehrenamtlichen, Abrechnungen und Protokolle von Gesprächen mit Schulleitungen. Ein richtiges kleines Bildungswerk verbirgt sich in Frau Özcans Büro. Die vom Land Hessen geförderte Hausaufgabenhilfe der Caritas betreut in Darmstadt pro Schuljahr circa 500 Kinder und Jugendliche in 16 Schulen. Aber das alles zu managen ist nur der kleinste Teil der Arbeit.
Spannend wird es, wenn man die Listen der teilnehmenden Kinder anschaut und nach ihrem Hintergrund fragt. Gülsün Özcan weiß um die schwierige Situation einer Flüchtlingsfamilie, in der kaum Deutsch gesprochen wird und niemand da ist, der den Kindern helfen könnte. Sie kennt die alleinerziehende Mutter eines Mädchens, deren Wohnsituation kaum zulässt, dass ihre Tochter regelmäßig ihre Hausaufgaben macht. Sie weiß, dass viele Kinder den ganzen Nachmittag allein zu Hause wären, könnten sie nicht zur Hausaufgabenhilfe der Caritas an ihrer Schule gehen. Etwa 80 Prozent derer, die sie in Anspruch nehmen, sind Kinder aus Zuwandererfamilien. Sie kommen aus allen möglichen Nationen. Im Jahr 2008 waren es 36.
Ohne Ehrenamt und Zuschuss geht's nicht
Die von der Schule angebotene Ganztagsbetreuung kostet Geld, für viele Familien sind die bis zu 100 Euro monatlich zu viel. Die 20 Euro im Schulhalbjahr für die Hausaufgabenhilfe dagegen sind gerade noch zu verkraften. Geringverdiener und ALG-II- oder Sozialhilfeempfänger sind ohnehin davon befreit. Die Eltern sind froh, die Kinder für diese Zeit unter wohlwollender Aufsicht zu wissen, und dankbar, dass ihnen hier auch schulisch weitergeholfen wird.
Die größte Leistung der Organisatoren ist es, Menschen zu finden, die für eine kleine Aufwandsentschädigung oder sogar ganz ohne Bezahlung regelmäßig und verlässlich an ein oder zwei Nachmittagen pro Woche in der Schule für die Kinder da sind.
Die Zusammenarbeit mit den Schulen ist eng. Zum Schuljahresanfang werden bei den Schulen "Antrittsbesuche" gemacht. Dabei wird das Angebot für das kommende Schuljahr verabredet. Nicht alle Schulen, die Interesse haben, können berücksichtigt werden.
Da die Nachfrage größer ist als das Angebot, müssen immer wieder Absagen erteilt werden.
Die Lehrer stellen den Kindern oder auch den Eltern das freiwillige Angebot vor. Gelegentlich empfehlen sie auch schon mal nachdrücklich, daran teilzunehmen. Viele Migrantenfamilien, für die die Schule als Institution fremd ist, reagieren zurückhaltend. Gülsün Özcan bietet sich im Rahmen von Elternversammlungen in der Schule zum Gespräch an. Sie sucht aber Zuwandererfamilien auch zu Hause auf, um das Angebot in Ruhe zu erklären. Ihre eigene türkische beziehungsweise kurdische Herkunft kommt ihr dabei entgegen. So kann sie gerade Familien türkischer Herkunft in ihrer Sprache erklären, warum die Sache mit der Schule, das Deutschlernen und die Bildungschancen für ihre Kinder so wichtig sind.
So wird beispielsweise eine Zeit lang eine Einzelbetreuung ermöglicht, um einen Wechsel in eine Förderschule zu verhindern oder die Versetzung in die jeweils nächste Klasse zu erreichen. Die Hausaufgabenhilfe fungiert als Frühwarnsystem, wenn es darum geht, Sonderschuleinweisungen von ausländischen Kindern zu vermeiden. Der örtliche Ausländerbeirat ist mit im Boot und hilft bei den Honorarkosten.
Das Angebot wird immer wieder angepasst: An einer Schule hat man sich zum Beispiel entschlossen, Mädchen und Jungen getrennt zu betreuen. An einer anderen Schule ist das Angebot in ein Projekt "Essen und Sport" eingebunden: Die Kinder können hier nach der Schule essen, die Hausaufgaben mit Betreuung erledigen und treffen anschließend auf ein Freizeitangebot. An einigen Schulen geht die Nachfrage zurück. Im Überblick erkennt Frau Özcan, dass es mehrere jugendliche Neuzuwanderer gibt, die gezielt Einzelförderung in der deutschen Sprache benötigen, um ihren Einstieg in der Schule hinzukriegen. Auch das wird ermöglicht.
Gülsün Özcan ist schwer erreichbar: Ein Bürojob ist ihre Arbeit nicht! Sie ist viel vor Ort und ständig am Jonglieren: Wo sind die Gruppen schon übervoll, wo muss erneut auf das Angebot aufmerksam gemacht werden? Wo sind die Eltern bislang nicht in Erscheinung getreten, wo muss man nachhaken wegen unregelmäßiger Teilnahme der Kinder, wo wäre eine Integrationsberatung angebracht? Welche Schule hat neu angefragt, wie viele Mitarbeiterinnen stehen zur Verfügung ...?
Erfolge motivieren Kinder und Helfer
An die 90 Personen wirken bei der Hausaufgabenhilfe mit. Frau Özcan kennt sie alle. Sie besucht die Gruppen und bietet Fortbildungen und Termine zum gegenseitigen Austausch an. Die Hausaufgabenhilfe ist zwar kein neues Angebot, aber dennoch alles andere als ein alter Hut. Für Menschen, die sich nachmittags für einen begrenzten Zeitraum zur Verfügung stellen können und wirksam helfen wollen, erweist sich die Hausaufgabenhilfe als tolle Möglichkeit für ein gut strukturiertes Engagement. Eine Reihe junger Leute, vorwiegend Studierende, sind dabei, mehrere Pensionäre, auch ehemalige Lehrerinnen, machen mit. Familienfrauen, die derzeit nicht oder nur in Teilzeit im Erwerbsleben stehen, bringen sich ein. Die kleinen Erfolge, wenn ein Kind das Klassenziel doch erreicht, der Besuch der weiterführenden Schule gelingt, die Dankbarkeit der Eltern zum Ausdruck kommt, erleben sie als beglückend. Und nicht selten werden aus solchen Lernbekanntschaften auch eine Art Familienpatenschaften oder Freundschaften.
Kontakt: Gülsün Özcan
Caritasverband Darmstadt
Tel. 06151/999143
E-Mail: mailto:g.oezcan@caritas-darmstadt.de