Naturschutz fernab von Solartechnik und Bioladen
Naturschutz ist auch anstrengende Handarbeit. Donnerstags sind die Jugendlichen aus der Förderwerkstatt ZAQ des Jugendwerks St. Josef in Landau mit dem Förster im Pfälzer Wald unterwegs.1 Ausgerüstet mit Handsägen, Äxten und anderen Werkzeugen unterstützen sie ihn zum Beispiel bei Biotop- und Landschaftspflegearbeiten oder bei Pflanzaktionen.
Der Arbeitstag beginnt frühmorgens mit einer gemeinsamen Besprechung: Welche Arbeit steht an? Warum muss sie gemacht werden? Welche Werkzeuge werden gebraucht? Wer übernimmt welche Aufgabe? Und welche Sicherheitsvorgaben müssen beachtet werden?
Jugendhilfe und Natur-schutz - parallele Welten?
Die originäre und gesetzlich verankerte Aufgabe der Jugendhilfe ist es, junge Menschen und deren Familien zu unterstützen und zu fördern - eine Aufgabe, die Entscheidungsträger und Fachkräfte täglich herausfordert. Die individuellen Notlagen sind groß, und aktuelle gesellschaftliche Veränderungen, wie die Betreuung junger Flüchtlinge, Armut, Fachkräftemangel sowie die Herausforderungen, die mit den Ziel einer inklusiven Gesellschaft verbunden sind, stellen umfassende Anforderungen an das System Jugendhilfe.
Das Ziel des Naturschutzes, gesetzlich verankert im Bundesnaturschutzgesetz, ist es, Natur und Landschaft aufgrund ihres eigenen Wertes und als Lebensgrundlagen des Menschen zu erhalten (§ 1 Bundesnaturschutzgesetz). Wie in der Jugendhilfe besteht auch hier ein hochprofessionalisiertes und komplexes System von Institutionen, Diensten und Verbänden, um diese wichtige öffentlichen Aufgabe so gut wie möglich zu erfüllen. Und genau wie bei der Jugendhilfe werden trotz guter Arbeit die Aufgaben größer und die Dringlichkeit für wirkungsvolle Angebote höher.
Berührungspunkte zwischen den Systemen gibt es kaum. In den Jugendorganisationen der Naturschutzverbände, die eine solche Verbindung bieten könnten, fehlen genau die Kinder- und Jugendlichen, um die es in der Jugendhilfe in erster Linie geht. Im Alltag der Jugendhilfe stehen viele andere Nöte im Vordergrund; Naturschutz hat dort keine Relevanz. Beim Ringen um öffentliche Aufmerksamkeit und finanzielle Budgets stehen die Interessen der beiden Systeme konkurrierend nebeneinander.
Die Jugendlichen sind noch nicht reif für einen Beruf
Die Mädchen und Jungen aus der Förderwerkstatt sind zwischen 15 und 18 Jahre alt. Schulverweigerung, Misserfolgserlebnisse, Lernbehinderung, Delinquenz, psychische und soziale Auffälligkeiten und Beeinträchtigungen, schwierige Familiensituationen, Sucht und nicht zuletzt Flucht sind Themen, in denen jede(r) von ihnen viele Erfahrungen gemacht hat.
Aufgrund solcher komplexen Problemlagen verfügen sie noch nicht über eine ausreichende Ausbildungsreife beziehungsweise Berufsreife. Die ZAQ bietet ihnen pädagogische Begleitung und ein individuelles Programm zur beruflichen Orientierung und Tagesstrukturierung, zur Förderung fachlich-beruflicher Kompetenzen sowie sozialer und alltagspraktischer Fertigkeiten.
Heute wird Schnittgut verbrannt. Das bedeutet, große Mengen an Holz müssen gesägt, zusammentragen und schließlich verfeuert werden. Eine schweißtreibende und anstrengende Arbeit, die im Vorfeld mit der Biotopbetreuung und der Oberen Landespflege abgestimmt wurde.
