Ungleiche Netzwerkpartner – gleiches Ziel: ein lebenswerter Kiez
Egal ob Quartier, Stadtteil, Veddel1 oder Kiez genannt: Der Lebensraum des Menschen ist das Wohnumfeld, die geografische und amtliche Umgebung des Wohnortes, in dem die soziale und materielle Infrastruktur wechselseitig die Wohnsituation des Menschen bedingen und beeinflussen. Einfach gesagt: Eine funktionierende Infrastruktur vor Ort trägt entscheidend dazu bei, dass Menschen sich zu Hause fühlen. Die Wahl des Lebensraums ist Ausdruck von Selbstbestimmtheit und Lebensqualität. Und höchste Lebensqualität wird im eigenen Wohnraum und Umfeld erfahren, im Erleben von Gewohnheiten und Ritualen - also in der vertrauten, sicheren Umgebung.
Die Wohnungswirtschaft hat sich verstärkt mit dieser Thematik auseinanderzusetzen: Beispielsweise gilt es, Angebote und Kooperationen zu entwickeln, die es Älteren und Pflegebedürftigen erlauben, so lange wie möglich in der eigenen Wohnung zu bleiben.
Genau hier setzt das Netzwerk Märkisches Viertel an. Seinen Grundstein legten 2003 die Gesobau AG, der Pflegestützpunkt und das zuständige Bezirksamt Berlin-Reinickendorf. Fünfzig Gründungsmitglieder mit sozialräumlichem Bezug zum Märkischen Viertel - dem ältesten Neubaugebiet des seinerzeitigen Westberlins mit einem Durchmesser von ungefähr zwei Kilometern - schlossen sich an. Sie bauten das Netzwerk auf, um zur Verbesserung sozialer Strukturen im Quartier beizutragen.
Im Blickpunkt der Initiative stehen ältere, behinderte und pflegebedürftige Menschen sowie ein ganzheitliches Handeln lokaler Akteure. Niedrigschwellige Beratungs-, Bildungs- und Präventionsangebote, soziale Dienste und kulturelle Aktivitäten sollen die Zielgruppe in ihrer Alltagsbewältigung unterstützen. Die Arbeit des Netzwerks ist getragen vom Prinzip "mit, von und für" (den/die Menschen vor Ort).
Mit dem Motto "Hier will ich bleiben" besteht das erklärte Ziel des Netzwerks darin, den Bewohner(inne)n des Viertels so lange wie möglich ein selbstständiges Leben in der eigenen Wohnung zu ermöglichen. Das Netzwerk soll ineffizientes singuläres Agieren durch effizienteres kooperatives Handeln ersetzen. Darüber hinaus soll die engmaschige Vernetzung der Netzwerkpartner dazu dienen, Schnittstellen zu überwinden und soziale Problemlagen frühzeitig erkennen und verbessern zu können.
Strukturen der Zusammenarbeit im Netzwerk
Die Zusammenarbeit wird seit 2009 durch die Rechtsform eines eingetragenen Vereins geregelt, um dem zuvor losen Miteinander der Netzwerkpartner einen verbindlichen Rahmen zu geben. Zurzeit gehören dem Netzwerk 21 voll stimmberechtigte Mitglieder sowie fünf Ehrenmitglieder an. Sie verkörpern rund 50 Angebote in den Bereichen Pflege und Alltagsmanagement, Beratung und Kommunikation, Rehabilitation und Medizin, Bildung und Nachbarschaftshilfe sowie weitere Dienstleistungen des täglichen Bedarfs, des Wohnens und kommunaler Dienste. Auch die Caritas-Sozialstation Reinickendorf wirkt im Netzwerk mit und beteiligt sich an Arbeits- und Projektgruppen.
Die Mitarbeit im Netzwerk bedarf engagierter Partner(innen), die entweder ehrenamtlich tätig sind oder von ihren Unternehmen für die Mitarbeit in Projekten und Arbeitsgruppen freigestellt werden.
Der Verein finanziert sich größtenteils über die 300 Euro Jahresbeitrag, die jedes Mitglied zahlt. Um die Heterogenität der Netzwerkpartner zu sichern und auch Kleinunternehmen und Selbstständige für den Verein zu gewinnen, ist eine Minderung des Jahresbeitrages generell möglich. Projekte werden zudem aus LSK2- und kommunalen Mitteln gefördert.
Welche Ressourcen die verschiedenen Netzwerkpartner investieren, kann von der jeweiligen Firmengröße und von der Wertigkeit abhängen, die sie dem Netzwerk beimessen. Hier gibt es durchaus Unterschiede: Die Gesobau AG stellt dem Netzwerk außerordentlich viele Ressourcen zur Verfügung. Dieses starke Engagement erklärt sich nicht zuletzt damit, dass sich die Ziele des Netzes unmittelbar mit den Interessen der Wohnungsbaugesellschaft und ihrer Mieter(innen) decken.
