Niedrigschwellige Angebote ermöglichen, über Tabuthemen zu sprechen
Insgesamt 119.213 Ratsuchende haben die Katholische Schwangerschaftsberatung in Trägerschaft von Caritas und Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) im Jahr 2017 aufgesucht. Im Vergleich zu 2016 und 2015 hat sich die Beratungsdichte etwas entspannt. Dennoch liegt sie noch deutlich höher als vor Beginn der Flüchtlingswelle.
Wie bereits in den vergangenen Jahren stand die Beratung von Frauen mit Flucht-und Migrationserfahrung im Vordergrund der Arbeit der knapp 300 Schwangerschaftsberatungsstellen in Trägerschaft von Caritas und Sozialdienst katholischer Frauen (SkF). Knapp 53 Prozent aller Ratsuchenden haben eine ausländische Staatsangehörigkeit (60.563 Ratsuchende). 46,5 Prozent davon verfügen über eine befristete Aufenthaltserlaubnis. 30,6 Prozent aller Ratsuchenden kommen aus dem nicht europäischen Ausland. Insgesamt gehört mehr als jede dritte Ratsuchende der muslimischen Religion an. In mehr als jedem fünften Beratungsfall werden fehlende Sprachkenntnisse von den Beraterinnen als besondere Herausforderung benannt. Gründe genug, um sich im Folgenden auf das Themensegment Schwangerschaftsberatung und Migration zu konzentrieren.
Ein hoher Anteil von Ratsuchenden ist mittlerweile in Deutschland als Asylbewerber(in) anerkannt oder hat subsidiären Schutz erlangt. Letztere Gruppe bezieht SGB-II-Leistungen und wohnt in einer Anschlussunterbringung oder in einer eigenen Wohnung. Während im Jahr 2016 das Ankommen in Deutschland in der Beratung im Vordergrund stand - mit allen Facetten von Angst, Überforderung und Schwierigkeiten, sich im deutschen Gesundheits- und Sozialsystem zurechtzufinden - waren im Jahr 2017 andere oder zusätzliche Themen von Bedeutung: die Suche nach geeignetem Wohnraum, zu hohe Mietkosten, Umgang mit Schulden, Rückforderungen der Jobcenter sowie Fragen zur Alltagsgestaltung.
Begleitung im Alltag ist notwendig
In der Beratungspraxis zeigt sich, dass vor allem alltagspraktische Begleitung der Ratsuchenden nötig ist und hier insbesondere für diejenigen mit Fluchthintergrund. Die kontinuierliche Begleitung kann nicht allein von den Beraterinnen sichergestellt werden. Ehrenamtliche Patenschaftsmodelle sind eine sinnvolle und vielerorts tragfähige Ergänzung.
In dem DCV-Projekt "Frühe Hilfen in der Caritas" (2010-2013) wurden wertvolle Erfahrungen gesammelt, wie eine gelungene Begleitstruktur mit ehrenamtlichen Pat(inn)en etabliert werden kann. Vorhandene Projektergebnisse könnten und müssten im kommenden Jahr auf die Zielgruppe der Frauen und Familien mit Flucht- und Migrationshintergrund hin spezifizierend überarbeitet und erweitert werden.
Auskömmliche Finanzierung der Angebote Früher Hilfen
Befristete Finanzierungen beziehungsweise nicht auskömmliche Finanzierungen der Frühen Hilfen führen immer wieder dazu, dass gut angenommene Angebote eingestellt oder nur noch in geringem Umfang fortgeführt werden können. Die positiven Wirkungen der Angebote der Schwangerschaftsberatung und Frühen Hilfen sind in ihrem Zusammenspiel in der politischen Öffentlichkeit deutlicher sichtbar zu machen. Gleichzeitig knüpfen sich daran aber auch Forderungen nach auskömmlicher Finanzierung des Angebotsspektrums.
Umgang mit Sprachbarrieren
Sprachliche Barrieren stellen nach wie vor eine große Herausforderung in der Schwangerschaftsberatung dar. Sie bedeuten für die Beraterinnen, aber auch für die Verwaltungskräfte einen erhöhten zeitlichen Aufwand und erfordern ein hohes Maß an Improvisationsfähigkeit und Flexibilität.
Die Beratungsstellen haben zum Umgang mit Verständigungsschwierigkeiten unterschiedliche Lösungswege entwickelt:
- fremdsprachliche Beratung durch die Beraterinnen selber (einige Beraterinnen haben Sprachkurse besucht wie beispielsweise "Wie berate ich in englischer Sprache?")
- Einsatz von digitalen Übersetzungsprogrammen;
- Einsatz von Bildern in der Beratung;
- Einsatz von Sofort-Telefondolmetschern;
- Einsatz von Dolmetschenden.
Beraterinnen erfahren in der triadischen Kommunikation mit einem/einer Dolmetscher(in), dass es beim Dolmetschen unter Umständen zu Neuformulierungen im Sinne von etwas "mit anderen Worten sagen" kommt. Eine Neuformulierung kann zu einer Neuordnung und das Dolmetschen zu einer Kürzung, Vereinfachung oder aber auch zu einer Verkomplizierung des Gesagten führen. Es bedarf einer hohen Professionalität der Dolmetschenden, eine Balance zu schaffen zwischen Unparteilichkeit, beteiligter Handlung und Haltung sowie zwischen Nähe und Distanz. Aufseiten der Beraterinnen bedarf es ebenfalls einer Balance zwischen Prozesssteuerung, aufmerksamem Wahrnehmen aller Beteiligten und einem Vertrauen, dass das Gesagte in einer adäquaten Form übersetzt wird.
