Ist die freie Wohlfahrt bereit für KI?
Daten blitzschnell sortieren – damit kann sich eine KI bei vielen Routine-Aufgaben nützlich machen.AdobeStock/Joesunt
Wie kaum eine andere Digitaltechnologie steht Künstliche Intelligenz (KI) aktuell im Zentrum des Interesses. Sie ist mit vielen Hoffnungen, aber auch mit zahlreichen Befürchtungen aufgeladen. Bereits der Titel dieses Beitrages lässt vermuten, dass man als Träger oder Einrichtung der Caritas an diesem Thema wohl kaum vorbeikommt. In der Tat handelt es sich bei KI um eine Schlüsseltechnologie. Solche Technologien nehmen auf eine Vielzahl von gesellschaftlichen Bereichen wie Wirtschaft, Wissenschaft, Politik oder Privatleben Einfluss. "KI ist wie die Elektrizität eine Universaltechnologie und hat das Potenzial, ganze Branchen zu transformieren."1 Damit ist per se auch die freie Wohlfahrtspflege betroffen. Weil mit KI im Unterschied zu klassischer IT nicht nur streng regelbasierte Arbeitsschritte wie die Berechnung von Gehaltszuschlägen automatisiert werden können, sondern auch komplexe Kommunikations-, Analyse- oder Entscheidungsprozesse, kann sie zumindest mittelfristig eine neue Qualität von Veränderungen in der Wohlfahrtslandschaft auslösen.
Gehen manche Studien zur Wirkung von KI auf den Arbeitsmarkt davon aus, dass vor allem niedrig qualifizierte Berufe massiv betroffen sind, rücken andere eine Reihe hoch qualifizierter Berufe in den Fokus.2 Für die meisten sozialen Berufe geht der "Job-Futuromat" des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung jedoch noch von einer geringen Automatisierbarkeit aus.3 Bei Sozialarbeit/ Sozialpädagogik etwa werden nur zwei von 22 Kerntätigkeiten als automatisierbar bezeichnet, bei Pflegefachkräften zwei von 19 und bei Erzieher:innen keine der acht Kerntätigkeiten.
Bei der Nutzung von KI gilt es zunächst verschiedene Ebenen zu unterscheiden: die Anwendung im Bereich Verwaltung, Organisation und Steuerung sowie die Nutzung in der direkten Arbeit mit Klient:innen.
Abbildung 1: Manche verwaltungsbezogenen Anwendungen werden laut Angabe der rund 150 Befragten bereits in vielen Organisationen genutzt, andere kaum.
Abbildung 2: Befragte, die ein Tool nicht nutzen, konnten angeben, ob sie sich vorstellen können, eine solche Anwendung in Zukunft einzusetzen oder nicht.
KI-gestützte Anwendungen werden noch wenig genutzt
Eine Studie der Arbeitsstelle für Sozialinformatik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt zeigt, dass der Einsatz von KI-gestützten Anwendungen derzeit noch gering ausgeprägt ist.4 Bei der verwaltungs- oder steuerungsbezogenen Nutzung sind Bots wie ChatGPT und der KI-gestützte Rechnungseingang am weitesten verbreitet (siehe Abbildung 1). Die größte Skepsis herrscht bei KI-gestützter Softwarezur Personalauswahl. KI-basierte Anwendungen im Verwaltungsbereich können sich jedoch drei Viertel der Befragten vorstellen (siehe Abbildung 2).
Noch geringer ist die KI-Nutzung in der Arbeit mit Klient:innen verbreitet. Am häufigsten genutzt werden hier KI-gestützte Sprachübersetzung in der Arbeit mit fremdsprachigen Menschen und Kommunikationshilfen für Menschen mit sprachlichen Beeinträchtigungen (siehe Abbildung 3). Doch auch hier ist die Bereitschaft hoch: Vier Fünftel können sich eine solche Nutzung vorstellen. Die Skepsis dagegen ist nur gering ausgeprägt, lediglich bei KI-gestützter Diagnostik oder Risikoeinschätzung sowie bei KI-basierter Entscheidungsfindung zur Auswahl geeigneter Hilfen erreicht sie Werte um die 20 Prozent (siehe Abbildung 4).
Ihren Kenntnisstand zu KI beurteilen die in der Studie befragten Leitungskräfte zu 53 Prozent als mittelmäßig, zu 20 Prozent als gering. Hoch schätzen ihn 22 Prozent ein; die Werte für "sehr gering" und "sehr hoch" liegen bei nur zwei beziehungsweise drei Prozent. Die Motivation, KI in der eigenen Organisation einzusetzen, ist am stärksten, wenn damit Verwaltungsprozesse effizienter gestaltet werden können. Risiken sehen die Befragten dagegen an vielen Stellen: Datenschutzprobleme, die Diskriminierung von Menschen, die Angst von Mitarbeitenden zum Beispiel vor Arbeitsplatzverlust oder die Fehlerhaftigkeit von KI-Entscheidungen werden hier am stärksten gewichtet.
