Für ein Mehr an europäischer Sozialpolitik
Die Menschen für die soziale Dimension Europas zu begeistern und sie zur Stimmabgabe bei der Europawahl zu bewegen, das hatte sich die Caritas mit der Aktion "care4EU" vorgenommen.1 Der Blick auf die Wahlbeteiligung zeigt: Die Mobilisierung der Wähler(innen) - unter anderem durch die Caritas - ist gelungen. Bei der Europawahl gaben in Deutschland, im Vergleich zum Jahr 2014, mehr als acht Millionen Menschen zusätzlich ihre Stimme ab. Die Wahlbeteiligung erreichte mit 61 Prozent einen Wert, der seit 1989 nicht mehr erzielt wurde. Auch die Mitarbeitenden und Freiwilligen der Caritas haben ihren Teil dazu beigetragen. Im Rahmen von "care4EU" gab es ein verstärktes Europaengagement auf allen Ebenen, wie zum Beispiel die Fotoaktion "Hand in Hand für Europa" zeigt: Mehr als 150 Teilnehmende erklärten, warum sie für die EU einstehen möchten. Dabei fielen Schlagworte wie: Zusammenhalt, Kooperation, Austausch, Freiheit, Vielfalt, friedliches Zusammenleben, soziale Sicherheit und Solidarität. Ob diese Werte auch europapolitisch weiter gelten würden, stand bei der Europawahl auf dem Spiel, denn nationalistischen und populistischen Parteien wurden große Stimmengewinne prognostiziert. In Anbetracht der Europawahlergebnisse können all diejeningen aufatmen, die eine Blockade des EU-Parlaments befürchteten. Im Gesamtergebnis erhielten die gemäßigten und pro-europäischen Fraktionen im EU-Parlament eine deutliche Mehrheit. Die Rechtspopulisten konnten ihren Stimmenanteil nur minimal ausbauen. Somit gibt es auch weiterhin eine politische Mehrheit für die konstruktive Weiterentwicklung der EU. Und Weiterentwicklungsbedarf gibt es, insbesondere in der EU-Sozialpolitik. Drei von vier Deutschen befürworten nach einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung Maßnahmen zur Verringerung von wirtschaftlicher und sozialer Ungleichheit in der EU.2 Ob das pro-europäische Ergebnis der Europawahl dazu genutzt werden kann, das Problem der Ungleichheit in der EU mit sozialpolitischen Maßnahmen anzugehen, hängt von mehreren Faktoren ab.
Parlamentarische Mehrheiten für eine europäische Sozialpolitik
Das Europäische Parlament ist elementarer Ansprechpartner der Caritas, um soziale Anliegen in den EU-Gesetzgebungsprozess einzubringen. Künftig müssen hier noch breitere politische Allianzen geschmiedet werden, um Mehrheiten zu erringen, denn die Fraktionen der Grünen (Grüne/EFA) und Liberalen (RE, ehemals ALDE) haben nun ein deutlich stärkeres Gewicht. Beide konnten ihre Sitzanteile gegenüber den bisher über eine gemeinsame absolute Mehrheit verfügenden Europäischen Sozialdemokraten (S&D) und Christdemokraten (EVP) ausbauen. Schaut man sich die verschieden Wahlprogramme an, liegen in den vier genannten Fraktionen sehr unterschiedliche Vorstellungen zur Ausgestaltung von Sozialpolitik vor.3 Hier kommt die Hauptvertretung der Caritas in Brüssel ins Spiel. Denn sie kümmert sich darum, die EU-Abgeordneten für die Anliegen der Caritas zu sensibilisieren. Ein erster Schritt dorthin ist der gemeinsame Brüsseler Jahresempfang, den Caritas und Diakonie am 4. September 2019 in Brüssel ausrichten. Neben Gesprächen in Brüssel braucht es aber auch die Ansprache durch die lokale Zivilgesellschaft in den Wahlkreisen. Die Materialien von "care4EU" könnten dafür genutzt werden, um vor Ort mit den Abgeordneten ins Gespräch zu kommen, zum Beispiel bei einem EU-Workshop.4
Den Ausbau der Europäischen Säule sozialer Rechte weiterführen
