Gemeinsam statt einsam
Sie sind auf sich gestellt, haben Mutter und Vater verloren oder wurden von ihrer Familie allein nach Europa geschickt - in der Hoffnung auf ein Leben in Sicherheit: Zehntausende der Flüchtlinge, die in Deutschland Zuflucht suchen, sind unbegleitete Minderjährige, die den Schutz der Kinder- und Jugendhilfe benötigen. Das Haus Conradshöhe im Berliner Norden setzt dabei auf ein besonderes Konzept und nimmt junge Neuankömmlinge ganz bewusst in bereits bestehende Wohngruppen auf. "Das ist der beste Weg der Integration", sagt der Leiter und Geschäftsführer der Einrichtung, Peter Wilks.
Am Abend mit Mutter und Vater über das Beglückende oder Erdrückende des Tages sprechen - das ist für die Jungen und Mädchen in Conradshöhe nicht selbstverständlich. Vor allem nicht für diejenigen, die aus Syrien kommen, wo noch immer Krieg und Terror herrschen. Bis heute verhindern Raketenbeschuss in ihrer Heimat oder Stromausfälle häufig die Kontaktaufnahme zu den dort verbliebenen Angehörigen, ob per Handy oder Internet.
Schlepperbanden, Irrfahrten in überladenen Booten auf hoher See, illegale Menschentransporte, nächtelange Fußmärsche, Gewalt und Angst - das bestimmte über Wochen und Monate den Alltag der jungen Menschen. Sie haben das durchgemacht, was man aus den Nachrichten kennt, berichtet die Pädagogin Gabriela Safaei. "Viele haben den Krieg hautnah miterlebt und eine lebensgefährliche Flucht hinter sich." Das Haus Conradshöhe, eine Gesellschaft des Sozialdienstes katholischer Frauen Gesamtvereins e. V., unterstützt die zumeist zwölf- bis 18-Jährigen nun beim Start in ein neues Leben.
Ein Leben, das anders ist als das bisherige und nicht immer den Vorstellungen und Träumen der Kinder und Jugendlichen entspricht. Die Mädchen und Jungen sind mit einer enormen Umstellung konfrontiert: Sie müssen nicht nur eine fremde Sprache lernen, sondern eine ganze Kultur, betont Safaei: "Wer vor Krieg und Chaos geflohen ist und sich allein nach Europa durchgeschlagen hat, braucht eine Zeit, sich an das Miteinander in einer Gemeinschaft zu gewöhnen." Integration gelingt vor allem dann, "wenn viele verschiedene Komponenten stimmig ineinander greifen", sagt Einrichtungsleiter Wilks. Für jedes Kind in Conradshöhe gibt es deshalb eine zugeschnittene Betreuung von Pädagogen und Psychologen. Darüber hinaus kann Integration aber auch ganz beiläufig passieren: Etwa, wenn die Wohngruppe "Vogelwarte" die Köpfe über dem Tisch im Gemeinschaftsraum zusammensteckt und sich an einem anspruchsvollen Puzzle-Bild mit eintausend Teilen versucht.
Niemand in Conradshöhe muss alleine puzzeln. Das ist der große Vorteil des idealtypischen Integrationskonzepts: Mit den anderen Kindern und Jugendlichen kochen, Sport treiben oder Musik hören - all das hilft den jungen Flüchtlingen dabei, sich zurechtzufinden: "Sie lernen nicht nur viel besser Deutsch, sondern auch die Regeln, die in unserer Gesellschaft wichtig sind, wie Verlässlichkeit, Pünktlichkeit, Eigenverantwortung, Mitspracherecht und Beteiligung", erklärt Wilks. "Dadurch fühlen sie sich schneller angenommen und angekommen", so der Psychologe. Die Jugend der Flüchtlinge, sie ist eine Chance. Erfahrungsgemäß kommunizieren Kinder und Jugendliche "direkter und unkomplizierter als Erwachsene", sagt Pädagogin Safaei: "Sie gehen selbstverständlicher miteinander um." Sprachliche und kulturelle Barrieren können somit leichter überwunden werden, betont sie: "Die Kinder nehmen sich einen Ball und dann spielen sie."
Ein Kontakt, der nicht nur für die Flüchtlinge förderlich ist: Die deutschen Kinder und Jugendlichen, die in der Einrichtung wohnen, profitieren ebenfalls von dem Zusammenleben. Auch sie können nicht zu Hause bei den Eltern sein und jeder hat sein eigenes Päckchen zu tragen. Das verbindet und schweißt zusammen. Nicht selten wachsen echte Freundschaften: "Alle unterstützen sich gegenseitig", so Pädagogin Safaei, "weil sie spüren, wie gut es tut, Verantwortung zu übernehmen und einander zu helfen." Gemeinsam statt einsam - das hat im Haus Conradshöhe nicht nur beim Puzzeln einen hohen Stellenwert. Für das Gelingen von Integration ist dieses maßgebliche "Puzzle-Teil" wohl nur förderlich, wenn nicht entscheidend.
Kontakt:
Kinder- und Jugendhilfezentrum
Haus Conradshöhe
Eichelhäherstraße 19
13505 Berlin
Telefon: 030 / 438 00 50
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verwaltung@haus-conradshoehe.de