Jahreskampagne der Caritas 2013: „Familie schaffen wir nur gemeinsam“
Die Kinder der Pflegefamilie Bojek oder: der Unterschied zwischen echter und Bauch-Mama
"das ist meine echte Mama". So stellt Lena (6) mir Aggi Bojek vor. Es gibt es noch eine zweite Mutter in Lenas Leben. Das Mädchen nennt sie die Bauch-Mama - ihre leibliche Mutter, die mit der Betreuung der kleinen Tochter hoffnungslos überfordert war.
Aggi und Horst Bojek haben das Kind unmittelbar nach seiner Geburt zu sich genommen. Seit sechs Jahren lebt Lena in dem großzügigen Zweifamilienhaus in Oberhausen-Holten. Ein aufgewecktes Mädchen, das gerne tanzt und Pferdebücher liest. Bald, im Sommer, wird Lena eingeschult.
Schreiben kann sie schon jetzt eine ganze Reihe von Wörtern: Mama, Papa, Oma. Der große Bruder hat es ihr beigebracht. Luca (15) lebt seit acht Jahren in der Pflegefamilie. "Wir wollten eigentlich nur ein Kind, und zwar ein Mädchen", lacht Aggi Bojek. Sie bekam zwei Jungs. Neben Luca auch noch Marcello (12), leibliche Geschwister, die das Jugendamt nicht trennen wollte. Zwei Jahre später dann noch Lena. Damit sind die Bojeks eine Großfamilie, denn sie haben auch noch drei (erwachsene) eigene Kinder, die allerdings nicht mehr zu Hause wohnen.
"Wir haben Glück gehabt", sagt Horst Bojek. Es war Sympathie auf den ersten Blick. "Okay, bei Dir war’s der zweite Blick", scherzt der Pflegevater in Richtung Luca, der anfangs sehr zurückhaltend war, was sich längst gelegt hat. Luca kommt gut in der Schule klar, hängt wie die meisten Jungs in seinem Alter gerne vorm Computer und streitet sich wie die meisten großen Brüder öfter mit seiner Schwester.
Bereitschaftspflege
Doch im Moment wiegt der 15jährige die kleine Olga auf dem Arm. Das Baby haben die Bojeks vor vier Wochen im Rahmen der Bereitschaftspflege aufgenommen. "Katja, die leibliche Mama, wusste nicht, wie man sich um so ein Baby kümmern muss", erklärt mir Lena. Ob sie eifersüchtig ist auf die kleine Olga, will ich wissen. "Nein, wieso denn?" Lena weiß ganz genau, dass ihr niemand ihre "echte" Mama wegnimmt.
"Olga macht Urlaub hier", so haben es ihr die Pflegeeltern erklärt. Sobald eine Familie gefunden ist, die Olga dauerhaft aufnimmt, zieht die Kleine um. Doch Lena bleibt, genau wie Luca und Marcello - solange bis sie erwachsen ist und selbstständig leben kann. Aggi (54) und Horst (58) Bojek sind im Vergleich zu anderen Pflegeeltern relativ alt, aber unglaublich fit. Aggi Bojek, bereits zweifache Großmutter, steht zweimal in der Nacht auf, um Olga zu füttern. "Macht mir nichts aus", sagt sie.
Als Vanessa, ihre jüngste leibliche Tochter, flügge wurde, dachte das Ehepaar über die Zukunft nach. Sollte man künftig die neue Freiheit genießen, viel reisen, ein bisschen faulenzen? Oder sollte man, so wie eine befreundete Familie, ein Pflegekind aufnehmen, ihm ein Zuhause schaffen? Die Bojeks überlegten nicht lange, besprachen die Idee mit ihren Kindern - mit dem Ergebnis, dass sie nun sechsfache Eltern sind. Es geht erstaunlich friedlich zu in dem großen Haushalt. Was wohl nicht zuletzt daran liegt, dass die Eltern eine bemerkenswerte Ruhe ausstrahlen, die offenbar auf die Kinder abfärbt. Sie vermitteln ein Gefühl von Sicherheit. Die Kinder spüren, dass jemand da ist, der sie tröstet, der zu ihnen hält.
Anstrengend sind Nervensägen
Horst Bojek, Steinmetz von Beruf, hat mittlerweile Baby Olga übernommen. Die Kleine fühlt sich sichtlich wohl in den kräftigen Männerarmen. "Es gibt auch nervige Kinder", rückt Aggi Bojek das Bild von der allzu perfekten Familien-Idylle zurecht. Sie denkt an Dennis, ein weiteres Bereitschaftspflege-Kind, das die Familie Anfang des Jahres aufgenommen hatte. Ehemann Horst nennt den Zweijährigen "Mister tausend Volt". Dennis verlangte stets die ungeteilte Aufmerksamkeit aller Anwesenden. "Das ist auf Dauer ziemlich anstrengend, da ist man dann froh, wenn er eines Tages wieder geht."
Ganz anders Boris, auch er ein Bereitschaftspflege-Kind, das als Säugling in die Familie kam. Eigentlich nur für ein paar Wochen, aus denen dann eineinhalb Jahre wurden. "Ich wollte den Boris gar nicht gehen lassen", sagt Lena und spricht damit offenbar für die gesamte Familie. Boris lebt jetzt wieder bei seinen eigenen Eltern. "Ich wünsche ihm, dass sie es gemeinsam schaffen", hofft Pflegemutter Aggi.
Ihre Pflegesöhne wollen den Familiennamen Bojek annehmen, der Antrag läuft. Den Kontakt zu seinen leiblichen Eltern lehnt Luca, der 15jährige, mittlerweile ab. "Ich habe ihnen geschrieben, dass ich das nicht mehr will." Luca fühlt sich zu Hause im zweiten zu Hause.
Gabi Beautemps
Anmerkung der Red.: Alle Namen der Kinder wurden von der Redaktion geändert