Neues Insolvenzrecht bringt kürzere Restschuld-Laufzeit
Am 17. Dezember 2020 hat der Deutsche Bundestag die neue Insolvenzordnung mit einer Verkürzung der Laufzeit des Restschuldbefreiungs-Verfahrens auf drei Jahre verabschiedet. Dies gilt rückwirkend für alle Verfahren, die seit dem 1. Oktober 2020 beantragt worden sind.
Vorausgegangen war die Vorgabe des EU-Parlaments, dass unternehmerisch tätige Personen Zugang zu einem Verfahren haben müssen, das es ihnen ermöglicht, sich innerhalb von drei Jahren zu entschulden. Diese "Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz" (EU-Restrukturierungs-Richtlinie 2019/1023) empfahl des Weiteren, dieselbe Regelung auch für Verbraucher(innen) einzuführen. Die Mitgliedstaaten hatten die Vorgabe, dies bis zum 17. Juli 2021 in nationales Recht umzusetzen. Aufgrund der Corona-Krise wurde dieses Vorhaben jedoch beschleunigt: Das Bundesjustizministerium verkündete im Regierungsentwurf vom 1. Juli 2020, dass die verkürzte Laufzeit der Insolvenz schon für alle Anträge ab dem 1. Oktober 2020 gelten würde. Die meisten anstehenden Insolvenzanträge wurden daraufhin aufgeschoben, da die Ratsuchenden von den Vorteilen dieses neuen Gesetzes profitieren wollten.
Allerdings war Ende September schon absehbar, dass sich die Gesetzgebung noch einige Zeit hinziehen würde und nicht pünktlich zum 1. Oktober 2020 verabschiedet werden konnte. Daher wuchs die Unsicherheit bei Berater(inne)n wie Klient(inn)en: Sollte man den Antrag erst stellen, wenn das Gesetz wirklich verabschiedet wird? Von einer Rückwirkung ging die Expert(inn)enlandschaft zur damaligen Zeit nicht aus, da beteiligte Politiker(innen) auch nur Vermutungen äußern konnten. Die Folge: Von Oktober bis Dezember 2020 wurden etwa in Baden-Württemberg fast 60 Prozent weniger Anträge auf Insolvenzverfahren abgeschickt.1
Dieser Aufschub hatte erhebliche Folgen für die Ratsuchenden und die Beratungspraxis: Die Klient(inn)en erhielten während dieser Übergangszeit weiterhin Mahn- und Vollstreckungsandrohungen oder wurden gepfändet. Die psychische Belastung war enorm. Die sechsmonatige gesetzliche Frist zum Stellen eines Insolvenzantrags nach Scheitern des außergerichtlichen Einigungsversuchs lief in vielen Fällen ab, so dass Schuldnerberatungsstellen in einigen Fällen sogar gezwungen waren, nochmals Schuldenbereinigungspläne zu versenden: zusätzliche Arbeit, die nicht refinanziert ist.
Aufgrund dieses Hinausschiebens war die Unzufriedenheit aller Beteiligten enorm. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung (BAG-SB) forderte in ihrer Pressemitteilung vom 16. November 2020 "deshalb nun endlich eine zügige Umsetzung des geplanten Gesetzentwurfs zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens auf drei Jahre [...]. Seit Wochen steigen in vielen Beratungsstellen die Wartezeiten - und die Frustration". Es war also höchste Zeit für eine Verabschiedung. Die liegengebliebenen Anträge können endlich verschickt werden. Abzuwarten bleibt nun, wie zügig die Insolvenzgerichte die Flut der neuen Anträge abarbeiten können.
Die wichtigsten Änderungen
Das neue Gesetz regelt, wie bereits erwähnt, dass die Laufzeit des Insolvenzverfahrens sowohl für Unternehmen als auch für Verbraucher(innen) generell drei Jahre beträgt. Bislang war die Verfahrensdauer an die Antwort auf die Frage gekoppelt, ob die überschuldeten Personen in der Lage waren, Beiträge in die sogenannte Insolvenzmasse einzuzahlen. Hatten sie innerhalb von fünf Jahren die Verfahrenskosten decken können, konnten sie auf eigenen Antrag bereits nach dieser Zeit die Restschuldbefreiung erlangen. Sogar nach drei Jahren war dies möglich, wenn sie neben den Verfahrenskosten auch 35 Prozent der Forderungen bezahlt hatten. In der Praxis blieb das eine Ausnahmeerscheinung. Wer keine Beiträge einzuzahlen vermochte, hatte eine Laufzeit über sechs Jahre durchzustehen. Jetzt also für alle gleich: drei Jahre.
Die Verkürzung wird von allen Expert(inn)engruppen begrüßt, zumal das Corona-Geschehen nochmals verdeutlicht, dass Menschen nicht überwiegend durch mangelnde finanzielle Kompetenz, sondern durch Unvorhergesehenes wie Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Trennung/Scheidung in die Überschuldung geraten.2 Die davon Betroffenen sollen durch die neue Insolvenzordnung schneller wieder einen Neustart erhalten und somit auch wieder am Wirtschaftsleben partizipieren können.
Entscheidende Rolle der Berater(innen)
Die Schuldnerberatungen der Wohlfahrtsverbände und somit auch der Orts-Caritasverbände spielen im Hinblick auf die Vorbereitung der Verbraucherinsolvenzverfahren eine essenzielle Rolle. Sie sind geeignete Stellen gemäß § 305 Insolvenzordnung (InsO), welche die Ratsuchenden im Vorfeld der Insolvenz begleiten, notfalls deren Existenz absichern, für einen stabilen Haushaltsplan sorgen und Verhandlungen mit den Gläubiger(inne)n führen. Scheitern diese Verhandlungen, wird dies von den Schuldnerberatungsstellen bescheinigt, was für Insolvenzanträge zwingend erforderlich ist. Somit leisten diese Stellen bereits im Vorfeld der Insolvenz einen wichtigen Beitrag zur nachhaltig wirksamen Entschuldung.
