Homosexuell oder wieder verheiratet – ja, das geht in der Caritas
Caritas und Vielfalt – geht das zusammen? Dies könnten sich kritische Geister durchaus fragen, ist die katholische Kirche doch nicht gerade für ihre Offenheit im Zusammenhang mit Homosexuellen oder wiederverheirateten Geschiedenen bekannt. Auch gibt es viele Vorurteile, wie etwa, dass Caritas-Mitarbeitende katholisch oder Christ(in) sein müssten. Der Caritasverband der Diözese Rottenburg-Stuttgart (DiCV RS) jedenfalls ist der Meinung: Caritas und Vielfalt gehen nicht nur zusammen – sie gehören zusammen. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit Vielfalt in seinen Einrichtungen. Vor zwei Jahren hat er eine Broschüre "Caritas in Vielfalt" für Mitarbeitende herausgegeben. Für Führungskräfte gibt es eine ausführliche Handreichung. "Vielfalt ist eine Realität – in der Gesellschaft und in der Caritas", erklärt die Theologin Dorothee Steiof, die an beiden Publikationen mitgearbeitet hat. "Unsere Motivation war die Frage, wie wir als Caritas gute Arbeit im Sinne des Evangeliums in einer pluralen Gesellschaft machen können."
Eine gleichgeschlechtliche Ehe ist kein Kündigungsgrund
Die arbeitsrechtliche Basis in der Caritas bildet die Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse. 2015 wurde diese Grundordnung von der Deutschen Bischofskonferenz überarbeitet. Das Ergebnis: Manche Loyalitätsanforderungen an die Mitarbeitenden wurden etwas gelockert. Das heißt: Lebensformen wie die gleichgeschlechtliche Zivilehe oder die Wiederheirat nach Scheidung sind kein Grund zur Kündigung und kein Ausschlusskriterium für eine Anstellung mehr. In Rottenburg-Stuttgart geben die eigenen Broschüren Orientierung, wie sich der Verband konkret zu verschiedenen Lebenssituationen bei seinen Beschäftigten stellt. Fragen wie "Ich bin geschieden und möchte wieder heiraten. Habe ich noch eine Chance bei Ihnen?" - "Ich bin homosexuell und lebe in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft. Ist das vereinbar mit einer Arbeit bei der Caritas?" werden in der Kurzversion mit "Ja" beantwortet. Doch bei näherem Hinsehen ist das Ganze komplizierter. Die Broschüre erhebt auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Nicht jeder Loyalitätsverstoß wird automatisch auch geahndet
Tatsächlich – und das erklärt dann das lange Papier für Führungskräfte – hat die Grundordnung höhere Ansprüche an die Loyalität der Mitarbeitenden, wenn sie beispielsweise im pastoralen, im katechetischen oder im Verkündigungsbereich arbeiten. Und Fakt ist: Auch nach neuer Grundordnung bleibt eine gleichgeschlechtliche Zivilehe oder eine Heirat nach Scheidung bei katholischen Mitarbeitenden ein Loyalitätsverstoß. Nur wird er nicht geahndet.
"Ich spreche offen von meinem Partner und verstecke mich nicht."
Für Manfred K. ist das alles, so versichert er, "im Alltag kalter Kaffee". Seit zehn Jahren leitet der 54-Jährige ein Altenzentrum der Paul Wilhelm von Keppler-Stiftung. Sie wurde vom DiCV Rottenburg-Stuttgart gegründet. Privat lebt er seit 23 Jahren mit seinem Lebensgefährten zusammen, seit 2016 in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft. "Für mich ist das alles längst Normalität", wiederholt der katholische Theologe und Sozialpädagoge.
Schon in den 1990er-Jahren hat er einen katholischen Gottesdienst für Lesben und Schwule in Stuttgart mit initiiert oder im Arbeitskreis Homosexualität der Diözese, später im Kirchengemeinderat seiner Pfarrei, mitgearbeitet. Im Seniorenzentrum wissen alle leitenden Kolleginnen und Kollegen, dass er schwul ist, der Vorstand sowieso. Alle anderen wahrscheinlich auch: "Ich propagiere es nicht, aber ich spreche offen von meinem Partner und verstecke mich nicht." Als er eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingegangen ist, hat er es in der Stiftung publik gemacht. "Das ist ein wichtiges Zeichen", auch für andere, die sich vielleicht nicht trauen, öffentlich zu ihrer sexuellen Identität zu stehen, trotz Rückhalts in der Leitung.
