Integration ist machbar
Nach dem "Wir schaffen das" der Kanzlerin rückt jetzt mehr und mehr das Thema "Integration der Flüchtlinge ins deutsche Leben" in den Mittelpunkt. Eine, die es geschafft hat, ist Angie Manyari. Als sie 2004 in Düsseldorf landete, war sie gerade 19 Jahre alt, sprach kaum ein Wort Deutsch. Heute arbeitet die junge Frau nach abgeschlossenem Studium als Sozialarbeiterin bei der Caritas in Bottrop - ein lebendiger Beweis für gelungene Integration und vielleicht auch Ansporn für ihre Gesprächspartner. Denn Angie Manyari berät Flüchtlinge und Migranten.
"Ich weiß, wie sich die Leute fühlen", sagt die junge Frau. Sie kennt die Angst, die Unsicherheit und das Heimweh. Sie habe zwar nicht vor einem Krieg flüchten müssen. "Aber in Peru hatte ich keine Perspektive". Das Mädchen aus Lima wollte studieren, doch ihre Familie hätte kein Studium finanzieren können. Das Geld reichte gerade für das Notwendige, man lebte auf engem Raum, mit elf Personen - Opa, Oma, Eltern, Geschwister, Onkel und Tanten - auf 90 Quadratmetern.
"Deutsch lernen ist so wichtig"
In Deutschland heuerte Angie als Au-pair-Mädchen an und landete in der tiefsten Provinz. Sie wollte Deutsch lernen, doch die nächste VHS in Hameln war zwei Stunden Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln entfernt. In den ersten Monaten malte sie Strichmännchen, um sich zu verständigen. Eine Methode, die sie als Sozialarbeiterin heute noch in der Beratung anwendet. Wenn ihr Gegenüber weder Deutsch, noch Englisch oder Spanisch versteht, fängt sie an zu zeichnen. "Lernt die Sprache", lautet deshalb ihr Credo an die Flüchtlinge, die in ihr Büro kommen. Sprache als erster Schritt zur Integration.
"In der ersten Zeit in Deutschland habe ich mich verloren gefühlt. Ich hätte mir einen Ansprechpartner gewünscht". Diese Ansprechpartnerin will die junge Peruanerin, die ursprünglich Petrochemie studieren wollte, jetzt für andere Migranten sein. Nach dem Au-pair-Jahr hat sie mit Babysitten und Putzstellen Geld für einen Sprachkurs verdient. "Das war hart, so ein Kurs kostet 500 Euro im Monat". Angie Manyari betont, dass sie nie einen Cent vom deutschen Staat bekommen hat. Ihr peruanischer Schulabschluss wurde in Deutschland nicht anerkannt, sie musste am Studienkolleg die Fachhochschulreife nachholen. Doch davor stand die Aufnahmeprüfung fürs Kolleg - eine hohe Hürde, denn sie musste in kurzer Zeit nicht nur Deutsch, sondern auch Englisch lernen. "Ich musste immer jemanden finden, der mir hilft." Sie hat diese Menschen gefunden: Die Englischlehrerin, deren Wohnung sie geputzt hat, lernte später mit ihr Grammatik. Ein anderer borgte ihr Geld für den Flug nach Hause. "Ich hatte meine Familie sechs Jahre nicht gesehen, weil ich mir das Ticket nicht leisten konnte".
Gegenseitiges Bemühen
Dazu kam die ständige Angst, ausgewiesen zu werden. "Weil ich die Regelstudienzeit überschritten hatte, wollte die Ausländerbehörde mein Visum nicht mehr verlängern. Ich wusste, Du musst diese Prüfung jetzt schaffen, sonst war alles umsonst". Sie bestand die Prüfung. Doch dann schwebte das nächste Damoklesschwert über ihr. "Mein Studenten-Visum lief aus. Ich musste innerhalb eines Monats eine Arbeit finden, um in Deutschland bleiben zu können". Auch das klappte. Sie bekam auf Anhieb den Job bei der Bottroper Caritas.
Integration kann ihrer Ansicht nach nur gelingen, wenn sich beide Seiten darum bemühen. "Ganz wichtig dabei ist, dass man sich gegenseitig respektiert". Sie versucht, ihre Schützlinge sowohl über ihre Rechte, aber auch über ihre Pflichten zu informieren. Und ebenfalls über Gepflogenheit hierzulande. "Ganz simple Dinge, die die Leute aber nicht wissen. Etwa, dass man sich hier die Hand gibt. Oder dass man erst mal Guten Tag sagt, wenn man irgendwo reinkommt".
Immer wieder muss sie Balkan-Flüchtlingen vermitteln, dass ihre Chancen, hier bleiben zu können, äußerst gering sind. "Es ist hart, aber es ist besser, sich der Wirklichkeit zu stellen". Die Sozialarbeiterin zeigt den Leuten aus dem Kosovo den Weg auf, der sie erwartet, auch geografisch. Was ihr manchmal schwerfällt. "Aber es nutzt den Menschen nicht, wenn ich mitheule". Wie jeder Sozialarbeiter weiß sie, dass man eine gewisse Distanz wahren muss, weil die Arbeit sonst emotional zu sehr belastet. Aber manchmal erzählt die Peruanerin trotzdem Persönliches, spricht davon, dass sie ähnliche Erfahrungen gemacht hat. Ab und zu nimmt sie einen Flüchtling auch in den Arm. "Es gibt Situationen, da tut das den Menschen einfach gut."
Pünktlichkeit in Peru
Zwischendurch hat Angie überlegt, die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen, hat dies aber erst mal wieder verworfen. "Ich fühle mich als Teil der deutschen Gesellschaft. Ich bin aber auch noch Peruanerin, selbst wenn ich nicht den ganzen Tag Salsa tanze". Die temperamentvolle Südamerikanerin, die mit ihrem deutschen Partner in Essen wohnt, sagt: "Mein Leben ist jetzt hier". Auch wenn sie sich nie an bestimmte Dinge in Deutschland gewöhnen wird - nicht an Kleingartenvereine und auch nicht an Regenmäntel.
Inzwischen war sie zweimal wieder in Peru. "Das ist am Anfang ein richtiger Kulturschock. Alles ist chaotisch und laut. Überall wird gehupt und alle sprechen gleichzeitig. Daran muss man sich erst mal wieder gewöhnen". Als sich Angie Manyari darüber beschwerte, dass ihre Schwester 50 Minuten nach der verabredeten Zeit auftauchte, musste sie sich anhören: "Angie, bleib‘ locker. Du bist hier in Peru".