Neue Pflichten der Antragsteller(innen) im Insolvenzverfahren
Die neu verabschiedete Insolvenzregelung ist auch mit neuen Obliegenheiten verbunden: Zum Beispiel müssen Schenkungen und Erbschaften zur Hälfte und Lottogewinne, die während der Gesamtverfahrensdauer erlangt werden, komplett herausgegeben werden. Dies war bislang nur im ersten Teil des Verfahrens eine Verpflichtung, bis das Insolvenzverfahren aufgehoben wurde. In der anschließenden sogenannten Wohlverhaltensphase konnten Schenkungen und Gewinne behalten werden. Von der Herausgabepflicht sind jedoch in Zukunft gebräuchliche Gelegenheitsgeschenke und Gewinne von geringem Wert ausgenommen.
Darüber hinaus sollen keine unangemessenen Verbindlichkeiten begründet werden. Dabei bleibt einfache Fahrlässigkeit außer Betracht. Verworfen wurde glücklicherweise das stark kritisierte Vorhaben, Neuverbindlichkeiten, die während der Verfahrensdauer begründet werden, mit der Versagung der Restschuldbefreiung von Amts wegen zu sanktionieren. Dies hätte einen Paradigmenwechsel in der Geschichte der Insolvenzordnung dargestellt, denn bislang fungierte das Insolvenzgericht als neutrale Instanz, wenn es zum Beispiel Differenzen zwischen Insolvenzverwalter(in) und Schuldner(in) gab.
Zu kritisieren ist, dass weiterhin die Pflicht von Auskunfteien zur Löschung von Einträgen zu Insolvenzverfahren erst nach drei Jahren besteht. Zumal im Referentenentwurf eine Verkürzung auf ein Jahr noch vorgesehen war. In der Praxis zeigt sich, dass der Eintrag "Erteilung der Restschuldbefreiung" in Auskunfteien stigmatisierend ist, obwohl die vormals überschuldeten Personen durch die Schuldenfreiheit wieder gestärkt am Wirtschaftsleben teilhaben könnten.
Weitere Regelungen im Überblick
- In Zukunft müssen Schuldner(innen) anstatt zehn Jahre nun elf Jahre warten, bis sie einen neuen Insolvenzantrag stellen können.
- Sollte dann ein zweites Insolvenzverfahren in Anspruch genommen werden müssen, beträgt die Laufzeit fünf Jahre.
- Bis zum 31. März 2021 können die alten beziehungsweise bereits vorhandenen Antragsformulare verwendet werden.
- Die bereits erwähnte Bescheinigungsfrist von sechs Monaten wird bis zum 30. Juni 2021 auf zwölf Monate verlängert, so dass keine neuen außergerichtlichen Einigungsversuche unternommen werden müssen.
Nun gilt es für die Schuldnerberater(innen), diese Gesetzesänderungen rasch in die Beratung einfließen zu lassen und auch dementsprechend ihre Verhandlungen mit den Gläubiger(inne)n anzupassen. Diese werden aufgrund der Verfahrensverkürzung möglicherweise gehäuft an außergerichtlichen Einigungen interessiert sein, so wie es auch unsere Ratsuchenden und die Schuldnerberatungsstellen schon immer waren.
Anmerkungen
1. Statistisches Landesamt Baden-Württemberg: Pressemitteilung vom 9. November 2020, in der vermutet wird, "dass überschuldete Privatpersonen ihre Insolvenzanträge zunächst zurückgestellt haben".
2. Wie seit Jahren durch Meldungen des Statistischen Bundesamts verdeutlicht.
Weitere Entwicklung: Verbessertes Pfändungsschutzkonto dank Fortentwicklungsgesetz (PKoFoG)
Am 9. Oktober 2020 hat der Bundestag für eine Fortentwicklung des Rechts des Pfändungsschutzkontos (P-Konto) gestimmt, die am 1. Dezember 2021 in Kraft treten soll. Es wurden unter anderem Regelungen zu folgenden Punkten beschlossen:
- Gemeinschaftskonto (§ 850 Buchst. l Zivilprozessordnung (ZPO)): unter anderem Anspruch auf Einrichtung eines Einzelkontos innerhalb von vier Wochen.
- Übertragung von Guthaben (§ 899 ZPO): Unter anderem unverbrauchtes Guthaben wird zusätzlich in den folgenden drei Monaten (anstatt einem Monat) geschützt.
- Verbot der Auf- und Verrechnung (§ 901 ZPO): Sofern das Zahlungskonto im Minus ist und ein P-Konto auf Verlangen des Schuldners/der Schuldnerin vorliegt, darf ab diesem Zeitpunkt die Bank nicht mit einem Saldo verrechnen, sofern Gutschriften auf dem P-Konto nicht von der Pfändung erfasst wären.
- Erhöhungsbeiträge (§ 902 ZPO): Unter anderem sind Arbeitslosengeld-II-Leistungen komplett geschützt, auch wenn sie die eigentlichen Pfändungsschutzbeträge übersteigen.
- Nachweise über Erhöhungsbeiträge (§ 903 ZPO): Unter anderem sind Bescheinigungen für zwei Jahre gültig. Die Bank darf jedoch neue verlangen bei der Vermutung, dass die Bescheinigung falsch ist oder sich etwas verändert hat. Und: Pflicht des Jobcenters und der Familienkasse zur Ausstellung der Bescheinigung.
- Nachzahlungen (§ 904 ZPO): Unter anderem werden Jobcenter-Nachzahlungen generell nicht von der Pfändung erfasst.
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