Verloren in der digitalen Welt
Smartphone und Medienkonsum von Kindern und Jugendlichen: Für Familien ist das häufig "ein hoch emotionales Streitthema", sagt Karola Hoffman Alves. Die Sozialarbeiterin muss es wissen: Sie berät beim Caritasverband für den Kreis Gütersloh Betroffene in der Mediensprechstunde "Upgrade". Im vergangenen Jahr 2019 suchten bei ihr 86 Personen Rat. Davon waren 37 selbst Betroffene, 49 waren Angehörige, etwa Eltern, die sich um den Medienkonsum ihrer Kinder sorgten - Tendenz steigend.
Gefördert wird die Entwicklung von Süchten durch das Zusammenwachsen der verschiedenen Plattformen: Ob Computer, Smartphone oder Spielkonsole - viele Angebote und Spiele sind überall vertreten. "Die große Verfügbarkeit der Angebote hat eine starke Sogwirkung", erklärt sie. Aufgrund der schnellen Veränderungen der Technik sei die Mediensucht noch ein "sehr junges Krankheitsbild". Offiziell sei sie auch noch nicht als Sucht anerkannt.
Die niedrigschwellige Mediensprechstunde entstand aus dem NRW-Projekt "Interface extended", mit dem ein Netz von Beratungsstellen im Land aufgebaut werden sollte. Das Modellprojekt ist inzwischen beendet. Die Mediensprechstunde der Caritas Gütersloh laufe unabhängig davon weiter, erklärt Peter Köching, Fachbereichsleiter der Sucht- und Drogenhilfe. Denn die Zahl der Beratungsanfragen zu Medienproblemen nimmt immer weiter zu. Die Mediensprechstunde dient dabei als Clearing-Stelle. Wenn der Beratungsprozess nicht reicht, um ein problematisches Nutzungsverhalten in den Griff zu bekommen, verweist Karola Hoffmann Alves an andere Fachdienste, Therapeuten oder an die Klinik des Landschaftsverbandes (LWL). Mediensucht ist meist männlich. Nur drei junge Frauen haben bisher ihren Rat gesucht. Problematischer Medienkonsum bei Frauen betreffe vor allem die Suche nach Anerkennung im Netz, etwa auf Instagram. "Da geht es um Selbstdarstellung und fehlende Anerkennung im realen Leben."
Häufig kommen verunsicherte Eltern in die Mediensprechstunde, die besorgt sind wegen der Mediennutzung ihres Kindes und wissen möchten, wie sie Grenzen setzen können. Diese kann Karola Hoffmann Alves häufig erst einmal beruhigen: "Nur weil Jugendliche exzessiv Medien konsumieren, muss das nicht automatisch eine Sucht sein", erklärt sie. Exzessives Ausprobieren und Grenzen überschreiten gehöre zum Erwachsenwerden dazu. "Für uns ist nie der exzessive Konsum ein Indiz von Sucht, sondern die Gesamtsituation: Wie lebenszufrieden bin ich? Werden Medien nur ergänzend genutzt oder sollen sie Probleme kompensieren oder vermeiden?" Eine Frage, die sie den Medienkonsumenten stellt, die sich von ihr beraten lassen, lautet: "Hast du noch ein Offline-Leben?"
Im Gespräch mit Familien versucht sie zunächst "die Emotionen runterzukochen". Denn oft sind die Fronten verhärtet. "Es ist wichtig, ohne Vorwurfshaltung in ein Gespräch zu gehen, sonst kommt man nicht zum Kern des Problems." Häufig hilft es einfach, die Kinder und Jugendlichen beschreiben zu lassen, was sie fasziniert an einem Spiel. "Sie wünschen sich oft, dass die Eltern sich interessieren, vielleicht auch ein Spiel selbst ausprobieren und nicht so negativ emotional daran gehen."
Wenn es gelingt, ohne Vorwurfshaltung in ein Gespräch zu gehen, können die wahren Ursachen angegangen werden. "Wo es vermeintlich um Jugendliche mit problematischer Nutzung geht, zeigen sich dann oft tiefer liegende Probleme, etwa massive Schulangst oder soziale Angst vor Menschen", sagt Karola Hoffmann Alves. "Das ist dann für die Familien schwierig, aber für Jugendliche ist es hilfreich, wenn die wahren Probleme aufgedeckt werden." Bei Cybermobbing vermittelt sie auch schon mal den Kontakt zur Polizei.
Zu den Ratsuchenden gehören nicht nur Familien. "Die Zahl junger Männer wächst, die an ihrem Medienkonsum arbeiten wollen", berichtet die Beraterin. Im Gegensatz zum Klischee des Computer-Nerds, der im dunklen Zimmer vor dem Rechner hängt, seien diese häufig sozial integriert und ambitioniert. "Trotzdem verlieren sie sich in den digitalen Welten." Denn viele Spiele sprechen gerade leistungsorientierte Menschen an, die sich gern im Wettkampf messen. Das beginnt zunächst als Spaß und Zeitvertreib. Aber wenn die soziale Stellung im Spiel wächst, wächst auch die Verpflichtung gegenüber dem eigenen Avatar und gegenüber anderen Spielern. "Das kann kippen. Problematisch wird es, wenn das eigene Leben zu kurz kommt, das Studium vernachlässigt wird und der Schlafrhythmus gestört wird." Wie ein vom Alkohol Abhängiger, der heimlich etwas trinke, gebe es selbst junge Familienväter, die bei der Arbeit auf der Toilette heimlich am Handy spielen. "Das wird wegen der großen Verfügbarkeit noch mehr Thema werden", ist Karola Hoffmann Alves überzeugt. "Das hat eine neue Dimension."