"Ich bewerbe mich ja als Einrichtungsleitung und nicht als Schwuler."
Doch gibt Manfred K. zu, bei seinem Einstellungsgespräch vor zehn Jahren sein Schwulsein nicht explizit erwähnt zu haben. "Ich bewerbe mich ja als Einrichtungsleitung und nicht als Schwuler." Im Laufe des Gesprächs wird deutlich, dass das alles eben doch kein so "kalter Kaffee" ist. Manche Verletzungen bleiben in Erinnerung, auch wenn sie Jahre zurückliegen. Die eingetragene Lebenspartnerschaft zum Beispiel sind er und sein Partner bewusst erst nach der Novellierung der Grundordnung eingegangen, "das hätte vorher schwierig werden können".
Obwohl er in der katholischen Kirche, in der er sich beheimatet fühlt, immer im persönlichen Gespräch mit Seelsorgern eine große Akzeptanz erlebt hat, seien früher doch Aussagen gefallen wie: "Es ist okay, aber hängen Sie es bitte nicht an die große Glocke."
Als jungen Studenten hatte ihn die katholische Lehre zutiefst verunsichert. "Es ging so weit, dass ich, als mir klar wurde, dass ich schwul bin, völlige Glaubenszweifel hatte", bekennt er. "Ich dachte: Ich bin auch Geschöpf Gottes, und wenn das die Lehre ist, dann ist das nicht mehr mein Gott." Die Idee, Priester zu werden, hat er verworfen, aufs Theologie- noch ein Sozialpädagogik-Studium gesattelt: "Ich wollte von der Kirche unabhängig sein." Deshalb hat er auch vor seiner Anstellung bei der Keppler-Stiftung zunächst einen nichtchristlichen Arbeitgeber gewählt.
Jede Identität ist willkommen
Dorothee Steiof hat in Gesprächen mit Mitarbeitenden gerade bei den Themen Wiederheirat und Homosexualität tiefe Kränkungen gespürt. "Wir müssen dazu stehen, dass die Kirche viele Jahre nicht gut mit diesen Menschen umgegangen ist", sagt sie. "Wir können nur versuchen, dass Menschen heute mit ihrer ganzen Identität gut da sein können."
Es sei als Verband wichtig, daraus eine Haltung zu entwickeln und dies offen auszusprechen. Aus Rückmeldungen weiß sie, dass die Mitarbeitenden dies sehr begrüßen. "Sie spüren: Ich bin so willkommen."
In der Caritas wird Vielfalt gelebt
Manfred K. hat "Ja" gesagt, zum Partner und zum katholischen Arbeitgeber – und es nicht bereut. Für ihn ist es "absolut stimmig", für die Keppler-Stiftung zu arbeiten. Vielfalt werde dort schon lange gelebt: "Wir haben im Seniorenzentrum 40 Prozent nichtgetaufte Mitarbeitende, Muslime, Menschen aus aller Herren Länder." Die Reaktion der Mitarbeitenden, Bewohner und Besucher sei vielmehr die: "Die meisten würden eher sauer werden, wenn wir hier nicht diese Vielfalt leben würden."
Anmerkung
Offenheit und Vielfalt: nicht immer garantiert
Neben dem Caritasverband Rottenburg-Stuttgart nehmen auch viele andere Caritasverbände ausdrücklich eine offene Haltung ein gegenüber der kulturellen und religiösen Zugehörigkeit, Lebensform oder sexuellen Identität ihrer Mitarbeitenden. Allerdings ist die Caritas "ein Verband mit rechtlich eigenständigen Mitgliedern mit je eigenständiger Personalpolitik. Manche Caritas-Dienstgeber legen mehr Wert auf Vielfalt und Respekt vor der persönlichen Lebensführung der Mitarbeitenden, manche bestehen mehr auf dem kirchlich-religiösen Charakter der Caritas", schreibt der Deutsche Caritasverband.
Einen ausführlichen Artikel von Dorothee Steiof gibt es auch in der neuen caritas: "Caritas in Vielfalt will gelernt sein".