Abbildung 3: Im Kontakt mit Klient:innen scheint der Einsatz von KI-Anwendungen noch weniger verbreitet: Lediglich zur Übersetzung mit fremdsprachigen Klient:innen nutzen 25 Prozent der Befragten entsprechende Tools.
Abbildung 4: Die Skepsis unter denjenigen, die im Klient:innen-Kontakt ein Tool nicht nutzen, ist in der Diagnostik und Risikoeinschätzung am höchsten. Insgesamt können sich aber auch hier viele vorstellen, KI einzusetzen.
Als größte Hürden für den KI-Einsatz werden Know-how-Defizite gesehen: An erster Stelle mit 87 Prozent bei sehr hohen und hohen Hürden steht das Expertenwissen zur Implementierung und Nutzung von KI-Anwendungen. Gleich dahinter folgt der Mangel an allgemeinem KI-Wissen in der Organisation mit 83 Prozent. Ethische Hürden bilden zusammen mit der Führungskräfte-Akzeptanz das Schlusslicht der Skala: Hier erkennen lediglich 57 beziehungsweise 60 Prozent signifikante Hürden.
Schulungen durch den eigenen Verband erwartet
Einen hohen Unterstützungsbedarf benennen die Befragten dieser Studie fast durchweg, vor allem aber bei der Auswahl und Einführung von KI-Technologien sowie bei der Verbesserung des allgemeinen Wissensstandes zu KI in der eigenen Organisation. 78 Prozent der Befragten erkennen hier einen sehr hohen oder hohen Unterstützungsbedarf. Die Erwartungen für diese Unterstützung fokussieren sich bei zwei Dritteln der Befragten primär auf den eigenen Träger- oder Fachverband. Dahinter folgen unabhängige Beratungs- oder Bildungsunternehmen, Softwareanbieter und Digitalverbände. Diesen Befund kann man als Aufforderung an die Verbände lesen, den Einrichtungen beim Thema KI unter die Arme zu greifen. Dass Unterstützung am stärksten vom eigenen Verband erwartet wird, dürfte nicht zuletzt darin begründet sein, dass man sich hier die geringsten Kosten dafür erhofft.
Wie die Digitalisierung insgesamt, so wird wohl auch die KI auf absehbare Zeit keine disruptiven Veränderungen in der Sozialwirtschaft bewirken, welche die Beziehungsmuster der Akteure oder die Arbeitsweise der Organisation grundlegend revolutionieren. Zu erwarten ist vielmehr, dass nach und nach für immer mehr Einzelaufgaben KI-basierte Tools genutzt werden, die in bereits vorhandene IT-Lösungen integriert oder als separate Cloud-Anwendungen Verwendung finden. Dies gilt vor allem für Organisation, Verwaltung und Steuerung. Beispiele für solche Tools sind KI-basierte Finanzprozesse oder die Unterstützung durch KI bei Recruiting, Dienst- und Einsatzplanung. Dies wird zu einer Steigerung der Produktivität und auch zum sukzessiven Wegfall mancher Stellen in den Verwaltungen führen - Stellen, die aufgrund eines vielerorts bereits spürbaren Mangels an Verwaltungskräften schon heute oft kaum mehr zu besetzen sind.5 In einem Pilotprojekt konnte etwa der Zeitaufwand für die Dienstplanung durch KI-Einsatz um 80 Prozent reduziert werden.6
Attraktivere Arbeitsplätze für Fachkräfte
Ähnliches wird sich wohl in der Arbeit der Fachkräfte vollziehen: KI-Tools wie Spracherkennung, Textgenerierung oder Risikoeinschätzung werden die Fachkräfte entlasten oder etwa in Form von Chatbots für Erst- oder Routineanfragen punktuell ersetzen. Aufgrund des sich demografiebedingt weiter verschärfenden Fachkräftemangels ist hier jedoch nicht mit einem Abbau von Stellen zu rechnen. Vielmehr könnten KI-Tools dazu beitragen, die durch steigende physische und psychische Belastung infolge des Mangels oftmals gesunkene Arbeitsplatzattraktivität der Sozialberufe wieder zu erhöhen: "Angebotsvielfalt und Anspruchsdichte gepaart mit einem drängenden Fachkräftemangel schreien geradezu danach, digitale Assistenzsysteme für die eigenen Mitarbeitenden sowie für die Klient:innen zu nutzen."7
Viele Träger haben keine Ressourcen für eigene KI-Projekte
Theune und Müller prognostizieren mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit von Wohlfahrtseinrichtungen, dass "in Zeiten knapper personeller und finanzieller Ressourcen (…) KI-gestützte Prozesse, die eine bessere Dienstleistung für Klient:innen ermöglichen, den entscheidenden Unterschied machen" könnten.8 Doch eine strategische Herangehensweise an das Thema KI stellt für viele Träger insofern eine Herausforderung dar, als nur etwa ein Drittel überhaupt über eine eigene Entwicklungsplanung im IT-Bereich verfügt.9 Oftmals sind auch grundlegende IT-Themen wie eine moderne und leistungsfähige Infrastruktur, eine professionelle IT-Organisation oder ein konsolidiertes Softwareportfolio noch nicht hinreichend bearbeitet, also der digitale Reifegrad zu gering, um auf breiter Ebene Energien für anspruchsvollere Themen wie KI zu mobilisieren.
