Wer kümmert sich um Kinder psychisch kranker Eltern?
Erst vor wenigen Jahren haben sowohl die Erwachsenenpsychiatrie als auch die Jugendhilfe ein Augenmerk auf die besondere Situation von Kindern psychisch kranker Eltern gerichtet. Die Problematik wurde inzwischen vonseiten der Praxis und der Wissenschaft aufgegriffen. So gab es innerhalb der letzten Jahre eine enorme Entwicklung innerhalb der Forschung, was die Datenerhebung, Symptom- und Belastungsanalyse sowie die Suche nach Resilienzfaktoren betrifft. Aus der Praxis heraus entwickelte sich eine Vielzahl an Konzepten mit der gemeinsamen Zielsetzung, betroffene Kinder und Familien zu unterstützen.
Sehr vielfältig sind die Belastungen von Kindern, deren Eltern psychisch krank sind. Oft ist es erkrankten Eltern zeitweise oder grundlegend nicht möglich, eine verlässliche Eltern-Kind-Bindung herzustellen oder zu erhalten. Angesichts eigener Befangenheit kommt es zu Bindungsverunsicherungen, fehlender Aufmerksamkeit und Zuwendung, Vernachlässigung und in Extremfällen auch zu Misshandlungen. Diese sind verbunden mit schweren Grenzüberschreitungen wie Störungen des Schlafes, Beeinträchtigungen durch Beschimpfungen und Erfahrungen von Realitätsverschiebung durch das Einbeziehen der Kinder in ein krankhaft verzerrtes Wahrnehmungssystem. Kinder neigen dazu, die Verantwortung für das Kranksein der Eltern zu übernehmen. Häufig bekommen sie auch direkt zu hören, dass sie schuld seien am Befinden der Eltern. So erleben sie massive Schuldgefühle und übernehmen noch mehr Verantwortung für die Eltern.
Potenziert wird die Problematik, wenn den Kindern keine Informationen und Aufklärung über die elterliche Erkrankung zur Verfügung stehen. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass sich das Rollengefüge auf den Kopf stellt und die Kinder die Aufgaben der Erwachsenen übernehmen, die sogenannte "Parentifizierung". Für die betroffenen Kinder bedeutet dies eine emotionale, soziale und kognitive Überforderung. Kindliche Bedürfnisse, wie etwa ausreichend versorgt zu werden, sich auf die Eltern verlassen zu können, einen unbeschwerten Umgang mit Gleichaltrigen genießen zu dürfen und Zuwendung zu erfahren, müssen abgespalten werden. Durch die Nichtbewältigung der altersentsprechenden Entwicklungsaufgaben fehlen folglich Teile sozial-emotionaler Kompetenzen, die die Entwicklung eines eigenen sicheren Bindungsmusters beeinträchtigen können. Meistens ist das familiäre System mit einem psychisch kranken Elternteil durch Enge, Abschottung und Kontrolle nach außen geprägt. Diese Tabuisierung der Krankheit ist vielfach der Ausgangspunkt für eine Isolation des gesamten Systems und somit ganz speziell auch der Kinder. Wenn das Kind nie andere Kinder zu sich nach Hause einladen kann, nicht unbeschwert mit anderen sprechen und spielen, keinen Freizeitaktivitäten in Gruppen oder Vereinen nachgehen kann, sind Fehlentwicklungen bis hin zur eigenen psychischen Erkrankung wahrscheinlich. Weitere Belastungsfaktoren sind Ängste der Kinder vor dem Verlust des erkrankten Elternteils, Angst vor den Krankheitssymptomen, die Angst, selbst zu erkranken, Betreuungsdefizite, finanzielle und materielle Probleme.
Erziehungsberatung als fundiertes Leistungsangebot
In Erziehungsberatungsstellen spielt das Thema elterlicher psychischer Erkrankung eine zunehmend größere Rolle. Inzwischen hat sich das Arbeitsfeld infolge gesellschaftlicher Entwicklungen gravierend verändert. Die Zahl psychischer Erkrankungen hat innerhalb der letzten 20 Jahre massiv zugenommen. So waren und sind die Berater(innen) der Erziehungsberatungsstellen gefordert, entsprechende Anpassungen in ihren Konzepten und Kompetenzen vorzunehmen. In den letzten Jahren gab es eine Fortbildungsoffensive, die die Situation der Kinder wie auch die Arbeit mit betroffenen Kindern und Familien fundiert in den Blick nahm. Gleichzeitig wurden und werden immer mehr Materialien und Konzepte entwickelt, die allerdings noch längst nicht flächendeckend zum Einsatz kommen. Das mit am häufigsten angewandte Beratungssetting ist die Einzelberatung betroffener Kinder. Hier kann ihnen am unmittelbarsten vertrauensvoll ein Gesprächsangebot gemacht werden. Sie sind keine Klienten und sollten auch nicht "psychiatrisiert" werden. Durch die Niedrigschwelligkeit und die zunehmend aufsuchende Arbeit der Erziehungsberatung im Sozialraum bietet sich eine ideale flexible Hilfsmöglichkeit für Kinder. Auch psychisch kranke Eltern können in ihrer Elternrolle hinsichtlich der Themen wie Versorgung, Verantwortungsverteilung, Bindung, Krankheitsaufklärung und weiterer Erziehungsfragen in einem geschützten und keinesfalls stigmatisierenden Setting unterstützt werden. Erziehungsberatung ist von allen Eltern akzeptiert. Bei Bedarf ergeben sich schnelle und passgenaue Möglichkeiten der Weitervermittlung durch die enge regionale Vernetzung der Erziehungsberatung mit weiteren Trägern und Angeboten der Hilfen zur Erziehung sowie mit niedergelassenen Kinder- und Jugendpsychotherapeut(inn)en.
"Ich bin wichtig"
Besonders geeignet bei der Erziehungsberatung sind Gruppenkonzepte für betroffene Kinder wie zum
Beispiel in der Erziehungs-, Jugend- und Familienberatung Günzburg. Das Gruppenangebot "Ich bin
wichtig" verfügt über differenzierte Ziele und eine Zusammensetzung verschiedener Methoden:
Ziele (Auszug):
- kindgerechte Aufklärung über Erkrankungen,
- Entlastung durch den Erfahrungsaustausch der Kinder über die elterliche psychische Erkrankung,
- Entwicklung eines Gruppengefühls "Ich bin mit meiner Situation nicht allein",
- verbesserte Differenzierungsfähigkeit zwischen kindlichen Handlungsmöglichkeiten einerseits und überfordernder Verantwortungsübernahme in der Familie,
- Erarbeitung eines individuellen Verhaltensplans,
Methoden (Auszug):
- themenbezogene Einheiten (im Mittelpunkt stehen hierbei verschiedene Kinderfachbücher und Beratungsbroschüren),
- Gruppengespräche und Rollenspiele,
- spieltherapeutische und erlebnispädagogische Zugänge.
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