Der EU-Kommission als einzigem EU-Organ mit Initiativrecht im Gesetzgebungsprozess kommt eine entscheidende Rolle in der Weiterentwicklung des sozialen Europas zu. Der scheidende EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte sich 2014 zu seinem Amtsamtsantritt zu einem Europa mit einem sozialen "Triple A", bekannt und konnte in seiner Amtszeit einige Fortschritte in der EU-Sozialpolitik verbuchen.5 So riefen beispielsweise im Jahr 2017 EU-Kommission, EU-Parlament und -Rat gemeinsam die Europäische Säule sozialer Rechte6 aus, in der 20 soziale Grundsätze festgehalten sind, die für alle EU-Bürger(innen) gelten. Auch wenn diese nicht rechtsverbindlich sind, setzen sie doch die europäischen und nationalen Institutionen unter den politischen Zugzwang, konkrete Aktionen folgen zu lassen. So wurden bisher beispielsweise eine Europäische Arbeitsagentur eingeführt und die Richtlinie zur Vereinbarkeit von Familie und Berufsleben verabschiedet. Letztere garantiert Eltern und pflegenden Angehörigen EU-weit gewisse Mindestansprüche für Elternzeit, Vaterschaftsfreistellung und Pflegezeit.7
Ob diese Dynamik in der Sozialpolitik fortgesetzt wird, hängt nun auch von der nächsten EU-Kommission ab. Im September stehen die Befragungen der neuen EU-Kommissarinnen und Kommissare durch die EU-Abgeordneten an. In Zusammenarbeit mit Caritas Europa wird die DCV-Hauptvertretung Brüssel nun Fragen an die neuen EU-Kommissare vorbereiten, die in den Anhörungen gestellt werden können. Dabei muss deutlich werden, dass von der neuen EU-Kommission verlangt wird, den Ausbau der Europäischen Säule sozialer Rechte mit neuen gesetzlichen Vorschlägen fortzusetzen. Ideen für neue Initiativen hat die Caritas bereits mit der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) vorgelegt. Dazu gehört beispielsweise eine europäische Rahmenrichtlinie für Grundsicherungssysteme, mit der EU-weite Mindeststandards festgelegt werden.8 In den kommenden Monaten wird die Kommission neue Konsultationen starten, um mögliche politische Vorhaben der nächsten Jahre zu planen. Unter euvertretung@caritas.de können Interessierte sich anmelden, um per Newsletter über Teilnahmemöglichkeiten und weitere politische Entwicklungen auf EU-Ebene informiert zu sein.
Mitgliedstaaten, die sich dem sozialen Europa verpflichtet fühlen
Zum Ziel der Umsetzung der Europäischen Säule sozialer Rechte haben sich die Staats- und Regierungschefs erneut in der am 20. Juni 2019 verabschiedeten Strategischen Agenda der EU bis 2024 bekannt. Ein soziales Europa wird darin als Toppriorität genannt.9 Die laufenden Verhandlungen des neuen EU-Haushalts 2021 bis 2027 sind die nächste Gelegenheit, bei der die Mitgliedstaaten zeigen können, dass ihnen das soziale Europa am Herzen liegt. Denn dabei geht es auch um die ausreichende Mittelausstattung für soziale EU-Förderprogramme. Die Caritas hatte sich in diesem Zusammenhang bereits im vergangenen Jahr mit einem Forderungspapier nach einem neuen, sozialen EU-Haushalt an die Bundesregierung gewandt.10 Den EU-Mitgliedstaaten das Ziel der Umsetzung der "Europäischen Säule sozialer Rechte" fortwährend in Erinnerung zu rufen wird in den nächsten Jahren eine wichtige Aufgabe der Bürger(innen) und zivilgesellschaftlicher Organisationen in Europa sein.
Deutsche EU-Ratspräsidentschaft als Chance
Yes - we care4EU, das hat das vielfältige Engagement der Caritas bei den "care4EU"-Aktionen zur Europawahl gezeigt. Zentrales Thema war dabei der soziale Zusammenhalt. Das proeuropäische Wahlergebnis und die durch "care4EU" geschaffene Aufmerksamkeit für Europa-Themen in der Caritas bieten nun die Möglichkeit, der Forderung der Caritas nach einem sozialen Europa nicht nur auf Brüsseler, sondern auch auf nationaler und lokaler Bühne Ausdruck zu verleihen. Die im zweiten Halbjahr 2020 anstehende deutsche EU-Ratspräsidentschaft wäre dafür ein gut geeigneter Ansatzpunkt.
Anmerkungen
1. Mehr Infos unter www.caritas.de/care4EU
2. www.fes.de/politik-fuer-europa/umfrage-was-die-deutschen-von-europa-erwarten
3. Siehe Kurzlink: https://bit.ly/2IHdkXI
4. Alle Materialien sind zu finden unter: www.caritas.de/care4EU
5. https://bit.ly/2RMvdaB; siehe auch https://bit.ly/2SER1IZ
6. https://bit.ly/2XlBhfZ
7. https://bit.ly/2J1sp6u
8. https://bit.ly/2XAvWRe
9. https://bit.ly/2IIUsYb
10. https://bit.ly/2ZLKfzT
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