In jedem Fall erscheint es notwendig, sich zunächst auf Leitungsebene grundlegendes Wissen über die Funktionsweise von KI, ihre Chancen und Risiken sowie über mögliche Anwendungsszenarien in den eigenen Arbeitsfeldern anzueignen. Die einzelnen Organisationen sind damit jedoch vielfach überfordert. Hier sind vor allem die Wohlfahrts- und Fachverbände mit ihren Weiterbildungsinstituten, aber auch Hochschulen und freie Bildungs- und Beratungsanbieter gefragt, entsprechende Formate zu entwickeln. Dies gilt auch für die Ebene der Mitarbeitenden: Auch sie müssen auf dem Weg der Digitalisierung und KI-Nutzung mitgenommen werden. Dabei gilt es vor allem, mögliche Ängste abzubauen und klar zu kommunizieren, dass diese digitalen Werkzeuge nur als Unterstützung, nicht aber als Ersatz für die Arbeit von Menschen mit Menschen konzipiert werden.10
Außerhalb von expliziten Forschungs- und Entwicklungsvorhaben sind in der Wohlfahrt in der Regel eigenständige KI-Projekte weder notwendig noch sinnvoll. Es geht hier zumeist ja nicht um KI-Einführung an sich, sondern um Fach- oder Verwaltungsprojekte, in denen auf spezifische Aufgaben vorbereitete KI-Werkzeuge wie Sprach- oder Texterkennung zum Einsatz kommen. Dabei gilt für den KI-Einsatz prinzipiell das Gleiche wie für andere Digitalisierungsprojekte in sozialen Organisationen: Zum einen gilt es, klare Ziele und Anforderungen zu definieren, die technischen Voraussetzungen dafür zu schaffen und die geeigneten Systeme auszuwählen, die einen echten Nutzwert für die Anwender:innen generieren. Hilfreich kann auch die Entwicklung einer KI-Guideline mit entsprechenden Nutzungsbedingungen sein. Ein Beispiel dafür liefert das Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung.11
1. Dütting, D.: Künstliche Intelligenz in der Pflege. In: Altenheim 11/2023, S. 33.
2. Vgl. Lane, M.; Saint-Martin, A.: Die Auswirkungen von KI auf die Arbeitsmärkte: Was wir bislang wissen. In: OECD Social, Employment and Migration Working Papers No. 256. Paris, 2021, S. 22.
3. Vgl. job-futuromat.iab.de, Abruf: 18. März 2025.
4. Vgl. Kreidenweis, H.; Diepold, M.: Studie Künstliche Intelligenz in der Sozialwirtschaft. Eichstätt, 2024,
www.sozialinformatik.de
5. Vgl. Kreidenweis, H.: KI in der Sozialwirtschaft. Eine Orientierungshilfe für die Praxis. Baden-Baden, 2024, S. 23 f.
6. Vgl. Weiß, T.: Neuer Dienstplan - mit KI. In: Altenheim 1/2022, S. 18-21.
7. Gundlach, J.: Gemeinwohlorientierte KI: Wie die Wohlfahrt zum Vorreiter werden kann. In: neue caritas 18/2023, S. 16.
8. Theune, S.; Müller, G.: Chancen und Grenzen des Einsatzes von KI in der Sozialwirtschaft. In: Sozialwirtschaft aktuell 17/2024, S. 1-3.
9. Vgl. Kreidenweis, H.; Wolff, D.: IT-Report für die Sozialwirtschaft. Eichstätt, 2024, S. 27.
10. Vgl. Neumann, D.; Floßbach, C.: Digitalisierung als Managementaufgabe. In: Häusliche Pflege 7/2023, S. 39.
11. Vgl. Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e. V.: Leitlinien zur Nutzung von Künstlicher Intelligenz. 2024, https://tinyurl.com/nc08-25-ki-leitlinie