Der Förster kennt die Gruppe, er plant das Arbeitsprogramm und leitet die Aktionen. Bei der Arbeit tragen die Jugendlichen und die begleitenden Pädagog(inn)en und Lehrer(innen) Schutzausrüstung. Der Umgang mit den Werkzeugen wird vom Förster angeleitet und konzentriert ausgeführt. Die Pädagog(inn)en arbeiten mit, unterstützen, ermutigen und greifen bei Bedarf auch ein. Wichtig ist heute die gemeinsame Aufgabe, und die ist nur zu schaffen, wenn alle ihren Einsatz bringen.
Die Grillwurst über der verbleibenden Glut in der Mittagspause ist verdienter Ausgleich für die Jugendlichen und die Erwachsenen, und das gemeinsame Essen wird zelebriert.
Handlungsorientierte Pädagogik als Brücke
Jugendliche lieben Herausforderungen. Vorausgesetzt, die gestellten Aufgaben sind nicht langweilig, sie sind aus eigenen Kräften zu bewältigen und das Ergebnis ist sichtbar. Diese Erfahrung zieht sich durch viele Angebote in der Kinder- und Jugendhilfe. Insbesondere Jugendliche, die in der Schule überwiegend gescheitert sind, profitieren von handlungsorientierten Konzepten. Denn diese ermöglichen Erfahrungen von Selbstwirksamkeit und vermitteln Erfolgserlebnisse. Der praktische Naturschutz bietet jede Menge Chancen und Lernfelder für die Umsetzung einer solchen handlungsorientierten Pädagogik.2 Voraussetzung dafür sind der Blick über den eigenen Tellerrand und die Vernetzung von pädagogischen und naturschutzfachlichen Kompetenzen.
Die Kooperation des Jugendwerks St. Josef in Landau mit den Landesforsten Rheinland-Pfalz begann vor fünf Jahren und hat sich inzwischen etabliert. Die Landesforsten investieren viel in ihren gesetzlich verankerten Bildungsauftrag und haben dabei auch sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche im Blick. Das ist bundesweit bisher noch eine zukunftsweisende Ausnahme. Es braucht dazu Förster(innen), die glauben, dass es sich lohnt, Jugendliche für Wald und Naturschutz zu begeistern, und es braucht Fachkräfte der Jugendhilfe, die mit anpacken. Die Jugendlichen der ZAQ haben Glück - Förster und Pädagog(inn)en sind zwischenzeitlich ein versiertes Team geworden, in dem die Kompetenzen beider Berufsgruppen voll zum Einsatz kommen.
Projektkonzept mit Hand und Fuß
Den Anstoß für die Kooperation in Rheinland-Pfalz gab ein Projekt des Bundesverbandes katholischer Einrichtungen und Dienste der Erziehungshilfen, BVkE, Fachverband des Deutschen Caritasverbandes. Im BVkE wurde ein Projektkonzept für handlungsorientierten Naturschutz in der Kinder- und Jugendhilfe erarbeitet. Zentrale Ziele und Inhalte des Konzepts waren:
- den Lebensraum Wald mit Kopf, Herz und Hand zu erfahren;
- praktische Naturschutzarbeit zu leisten;
- zu erleben, dass Naturschutz Spaß macht;
- Einblick zu gewinnen in "grüne Berufe";
- das Potenzial und das Engagement von Kindern und Jugendlichen aus der Jugendhilfe für den Naturschutz sichtbar zu machen.
Das Konzept wurde vom Bundesamt für Naturschutz im Jahr 2011 mit dem Deutschen Naturschutzpreis3 ausgezeichnet. Damit würdigte die Jury den Pioniercharakter und die Vorbildfunktion des Konzeptes und ermöglichte die zweijährige Umsetzung des Projekts. In einigen Regionen etablierten sich seither dauerhafte Kooperationen von Forst und Jugendhilfe.
Jugendhilfe und Naturschutz - eine Vision mit Zukunft
Am Abend zählt das Ergebnis, und das kann sich sehen lassen. Erschöpft und zufrieden packen die Jugendlichen am späten Nachmittag die Werkzeuge in den Bus und treten den Heimweg an. Das Lob des Försters kommt an. Der abstrakte vielbenutzte Slogan "Gemeinsam für den Wald" ist für die Jugendlichen zur praktischen Erfahrung geworden.
