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Die rund 5000 Bewohner haben überwiegend ausländische Wurzeln, deutschstämmige Familien sind inzwischen in der Minderheit. Wer kann, zieht weg. Dabei ist das Wohnen in Sieker gar nicht mal preiswert; zu den Grundmieten gesellen sich saftige Nebenkosten, ausgelöst durch ständige Reparaturen und Renovierungen an defekten Fahrstühlen oder verschmutzten Hausfluren. Der soziale Wohnungsbau hat sich auch in Sieker weitgehend verabschiedet. Die meisten Wohnungen gehören inzwischen der GAGFAH, dem größten börsennotierten Wohnungsunternehmen in Deutschland.
Dank der Fördermittel des Programms „Soziale Stadt NRW“ hat der Sozialdienst katholischer Frauen in Sieker ein zukunftsweisendes Projekt realisieren können: Nach einem Vorbild aus Berlin-Neukölln sind seit über einem Jahr so genannte Stadtteilmütter im Einsatz. Die sechs Frauen haben ausländische Wurzeln und sprechen neben Deutsch auch Türkisch, Kurdisch, Arabisch, Tamil oder Russisch. Alle leben schon seit vielen Jahren in Sieker und haben Kontakt zum Eva-Gahbler-Haus, dem Kinder- und Stadtteiltreff des SkF, mit seinen vielfältigen Förder- und Begegnungsangeboten.
Familien stärken, Kompetenzen vermitteln und Unterstützung im Alltag bieten – diese Ziele der SkF-Arbeit in Sieker erhalten durch die Stadtteilmütter ihre „ambulante“ Fortsetzung. Schon äußerlich sind die Frauen an ihren grünen Schals und den großen Umhängetasche erkennbar. Sie sprechen gezielt Mütter in ihrer Muttersprache an - oder lassen sich ansprechen, auch per Handy, notfalls auch abends oder am Wochenende. Und dies kann manchmal richtig dringend sein, wie im Fall einer kurdischen Mutter aus dem Irak, die sich verzweifelt an Stadtteilmutter Sevtap Harman wandte, weil sie ärztliche Hilfe für ihr Kind brauchte. Ohne Begleitung und sprachliche Unterstützung wäre sie hilflos geblieben, die unklaren Bauchschmerzen des Kindes nicht als ernsthafte Erkrankung erkannt worden.
Andere Frauen können die Stadtteilmütter dazu motivieren, einen Alphabetisierungskurs im Eva-Gahbler-Haus zu besuchen, wieder andere müssen überzeugt werden, dass es kein Makel ist, wenn ihr Kind eine besondere schulische Förderung benötigt. In einer Familie konnte ein drogenabhängiger Sechszehnjähriger an eine Suchtberatungsstelle vermittelt werden. Für Alwine Brinkmeier, die gemeinsam mit Doris Marxcord das Projekt koordiniert, haben die Stadtteilmütter einen besonderen Vorteil: „Sie kommen an Familien heran, die wir niemals erreichen würden.“ Wer in den Familien etwas zum Positiven verändern will, muss die Mutter hierfür gewinnen.
Ein Jahr lang wurden die Frauen auf ihre Aufgabe vorbereitet, erhielten anschließend eine Ernennungsurkunde. Der „Lehrplan“ umfasste Fragen zur Erziehung, Schule, Gesundheit, Ernährung, aber auch Fragen zum Ausländer- oder Sozialrecht; immerhin begleiten die Stadtteilmütter Frauen auch zur Arbeitsagentur oder zum Ausländeramt. Die Frauen erhalten für ihre Arbeit eine geringe Aufwandsentschädigung, das Programm „Soziale Stadt“ macht´s möglich.