Mit Herz und Seele
Was es gerade zum Mittagsessen gegeben hat, weiß Frau A. nicht mehr. Der Name ihrer Zimmernachbarin? Sie kennt ihn nicht. Wenn Kinder und Enkel sie besuchen, freut sie sich zwar. Eine Zuordnung jedoch wird immer seltener. Frau A. ist die Welt entglitten. Und doch: Sobald der Pastor in der wöchentlichen Messfeier das "Vater unser" beginnt, stimmt sie ein in das vertraute Gebet. Spielt die Orgel "Großer Gott wir loben dich", singt sie textsicher mit. Die Messabläufe, Gebete, Riten - sie lassen die alte Dame wieder aufleben.
"Das ist sehr berührend zu beobachten", sagt Adelheid Kraus. Gemeinsam mit Schwester Fatima hat sie die Beauftragung des Paderborner Erzbischofs Hans-Josef Becker bekommen, seelsorgliche Begleitungen in den Pflegeeinrichtungen des Caritasverbandes Hagen anzubieten. So sind die Sozialarbeiterin und die Ordensschwester seit 1. Januar 2017 in offizieller Mission unterwegs. "Die Schwerstkranken liegen mir besonders am Herzen", sagt Schwester Fatima. "Die intensive Begleitung tut den Bewohnern gut, sie fühlen sich geborgen und getragen. Auch Angehörige spüren Trost und Zuversicht", hat sie beobachtet.
"Anfangs war eine gewisse Skepsis zu spüren", sagt Martina Gante, Einrichtungsleiterin im Haus St. Franziskus. "Heute ist es so, dass die Bewohner auf den Besuch von Schwester Fatima warten. Sie freuen sich auf die Gespräche mit ihr, achten darauf, dass sie auch ganz bestimmt zu ihnen kommt." Die 70-jährige Ordensschwester berührt es tief, wenn sie merkt, welche Wirkung ihre Anwesenheit hat. "Die Bewohner freuen sich, dass ich für sie Zeit habe. Auch für mich ist dies eine wunderschöne Erfahrung, dass ich meinem Nächsten mit Freude begegnen kann, ohne einen Druck im Hintergrund zu haben."
Dabei leben bei weitem nicht alle Bewohner in ihrer eigenen Welt wie es Frau A. tut. Die Einrichtungsleiterinnen Sandra Merino-Kesting vom Haus St. Martin und Elisabeth Weiß vom Haus Bettina, beobachten, dass sich die Bewohner-Struktur ändert. Die Verweilzeiten werden immer kürzer, kirchliche Bezüge hat bei weitem nicht jeder Bewohner. Für jene aber, die religiös geprägt gelebt haben, sind die Angebote willkommene Begleitung.
Adelheid Kraus und Schwester Fatima haben sich in einem neun Monate dauernden und 142 Stunden umfassenden Kurs des Diözesan-Caritasverbandes Paderborn auf den Dienst vorbereitet. Außerdem gibt es regelmäßige Supervisionen. "Es geht um Gesprächsführung, um Hilfestellung beim Besuch der heiligen Messen, um Wort-Gottes-Feiern und Andachten", berichtet Adelheid Kraus. Die 57-Jährige ist froh über die offizielle Beauftragung. So hat sie im Haus Bettina einen regelmäßigen Gesprächskreis zur Seelsorge eingerichtet, im Haus St. Franziskus entstand ein Kirchencafé, auch geht es um die Ausgestaltung der kirchlichen Feiertage. Krankenhausbesuche stehen zudem bei Schwester Fatima auf dem Programm.
Durch die Ausbildung und Beauftragung von Laien tragen das Erzbistum und der Diözesan-Caritasverband Paderborn auch der Tatsache Rechnung, dass es immer weniger Priester gibt, die in den Einrichtungen tätig sein können. Seit 2013 werden Stellenanteile der seelsorglichen Begleitung in kirchlichen Einrichtungen der stationären Hilfe gefördert.
Frau A. lächelt. Die heilige Messe ist zu Ende. "Der Herr sei mit euch", sagt der Priester. "Und mit deinem Geiste", antwortet Frau A. mit fester Stimme. Den Weg zu ihrem Zimmer findet sie im Anschluss nicht.