Ökologische Ziele des Naturschutzes mit sozialen Zielen der Jugendhilfe zu kombinieren, ist ein innovativer und vielversprechender Ansatz. Beide Systeme verbindet der hohe Einsatz für eine lebenswerte Zukunft der nächsten Generation(en). Naturschutz ist eine dringliche Mammutaufgabe, bei der alle gefordert sind.
Die beiden ersten Studien zum Naturbewusstsein in Deutschland vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) und dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) zeigen, dass es hier noch viel zu tun gibt.4 Die Untersuchungen, in denen es um subjektive Auffassungen von und um Einstellungen zur Natur in der Bevölkerung ging, haben belegt, dass Naturbewusstsein stark von Lebensstil und Bildungsstand beeinflusst wird. Während sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche, die in bildungsfernen Milieus groß werden, ein eher "distanziertes Verhältnis zu Natur" zeigen5, verfügt die überwiegende Mehrheit der Bundesbürger(innen) über ein eher positiv besetztes Bild von Natur, die sie als wertvolle Ressource für Erholung und Ruhe erlebt und deren Schutz ihr ein Anliegen ist.6 Daraus ergeben sich folgende Denkanstöße:
- Sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche als wichtige zukünftige gesellschaftliche Gestalter(innen) und Konsument(inn)en müssen in ihrer Kompetenz und Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung gestärkt werden.
- Sozial benachteiligte Kinder und Jugendlichen benötigen Angebote, bei denen sie Natur positiv erleben, und diese als wertvolle Ressource für sich entdecken und nutzen können.
Die Verknüpfung von sozialen und ökologischen Anliegen ermöglicht neue Chancen in Bezug auf Inklusion und Partizipation im gesellschaftlichen Miteinander. Sie ist außerdem dringend erforderlich, um das zentrale Gesellschaftsziel einer nachhaltigen Entwicklung zu erreichen.
Die Erfahrungen der bisherigen Projekte von Forst und Jugendhilfe machen Mut, diese gemeinsamen Ziele weiterzuverfolgen. Viele Entscheidungsträger im Naturschutz haben bereits erkannt, dass es darum geht, alle gesellschaftlichen Gruppen für die Gefährdung der Natur als Lebensgrundlage zu sensibilisieren und mit in die Verantwortung zu nehmen. Dafür benötigt der Naturschutz Zugänge und Kompetenzen wie sie zum Beispiel die Jugendhilfe bieten kann. Dass es dabei auch für die Jugendlichen der Jugendhilfe viel zu gewinnen gibt, haben die Projekte in vielfältiger Weise gezeigt.
Anmerkungen
1. Die Förderwerkstatt ZAQ (Zukunft durch Ausbildungsvorbereitung und Qualifizierung) ist eine berufsunspezifische Lernwerkstatt auf dem Gelände des Jugendwerks St. Josef in Landau. Das Haupteinsatzgebiet des Projektes liegt im Umfeld des Forstamts Bienwald in der Nähe der Bundesgrenze zu Frankreich. Die forstliche Leitung des Projektes liegt beim Forstamt Bienwald, Kandel.
2. Konzepte und Praxisanregungen in: Brünner, A.; Mastalerz, D.; Stemm, J. v.: www.wildewaldwelt.de - Jugendhilfe erlebt, begreift und packt an! Freiburg, 2014.
3. Der Deutsche Naturschutzpreis wurde von 2011 bis 2013 einmal jährlich verliehen. Träger war das Bundesamt für Naturschutz. Der Preis förderte Naturbewusstsein und bürgerschaftliches Engagement im Naturschutz. Eine Fachjury wählte die Preisträger aus. Der Deutsche Naturschutzpreis ging auf eine Initiative des Bundesamts für Naturschutz (BfN) zusammen mit dem Unternehmen "Jack Wolfskin" zurück. Der Outdoor-Ausrüster hat den Preis als Stifter drei Jahre unterstützt. Mehr unter: www.deutscher-naturschutzpreis.de
4. BMU und BfN: Kurzfassung zur Studie zum Naturbewusstsein in Deutschland 2009. Sie steht als Download zur Verfügung unter: www.bfn.de/fileadmin/MDB/documents/themen/gesellschaft/Kurzfassung_Naturbewusstsein.pdf
5. Ebd., S. 9.
6. Ebd., S. 4 ff.
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