Auch wenn die triadische Kommunikation hochschwelliger ist als das direkte Gespräch zwischen Beraterin und Ratsuchender, erzeugt das Dolmetschen mehr Zufriedenheit aufseiten der Beraterinnen, da die Beratung nicht nur allein auf die Vermittlung von absoluten "Basics" reduziert werden muss.
Genitalverstümmelung spielt eine große Rolle
Die Schwangerschaftsberatung bietet einen geschützten Rahmen, um sehr sensible Themen ansprechen zu können: Unter anderem wird weibliche Genitalverstümmelung immer wieder in der Beratung virulent. Ratsuchende aus West- und Ostafrika oder Ländern wie dem Jemen und Irak berichten in der Beratung, dass ihnen (meist vor dem 14. Lebensjahr) in einem rituellen Akt die äußeren Genitalien aus nicht medizinischen Gründen teilweise oder ganz entfernt wurden. In Vorbereitung auf die Geburt des Kindes müssen sie sich nun in Deutschland einer Ärztin oder einer Beraterin anvertrauen und darauf hoffen, dass die Fachkräfte mit diesem schambesetzten Tabuthema adäquat und empathisch umgehen können. Medizinische Fachkräfte sind ebenso wie die Beraterinnen nicht immer ausreichend mit den physischen und psychischen Verletzungen und verschiedenen Erscheinungsbildern der Beschneidungspraktiken vertraut.
Rechtlich wird weibliche Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation/Female Genital Cutting (FGM/C)) in vielen Ländern - so auch in Deutschland - als schwere Menschenrechtsverletzung verurteilt, da sie das Recht auf körperliche Unversehrtheit verletzt und den betroffenen Mädchen und Frauen physischen und psychischen Schaden zufügt.
Bei Menschen, die erst seit kurzem in Deutschland leben, besteht hinsichtlich der deutschen Rechtslage in Bezug auf FMG_C häufig eine Wissenslücke, die mit vermehrter früher Aufklärungsarbeit in Erstaufnahmeeinrichtungen geschlossen werden kann. Über die asylrechtliche Beratung sollten Neuankommende gleichzeitig sensibel über FGM/C informiert werden, mit doppelter Zielsetzung: Information über gesetzliche Regelungen und medizinische Versorgung, aber auch Aufklärung darüber, dass drohende Genitalverstümmelung im Heimatland als Asylgrund für eventuell vorhandene nicht beschnittene Töchter anerkannt ist und in der Ausländerbehörde als Asylgrund benannt werden kann.
Für die Schwangerschaftsberaterinnen ist es zunehmend wichtig, sich Wissen über FGM/C anzueignen, vorhandene Netzwerkstrukturen vor Ort zu kennen und diese zu nutzen. Dabei können sie von Organisationen lernen, die schon lange und effektiv Aufklärungsarbeit zu FGM/C leisten und sich mit international arbeitenden Organisationen wie UN Women vernetzen. In der Einzelfallhilfe ist es wichtig, sprachfähig zu sein und bei Bedarf die Ratsuchenden (im Miteinander mit medizinischen Fachkräften) zu unterstützen. Die Schwangerschaftsberatung hat die Möglichkeit, niedrigschwellige Angebote wie Teestuben, Näh- oder Kochgruppen zu initiieren, um Gesprächsräume für Frauen zu eröffnen, damit sie Erfahrungen mit FGM/C überhaupt äußern können.
DCV, SkF und IN VIA planen für 2019 eine Tagung für Fachkräfte in der Schwangerenberatung über verschiedene Aspekte der Zwangsbeschneidung.
Unterstützende Materialien
In den Diözesen wurden in den letzten Jahren zahlreiche Empfehlungen, Beratungsinstrumente, Konzepte und Best-Practice-Angebote für schwangere Frauen mit Flucht- und Migrationshintergrund erarbeitet. Die so entstandenen Produkte wurden in einem Praxisleitfaden zusammengetragen. Er ist im CariNet, dem Verbandsportal der Caritas, eingestellt und kann über die Fachreferentinnen der DiCV den Beratungsstellen zur Verfügung gestellt werden.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) hat in Kooperation mit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zwei Broschüren in Deutsch, Englisch, Französisch und Arabisch entwickelt. Mit den Materialien sollen schwangere Frauen mit Flucht- und Migrationshintergrund angesprochen werden. Eine greift Themen rund um Schwangerschaft, Geburt und Gesundheit auf, die andere die Themen Ämter, Papiere und Geld.
Beide Broschüren kommen in der Praxis gut an und wurden bundesweit an die Schwangerschaftsberatungsstellen und andere interessierte Stellen kostenlos verteilt. Sie sind auch als Download auf den Homepages der Verbände der freien Wohlfahrtspflege sowie der BAGFW erhältlich (www.caritas.de/schwanger-in-deutschland).
Im Jahresbericht 2017 (Download unter www.caritas.de/JB-Schwangerschaftsberatung-2017) werden weitere Themen, die die fachliche Arbeit der Schwangerschaftsberatung aktuell bestimmen, aufgegriffen, etwa Digitalisierung, hybride Beratungsformen, Beratung und Begleitung in ethischen Entscheidungsprozessen, Generationenwechsel bei den Beraterinnen, Wohnungsnot und die Auswirkungen des eklatanten Hebammenmangels.
Die Folgen des Brexits
Weltweit sozial investieren
Wer kümmert sich um Kinder psychisch kranker Eltern?
Deutsche Fernsehlotterie setzt stärker auf direkte Hilfe
Unerträglicher Bürokratismus
Hinterlassen Sie einen Kommentar zum Thema
Danke für Ihren Kommentar!
Ups...
Ein Fehler ist aufgetreten. Bitte laden Sie die Seite erneut und wiederholen Sie den Vorgang.
{{Reply.Name}} antwortet
{{Reply.Text}}