Anbieter aus dem Pflegebereich, besonders ambulante Pflegedienste, sind im Netzwerk ebenfalls stark vertreten. Häufig teilen sie Mitarbeitende fest für die Netzwerkarbeit ein angesichts des unmittelbaren Nutzens, den ein besseres Schnittstellen-Management und die Zusammenarbeit bei Problemfällen für ihre Unternehmen haben.
Die Verantwortung für die langfristige Planung und Gestaltung von Netzwerkprozessen geben die meisten Netzwerkmitglieder an den Vorstand ab. Berücksichtigung findet, dass die Zusammenarbeit konkurrierender Unternehmen konfliktbehaftet sein kann. Unerlässlich sind daher eine offene und lebendige Kommunikation sowie Kooperationsanlässe, die im Sinne der Reziprozität nicht primär dem Eigennutz, sondern dem Prinzip von Geben und Nehmen folgen.
Umfassende Seniorenarbeit, digital gestützt
Ein wichtiger Erfolgsgarant ist, dass persönliche Ansprechpartner bereitstehen, die sich vor Ort um die Anfragen der vornehmlich älteren Zielgruppe kümmern. Hier unterstützen unter anderem die "Senioren-Infothek" und die Initiative "Nachbar hilft Nachbar" als Peer-to-Peer-Ansatz die Arbeit des Netzwerks: An zentraler Stelle im Märkischen Viertel vermitteln Senior(inn)en, die im Stadtteil leben und gut vernetzt sind, zweimal wöchentlich Bewohner(innen) weiter an Beratungs- und andere Dienste. Ergänzend zu ihren Sprechzeiten setzt die Senioren-Infothek gezielt Schwerpunkte mit den Themenwochen "Älter werden im MV" und "Café Senftenberger" und bietet hierbei gemeinsam mit Netzwerkpartnern Vorträge und spezielle Beratung für die ältere Zielgruppe an.
Von November 2016 bis Juni 2017 wurde zusätzlich ein Informations- und Interaktionsnetzwerk für Senior(inn)en entwickelt. Diese altersfreundliche digitale Infrastruktur wurde unter Beteiligung von Senior(inn)en aufgebaut. Unter dem Titel "SeniorenNetz Märkisches Viertel"3 vereinigt das Projekt verschiedene Möglichkeiten. So wurden Tablet-PCs angeschafft und ein Trainingsprogramm für Senior(inn)en aufgelegt. Es soll Älteren ermöglichen, internetfähige Geräte wie Smartphones oder Tablet-PCs selbstständig zu nutzen oder mit ein wenig Unterstützung soziale Medien kennenzulernen und anzuwenden.
Unter www.seniorennetz.berlin/mv4 gibt es eine Übersicht zu unterschiedlichen Themen, zu Orten im Viertel und in der nahen Umgebung sowie zu aktuellen Veranstaltungen. Für Ratsuchende, die daheim kein Internet haben, gibt es betreute Anlaufpunkte: mobile Stelen mit integrierten Tablets und Druckern, an denen Senior(inn)en sich online informieren und Technik ausprobieren können.
Erfolgsfaktoren im Überblick
Das Netzwerk Märkisches Viertel ist durch großes Engagement zusammengewachsen und etablierte sich im Stadtteil durch vielfältige Projekte, Aktionen und eigene Mitarbeiter(innen). Aus dem ressortübergreifenden Ansatz entwickelte sich eine gute und verbindliche Kooperationskultur, von der das Viertel insgesamt profitiert. Dieses konstruktive Miteinander ermöglicht dem Netzwerk, Impulse und Ideen in nachhaltige Projekte zu verwandeln.
Als Novum und Chance zur Entwicklung ganzheitlicher Quartiersansätze wird die Heterogenität der Netzwerkmitglieder herausgestellt. Dem zugrunde liegen klare Ziele und die Bereitschaft, sich in einem gemeinsamen Lernprozess systematisch Fähigkeiten anzueignen, um strukturbezogene soziale Dienstleistungen für die Bewohner(innen) des Stadtteils zu entwickeln.
Anmerkungen
1. Viertel (einer rheinischen Stadt).
2. Durch das Programm Lokales Soziales Kapital (LSK) werden im Land Berlin Mikroprojekte finanziell unterstützt, die für erwerbslose Einwohner(innen) lokale Beschäftigungschancen entwickeln sowie ihre sozialen Kompetenzen fördern. Mehr Infos: www.bbwa-berlin.de/foerderprogramme/lokales-soziales-kapital-lsk.html
3. Das im Programm "Anlaufstellen für ältere Menschen" vom Bundesfamilienministerium geförderte Projekt wurde im November 2017 im Rahmen des Goldenen Internetpreises ausgezeichnet.
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