In der Familie eine Lösung finden
Zumindest anfangs läuft es meist inoffiziell. Wenn ihre Eltern sie aus welchen Gründen auch immer nicht mehr selbst betreuen können, ziehen Kinder vor allem zu Großeltern oder auch zu Onkeln und Tanten. Bislang lassen sich aber nur einige wenige als "Verwandten-Pflegefamilien" anerkennen. Dabei bietet das viele Vorteile, weiß Meike Plaul, die den Pflegekinderdienst des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) im Kreis Warendorf leitet. Mit ihrem Team hat sie mit wissenschaftlicher Begleitung ein Konzept dafür erarbeitet, denn Verwandtenpflegen stellen spezielle Anforderungen. Bislang sind es erst ein Dutzend von 69 begleiteten Pflegefamilien. Das soll mehr werden.
Verwandtenpflegen können eine Reihe von Vorteilen bieten, weiß auch Elena Monin, Fachreferentin im Diözesancaritasverband Münster: Es wachse die Erkenntnis, dass ein direkter Wechsel in der Verwandtschaft das Risiko der "Entwurzelung" vermeide, weil "in der Regel das gewohnte familiäre Umfeld der Kinder nicht gewechselt wird", erklärt Monin. Der Bezug sowie die Nähe zum Herkunftssystem blieben erhalten. Unterschieden sich Herkunfts- und Pflegefamilie sehr, könne dies auch bei einer möglichen Rückführung hinderlich sein. Zudem würden Irritationen minimiert, die bei Besuchskontakten zwischen Herkunfts- und Pflegefamilie aufkommen könnten.
Älteste Form der Pflegefamilie
Tatsächlich sei die Verwandtenpflege die älteste Form der Pflegefamilie. "Es ist gut, wenn sich die Familie auf den Weg macht, um eine eigene Lösung zu finden". sagt Meike Plaul: "Die Entscheidung, ein verwandtes oder bekanntes Kind aufzunehmen, ist zutiefst menschlich und anerkennenswert." Die besondere Chance liege darin, dass diese Pflegeeltern zumeist sehr bereit und motiviert seien, genau dieses Kind oder diesen Jugendlichen aufzunehmen - "eben weil oft bereits eine intensive Beziehung besteht".
Andererseits könne die emotionale Nähe zum Kind, zu den Eltern sowie die eigene "Betroffenheit" und "Rollenvielfalt" den Blickwinkel auch einschränken, ist sich Plaul bewusst. Nicht jede erarbeitete Lösung führe zu dem gewünschten Erfolg. "Auch sind wir alle Kinder unserer Eltern, haben unsere Erfahrungen, Erlebnisse und unsere biografischen blinden Flecken," sagt die SkF-Mitarbeiterin. Es komme in Familien nicht selten zu Wiederholungen "von Lebensbiographien und damit auch zu wiederholten Herausforderungen".
Deshalb sei es von Vorteil, den Blick von "außen" einzuholen, sich mit dem Fachberater gemeinsam auf den Weg zu machen, bereit zu sein sich zu öffnen und auch fortzubilden. Umgekehrt seien auch die Mitarbeterinnen im Pflegekinderdienst selbst gefordert: Verwandten- oder Netzwerkpflegen seien nunmal besonders. Sie erforderten ein Umdenken und Hinterfragen bisheriger Handlungsstrategien. Zum Beispiel habe sich gezeigt, dass die vorbereitenden Schulungen für sie anders konzipiert sein müssten als für Pflegeeltern, die ein fremdes Kind aufnehmen.
Lang andauernde Krisen
Zumeist sind es die Großeltern, die die Kinder in ihrem Haushalt aufnehmen. In der Regel sind die Eltern mit den Herausforderungen, die das Verhalten eines Kindes mit sich bringt, überfordert. Oft sind persönliche und private, lang andauernde Krisen Auslöser für diese Überforderungssituationen. Die Großeltern hätten, sofern sie in Rente seien, zwar mehr Zeit aber auch weniger Kraft, noch einmal Kinder zu erziehen. Da sei eine Unterstützung sinnvoll. Mit diesen besonderen Herausforderungen der Begleitung von Verwandtenpflegen hat sich das SkF-Team, das in Ahlen angesiedelt ist, über anderthalb Jahre von Dirk Schäfer vom Institut Perspektive in Bonn begleiten lassen. In Kürze soll das Konzept offiziell vorgestellt werden und eine gute Grundlage für den weiteren Ausbau dieses Bereichs bilden.
Als Meike Plaul vor sieben Jahren die Leitung des Pflegekinderdienstes übernahm, gab es erst drei Verwandtenpflegen, jetzt schon viermal soviele. Weil der Bedarf nicht nur hier sondern auch bei Dauerpflegen weiter steigt, kommen zu den bislang sieben Mitarbeiterinnen noch einmal zwei dazu. Wobei nicht nur die Zahl der Fälle zunimmt, sondern auch die Anforderungen aufgrund neuer Erkenntnisse. So ist das Bewusstsein für die Biographiearbeit gewachsen und "wird heute von Ausnahmen abgesehen kein Geheimnis mehr aus der Herkunft gemacht" sagt Plaul.
Statistik der Pflegekinderdienste: Stabile Zahlen
Die Zeiten sind unsicher, aber die Zahlen der 20 Pflegekinderdienste in Trägerschaft der Caritas- und ihrer Fachverbände SkF bleiben stabil. 180 Kinder und Jugendliche konnten 2019 neu in Pflegefamilien vermittelt werden, im Jahr zuvor war es eine mehr. Die meisten Vermittlungen betreffen Kinder im Alter von null bis drei Jahren. Die Zahl der in Pflegefamilien lebenden Kinder ist von 1.247 auf 1.321 gewachsen. 205 leben in Verwandtenpflegen, 740 in Dauerpflegefamilien. Das Verhältnis Jungen zu Mädchen ist mit 701 zu 620 annähernd ausgeglichen.